Präsidentschaftswahlen in Tschechien

Liebe Hörerinnen und Hörer, die Woche ist wieder einmal schnell vergangen und so begrüssen wir Sie auch diesmal recht herzlich zu einer neuen Folge von Im Spiegel der Medien, der Mediensendung von Radio Prag. Für Sie am Mikrophon ist heute Robert Schuster

Seit einer Woche bewegt die tschechischen Medien eigentlich nur ein einziges Thema:

Die Frage, wer wohl in einem Vierteljahr Václav Havel als Staatspräsident beerben wird, füllt täglich die Meinungsseiten der tschechischen Zeitungen. Interressant daran ist aber, dass die mögliche Havel-Nachfolge von den Journalisten lange Zeit nur ganz beiläufig behandelt wurde. Erst als aber der frühere Ministerpräsident und häufiger politischer Gegner Havels, Václav Klaus alle Spekulationen beendete und selber in den Ring im Kampf um die Präsidentschaft stieg, vergeht nicht ein Tag, an dem von den Journalisten nicht verschiedene Szenarios präsentiert werden, wie die nun spannend gewordene Wahl ausgehen könnte. Schon bevor sich Klaus für eine Kandidatur entschied, taten das vor ihm fünf weitere Politiker, doch erst seine Bewerbung gab dem Ganzen eine neue Dynamik. Es scheint sich somit anschaulich zu beweisen, welchen Gesetzmässigkeiten der Journalismus in der heutigen schnellebigen Zeit folgt, denn es gibt in Tschechien sicherlich nur wenige Politiker, die eine vergleichbar starke mediale Anziehungskraft haben, wie eben Václav Klaus.

Die tschechischen Zeitungskommentatoren versuchten das Thema der kommenden Präsidentenwahl von verschiedenen Blickwinkeln aus zu betrachten. Ihre Beiträge reichten dabei von seriösen Analysen über die Chancen der einzelnen Bewerber, bis zu etwas sarkastisch eingefärbten Kommentaren, die sich grundsätzliche Gedanken über das Präsidentenamt überhaupt machten. Zu letzteren gehört etwa der Kommentar von Martin Komárek, dem Chefkommentator der auflagenstarken Mladá fronta Dnes, welcher am Donnerstag unter den Titel "Ein Kopf wird gesucht"erschien:

"Eigentlich besteht gar kein Grund einen Präsidenten zu wählen, schliesslich ist dieses Amt ein Relikt aus alten Zeiten und ist ohne politische Bedeutung. Der beste Weg einen neuen Amtsinhaber zu finden, ist die Stelle auszuschreiben und klare Auswahlkriterien zu definieren: Er sollte fähig sein lächelnd ausländische Delegationen zu empfangen, Kränze niederlegen können, perfekt in der Einweihung von neuen Gebäuden sein, Militärparaden richtig absolvieren können und immer dort anwesend sein, wo z.B. eine Naturkatastrophe geschieht. Deshalb sollten wir uns also keine Sorgen machen, dass wir für diesen Job niemanden entsprechenden finden werden."

Soweit der Kommentar in der Mladá fronta Dnes. Die Tageszeitung Lidové noviny befasste sich u.a. mit dem gegenwärtigen Wahlmodus - der Präsident wird nämlich von beiden Kammern des Parlaments gewählt - und der Frage, ob es überhaupt möglich ist, dass eine wirklich starke Persönlichkeit gewählt wird. Michal Musil meint in seinem Kommentar unter dem Titel "Der, der niemanden stört":

"Der neue Präsident wird sicher unter starken Schmerzen das Licht der Welt erblicken und es ist sicher, dass es sich um einen Kompromiskandidaten handeln wird. Es wird jemand sein, der über ein hohes Mass an Anerkennung verfügt und relativ konfliktlos ist - eben jemand, der niemanden allzu stark stören wird."

Der nahenden Neubesetzung des höchsten Staatsamtes in Tschechien wird zunehmend auch im Ausland Aufmerksamkeit geschenkt. Kein Wunder, bahnt sich doch mit dem Abgang Václav Havels für viele Beobachter das Ende einer Ära an. Obwohl die politische Wachablöse auf der Prager Burg erst Mitte Januar nächsten Jahres über die Bühne gehen soll, kann bereits jetzt eine erste Bilanz über 12 Jahre Havel als Präsident gezogen werden. Diesen Versuch unternimmt für Radio Prag der aus der früheren Tschechoslowakei stammende und nun über viele Jahre in Deutschland lebende Publizist Jiøí Loewy, dessen Kolummnen und Kommentare regelmässig in der tschechischen Zeitung Lidové noviny erscheinen: Václav Havel wurde in seiner Bedeutung für das Land oft mit dem ersten tschechoslowakischen Präsidenten Tomá Masaryk verglichen. Beide Politiker verbindet zudem nicht nur eine lange Amtsdauer, sondern auch, dass sie über die Jahre hinweg bei der Wahl nie erntszunehmende Gegenkandidaten hatten. Das neue Staatsoberhaupt wird aber wahrscheinlich aus einer zwischen mehreren Kandidaten stattfindenden Kampfabstimmung hervorgehen. Wird das aber nicht zwangsläufig dazu führen, dass der neue Präsident ein schwaches Mandat haben wird? Jiøí Loewy meint dazu im folgenden: In den Ländern Mitteleuropas werden die Präsidenten im Unterbewusstsein vieler Bürger nachwievor als Ersatzmonarchen wahrgenommen. Besteht da nicht die Gefahr, dass die Präsidenten dann leicht den Kontakt zum gemeinen Volk verlieren können? Egal, wer letztendlich neuer Präsident wird, er wird auf jeden Fall an seinem Vorgänger gemessen werden. Jiøí Loewy warnt jedoch davor das künftige Staatsoberhaupt gleich von Beginn an in die gleiche Schublade, wie Havel zu stecken und fordert von der Öffentlichkeit und den Medien dem neuen Mann auf der Burg Zeit zu lassen, wie er abschliessend gegenüber Radio Prag meint: Verehrte Hörerinnen und Hörer, damit sind wir wieder am Ende unserer heutigen Sendung angelangt. Für Ihre Aufmerksamkeit bedanken sich Robert Schuster.