Polnische Regisseurin Agnieszka Holland dreht in Prag einen Spielfilm über Jan Palach

Jan Palach

Die Werkliste der international renommierten polnischen Filmregisseurin Agnieszka Holland (1948) ist lang. Aktuell wird sie um einen neuen Spielfilm erweitert. Die dreimal für den Oscar nominierte Künstlerin hat das Angebot angenommen, einen Dreiteiler über die Ereignisse des Jahres 1969 nach der Selbstverbrennung des Studenten Jan Palach in Prag zu drehen. Die Dreharbeiten zu dem Film mit dem Titel „Der brennende Dornbusch“ sollen im März beginnen. Produziert wird der Film vom privaten Fernsehsender HBO Tschechien auf Grundlage eines tschechischen Drehbuchs. Ausführliche Informationen über den Spielfilm wurden kürzlich auf einer Pressekonferenz in Prag präsentiert.

Jan Palach, Student der Philosophischen Fakultät, zündete sich am 16. Januar 1969 auf dem Prager Wenzelsplatz selbst an. Mit der Selbstverbrennung wollte er gegen die sowjetische Okkupation der Tschechoslowakei im August des Vorjahres demonstrieren und die Bevölkerung des Landes wachrütteln. Doch dies gelang nicht, stattdessen festigte - mit Hilfe aus Moskau - ein reformfeindlicher Flügel der tschechoslowakischen Kommunisten seine Macht. Dies sollte für die nachfolgenden 20 Jahre auch so bleiben. Den von ihr eingeschlagenen politischen Kurs nannte die Partei euphemistisch „Normalisierung“.

Das Trauma des Landes, verbunden mit den tragischen Ereignissen von 1968 und 1969, soll nun zum ersten Mal im Spielfilm bearbeitet werden: über 40 Jahre nach den Ereignissen und 22 Jahre nach der politischen Wende von 1989. Warum hat es so lange gedauert? Agnieszka Holland:

„Schwer zu sagen. Meiner Meinung nach steckt dahinter das weit verbreitete Phänomen, dass viele Leute keine Lust hatten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Aber auch die Dokumentarfilmemacher hatten es lange Zeit hierzulande nicht leicht. Ich habe Freunde unter ihnen und sie haben mir erzählt, wie sehr sie um Unterstützung, Geld und Interesse ringen mussten. Mir scheint, die meisten Menschen wollten nach dem Fall des Kommunismus erst einmal schnell vergessen. Man wollte sich nicht an jene Zeit zurückerinnern, und auch nicht daran, wie konform man selbst war oder wie man versagt hat. Das macht kaum jemand gerne. Daher musste eine neue Generation von Filmemachern ohne Erfahrungen mit dem Kommunismus heranwachsen, die mit Mut und Neugier die Wahrheit über dieses Thema auf eine interessante Weise darstellen wollen.“

FAMU | Foto: Kristýna Maková,  Radio Prague International
Das Drehbuch zum geplanten Film stammt aus der Feder eines jungen tschechischen Filmhistorikers. Die polnische Regisseurin, die seit Jahren zwischen Europa und den USA pendelt, hatte persönliche Gründe, sich des Drehbuchs anzunehmen. Im gewissen Sinne kehrt sie damit nach Tschechien zurück. Sie selbst nennt es eine ungewöhnliche Rückreise in die Vergangenheit, verbunden mit ihrer tschechoslowakischen Erfahrung. In der Zeit um 1968 studierte Agnieszka Holland Regie an der Filmhochschule in Prag und erlebte das turbulente Geschehen jener Zeit hautnah.



Okkupation in 1968
„Kurz nach meinem Abitur kam ich nach Prag. Damals war ich noch nicht ganz 18 Jahre alt, ich verbrachte fünf Jahre hier. Es sind die wichtigsten Jahre für die Formung eines jungen Menschen im gesellschaftlichen, künstlerischen und kulturellen Sinn. Ich habe mich hier auch verliebt und geheiratet. Außerdem hatte ich auch viele Erlebnisse in der politisch unglaublich interessanten Zeit des Prager Frühlings 1968, die mit der sowjetischen Okkupation zu Ende ging und auf die die so genannte Normalisierung folgte. Damals habe ich mich auch in der Studentenbewegung engagiert und wurde festgenommen. Diese ereignisreiche Zeit ist für mich tatsächlich zum eisernen Fonds meines Vorstellungsvermögens und meiner Lebenserfahrungen geworden. Das schlägt sich auch darin nieder, was ich mache, wie ich das mache und wie ich die Menschen und die Welt betrachte. Meine polnische Erfahrung hat sich mit der tschechischen gepaart, aber auch mit der slowakischen, weil ich mich genauso für die slowakische Kultur und Sprache interessiert habe.“

Im Film wolle sie sich, so Holland, um eine Aktualisierung des damaligen Geschehens bemühen. Zugleich wolle sie sich auf das konzentrieren, was von damals heute noch für die Gesellschaft wichtig ist - allerdings ohne besserwisserisch zu sein:

„Ich mache es nicht wie eine Jeanne d´Arc, die glaubt, die Wahrheit über die kommunistische Zeit in die Welt zu tragen. Meine Motivation ist viel bescheidener. Ich glaube, dass ich auch etwas Persönliches zur Handlung des Films beitragen kann. Hinzu kommt etwa auch, dass ich eine erfahrene Filmemacherin bin, die nicht nur ein paar Spielfilme fürs Kino, sondern auch Folgen für, sagen wir, qualitativ hochwertige Fernsehserien gedreht hat. Kurzum, meine persönliche und professionelle Erfahrung dürfte zu einer entsprechenden Bearbeitung des vorliegenden Filmstoffes beitragen.“

