Präsident Masaryk im Jahre 1929 zum Problem überfüllter Hochschulen
Der Numerus clausus: Für Abiturienten ist er oft eine unüberwindliche Hürde zum Traumstudium. Die Erfindung ist nicht neu. Auch in der Ersten Tschechoslowakischen Republik wurde bereits die Einführung eines Numerus clausus an Universitäten diskutiert, um das Problem überfüllter Hörsäle zu lösen.
Nach dem Ersten Weltkrieg und der Gründung der Tschechoslowakischen Republik sahen sich die Universitäten des Landes einem rasch wachsenden Ansturm neuer Studenten ausgesetzt. Die Kapazitäten schienen erschöpft. Ein Redakteur des deutschsprachigen Prager Tagblatts sprach darüber mit dem damaligen Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk. Die deutliche Meinung des Staatsoberhauptes landete am 8. Dezember 1929 auf der Seite 1:
„Ich möchte sagen, daß die Leute nicht überflüssig studieren sollen. Wer keine Begabung dazu hat und nicht den inneren Drang, der soll zu Hause bleiben und mit der Hand arbeiten. Ein guter Bauer, ein guter Arbeiter ist mir lieber als ein schlechter Advokat.“
Masaryk wusste, wovon er sprach. Noch zu Zeiten der Monarchie arbeitete er als Universitätsprofessor im In- und Ausland. Das Problem war für Masaryk ein grundsätzliches:
„Die Leute stellen sich vor, daß die geistige Arbeit eine leichte Arbeit, eigentlich Nichtarbeit ist und sehnen sich darnach. Noch schlimmer ist allerdings die Sehnsucht, es ohne gemeinnützige Arbeit gut zu haben. So scheint mir, gibt es genug überflüssige Studenten. Dann vegetieren sie als Advokaten, Doktoren, Professoren.“
Der Numerus clausus wurde im Jahr 1929 von einigen Studenten selbst gefordert. Das mag aus heutiger Sicht überraschen. Die Vorzeichen waren jedoch ganz andere. Im Herbst 1929 hatten faschistische Studentenvereinigungen für einen Numerus clausus demonstriert, der nur für ausländische Studierende gelten sollte. Die kamen damals überwiegend aus Polen, Ungarn oder Rumänien und waren oft jüdischer Abstammung. Sie flohen vor dem wachsenden Antisemitismus in ihren Heimatländern in die Tschechoslowakei, den damals einzigen demokratischen Staat des östlichen Mitteleuropa. Es kam für Masaryk nicht in Frage sich an der Debatte über die mögliche Diskriminierung jüdischer Studenten zu beteiligen. Den geforderten Numerus clausus für Juden, wie er damals etwa in Polen bestand, lehnte er kategorisch ab. Er mahnte vielmehr eine grundlegende Reform des Bildungswesens an:
„Hier hilft nur das Prinzip der Auslese, daß die für die die Universitätsstudien Untauglichen anderen Arbeitsgebieten zugeführt werden. Gewiß, es ist schwer, daß die Lehrer alle Schüler richtig klassifizieren, […] es kann aber nicht behauptet werden, daß man in dieser Richtung nicht mehr leisten könnte.“
Zehn Jahre später lösten die nationalsozialistischen Besatzer das Problem der überfüllten tschechoslowakischen Hörsäle auf grausame Weise. Nach Studentendemonstrationen gegen die Nazis wurden am 17. November 1939 alle Hochschulen des Landes geschlossen. Neun Studenten wurden hingerichtet. 1200 weitere wurden ins KZ deportiert. Tomáš Garrigue Masaryk war zu dem Zeitpunkt bereits über zwei Jahre tot.