Štěpán Hulík  (Foto: Archiv HBO)
Ihr Hauptziel sei es, einen guten Film zu machen, so Agnieszka Holland. Dazu dürfte aber auch, wie Sachkundige hervorheben, das Drehbuch des 27-jährigen Štěpán Hulík maßgeblich beitragen. Palachs tragische Geste sei für ihn keine bloße Vergangenheit, sondern eine Herausforderung zum Nachdenken, sagte der studierte Filmhistoriker bei der Pressekonferenz in Prag:

„Ich kann eigentlich nicht mehr sagen, was am Anfang stand und was mich genau motiviert hat. Bestimmt war es die Faszination für Palachs Tat. Einerseits hat sie mich als Ausdruck einer unegoistischen Liebe tief gerührt, andererseits macht sie mir Angst. Die Spannung zwischen der Rührung auf der einen Seite und der Angst vor dem, wozu ein Mensch bereit ist, auf der anderen Seite war für mich sehr interessant. Das wollte ich vor dem historischen Hintergrund erfassen. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass sich diese Tat nicht nur auf die Vergangenheit bezieht, sondern dass es ebenso ein bedeutendes Thema für unsere Gegenwart sein kann. Etwa im Sinne der Frage, wie und inwieweit man sich im heutigen Zeitgeschehen engagieren sollte. Jan Palach hatte keine Angst und engagierte sich. Das fand ich inspirativ und auch sinnvoll, das zu erzählen.“

Dagmar Burešová
Die zentrale Figur des Films „Der brennende Dornbusch“ ist nicht, wie man vielleicht glauben könnte, Jan Palach. Das Konzept sieht vor, dass ein Schauspieler in Palachs Rolle nur kurz und auf Distanz von der Kamera erfasst wird, ansonsten werden Originalaufnahmen von ihm verwendet. Bei den Recherchen zu seinem Drehbuch konnte sich Hulík mit bisher weniger bekannten Umständen von Palachs Tat vertraut machen und entschied sich, auf diesen die Filmhandlung aufzubauen.

„Schon im Februar 1969 trat der kommunistische Abgeordnete Vilém Nový mit einer absurden Behauptung auf: Palach soll als Agent eines ausländischen Nachrichtendienstes tätig gewesen sein und hätte sich mit ´sicherem Benzin´, so genanntem ´kalten Feuer´, übergießen sollen. Doch Palachs Kumpel hätten ihm heimlich echtes Benzin unterschoben. Das war natürlich absoluter Nonsens. Alle wussten es, zuckten aber nur mit den Achseln. Palachs Mutter entschied sich, den Abgeordneten Nový vor Gericht zu verklagen, musste aber lange nach einem Anwalt suchen. Letztlich nahm sich Dagmar Burešová der Sache an. Unser Film erzählt von dieser tapferen Frau, die ahnen musste, dass sie keinen Sieg im Gerichtsprozess davontragen konnte. Im Gegenteil! Sie muss sich darüber im Klaren gewesen sein, dass sie sich selbst und ihre Familienangehörigen existenziell gefährdete. Das Happyend kam erst nach 1989, als Dagmar Burešová erste Justizministerin in der befreiten Tschechoslowakei wurde. Die Geschichte hat damit einen besonderen Bogen gespannt.“

Von Hulíks Drehbuch fühlte sich Agnieszka Holland ihren eigenen Worten nach sofort angesprochen. Mit unüberhörbarer Sympathie spricht die namhafte Regisseurin allerdings über das ganze Team, mit dem sie an der Realisierung des neuen Films zusammenarbeitet:

„Wissen Sie, als ich das Drehbuch bekommen habe, hatte ich zunächst keine Ahnung, dass es von so einem jungen Autor stammt. Oder dass auch die drei Filmproduzenten so jung sind. Beim Lesen war ich sehr überrascht über die wahrheitsgetreu Darstellung der Zeit nach dem Januar 1969. Zum Inhalt hatte ich sehr wenige Anmerkungen. Als eines der wenigen Beispiele erinnere ich mich daran, dass im Text die Rede von einer vollautomatischen Waschmaschine war. Die hat damals kaum jemand besessen, und wenn, dann hat die Waschmaschine anders ausgesehen als heute. So etwas muss aber einer, der in jener Zeit nicht gelebt hat, natürlich nicht unbedingt wissen. Was die historischen Fakten sowie die Psychologie und Motivation der Filmprotagonisten, oder auch die Art ihrer Reaktionen anbelangt, das war von Anfang an wahrheitsgetreu und sehr einfühlsam verfasst. Sogar mit einer gewissen Weisheit und ohne Beurteilung. Erst dann, als ich Štěpán Hulík begegnete, war ich ziemlich überrascht. Ja, es gibt so etwas wie künstlerisches Einfühlungsvermögen! Štěpáns Drehbuch ist ein Beweis dafür, dass man nicht immer etwas erleben muss, um die tiefere Wahrheit eines Ereignisses zu spüren.“

Pressekonferenz zum Film „Der brennende Dornbusch“  (Foto: Archiv HBO)
Die Premiere der dreiteiligen Filmserie „Der brennende Dornbusch“ ist für 2013 vorgesehen. Bei der Prager Pressekonferenz wurde auch das Geheimnis um die Rollenbesetzung gelüftet. Zumeist handelt es sich um bekannte tschechische Schauspielerinnen und Schauspieler, die jetzt vor der Aufgabe stehen, die Vorgaben des Autorenteams umzusetzen. Der Produzent - der Fernsehkanal HBO - ist davon überzeugt, mit dem historischen Thema nicht nur das Publikum in Tschechien, sondern auch in anderen Ländern ansprechen zu können.