Prag um 1850 in Fotos: die Pioniertaten von Andreas Groll

St. Barbara Kirche (Foto von Andreas Groll, Public Domain)

Die ältesten erhaltenen Fotografien von Prag, Plzeň / Pilsen, Kutná Hora / Kuttenberg, aber auch von den Adelssitzen der Buquoy in Nové Hrady / Gratzen und Rožmberk / Rosenberg oder der Liechtenstein in Lednice / Eisgrub wurden von ihm aufgenommen: Der Wiener Fotopionier Adreas Groll hat seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wiederholt die böhmischen Länder besucht und hierzulande mit seinem Apparat Bilder gemacht. Eine Ausstellung im „Haus der Fotografie“ in Prag stellt derzeit den Lichtbildner vor – sie heißt „Andreas Groll. Unbekannter Fotograf. 1812-1872“. Dazu ein Interview mit Monika Faber, die die Ausstellung des Wiener Photoinstituts Bonartes mitkuratiert hat.

Ausstellung „Andreas Groll – ein unbekannter Fotograf. 1812-1872“  (Foto: Tomáš Souček,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Frau Faber, in Prag wird eine Ausstellung eröffnet. Sie heißt „Andreas Groll – ein unbekannter Fotograf. 1812-1872“. Warum ist er so unbekannt? Können Sie ihn diese Wissenslücke füllen?

„Andreas Groll war der erste Fotograf in Mitteleuropa, der sich dieses ganz neue Metier ausgesucht hat. Groll hat dabei nicht wie andere das Porträt in den Mittelpunkt seines Interesses gestellt. Porträt-Ateliers gab es schon ungefähr zehn Jahren, bevor Groll 1853 begann, als Berufsfotograf zu arbeiten. Dass man mit der großen und schweren Ausstattung, die damals noch notwendig war, in der ganzen Monarchie herumreist und auf Häuser und Kirchen klettert, um Fotografien zu machen, das war ganz neu. Und das macht ihn so faszinierend. In seiner Zeit war Groll sehr bekannt. Wenn ein Denkmalpfleger irgendwo in der Monarchie an die Zentralkommission für Denkmalpflege nach Wien schrieb, dann wurde den Leuten geraten, Andreas Groll kommen zu lassen und die Sachen fotografieren zu lassen. Dann könne man in der Zentralkommission besser beurteilen, ob etwas geschehen solle oder nicht, hieß es. Zu allererst geschah das in Kutná Hora, wo durch einen Brand im 17. Jahrhundert ein ursprüngliches Zeltdach zerstört worden war. Die örtlichen Denkmalpfleger wünschten sich sehr, das Dach wieder in den Originalzustand zurückzusetzen. Die Fotos von Andreas Groll haben – wenn auch mit einiger Verzögerung – dann tatsächlich dazu beigetragen. Das macht diese Bilder so faszinierend. Denn wer Kutná Hora kennt, der wird sich wundern, was er da sieht. Genau dasselbe ist mit Kloster Neuburg bei Wien. Wir sehen Kloster Neuburg in einem barocken Zustand, bevor es gotisch geworden ist. Die Regotisierungsphase des späten 19. Jahrhunderts folgt dann auf diese ersten Dokumente von Andreas Groll.“

„Einer seiner Kollege hat Groll den ersten Fotografen von Prag genannt.“

Sie haben Kutná Hora erwähnt. Groll wird auch als der erste Fotograf von Prag bezeichnet. Aus welcher Zeit stammen seine Fotografien, und waren das wirklich die einzigen zu dieser Zeit?

„Groll ist nachweislich spätestens 1855 in Prag gewesen. Er ist nachher mehrfach zurückgekommen. Er war natürlich nicht der erste, der in Prag Fotografien gemacht hat. Der Umfang seiner Bilderserie ist für die Mitte des 19. Jahrhunderts aber ganz außergewöhnlich. Die Idee, ihn den ersten Fotografen von Prag zu nennen, kam von einem seiner Kollegen – nicht von uns. Wir würden uns nicht trauen, so etwas zu sagen. Er hat keine Stadt so umfangreich fotografiert wie Prag. Das ist schon ein ganz faszinierendes Konvolut. Ich habe mehrere Alben von Reisenden aus der Mitte des 19. Jahrhunderts gefunden, vor allem von französischen Reisenden. In diesen Alben sind viele Fotos von den Orten, die sie besucht haben. Und Prag war immer durch Fotografien von Groll repräsentiert. Das ändert sich natürlich später, in den 1860er Jahren ist das nicht mehr so. Aber in den 1850er Jahren hat er tatsächlich die breiteste Sammlung von Bildern dieser Stadt geschaffen.“

Selbstbildnis von Andreas Groll  (Foto: Public Domain)
Wer waren Grolls Auftraggeber? Waren das Behörden im Zusammenhang mit dem Denkmalschutz, oder waren es private Auftraggeber?

„Das Interessante ist, dass Grolls Auftraggeber aus unterschiedlichsten Bereichen gekommen sind. Weil er aus einer armen Familie stammte, muss man davon ausgehen, dass er 1853 schon genau gewusst hat, mit wem er Projekte verwirklichen kann. Einer davon war Eduard von Sacken, das war der Kurator der Sammlung für Waffen und Rüstungen. Mit ihm hat Groll in den nächsten zehn Jahren das größte frühe Fotobuchprojekt Mitteleuropas durchgezogen. Das Buch enthält mehr als 280 Fotografien. Eduard von Sacken war tatsächlich Kurator an den kaiserlichen Sammlungen, aber es gab natürlich kein Fotobudget. Daher musste sich Eduard von Sacken der Hilfe von Akademie-Professoren – also Malern und Architekten – versichern, um überhaupt eine Finanzierung dieses Fotografieprojekts aufzustellen. Es bestand ein enges Netzwerk besteht, denn dieselben Architekten – unter anderen Friedrich von Schmidt – sind jene, die ihre Pläne von ihm reproduzieren, ihre Baustellen dokumentieren und die fertigen Bauten fotografieren lassen. Aber – das ist eben das Wichtigste: Sie haben die riesigen Sammlungen von Vorbilder-Fotografien angelegt, die sie als historistische Architekten gebraucht haben.“

Prager Burg 1856  (Foto von Andreas Groll,  Public Domain)
Zu Grolls Reisen in die böhmischen Länder: Wer hat ihn zum Beispiel nach Prag eingeladen?

„Die erste Reise nach Prag ist sicher im Zusammenhang mit dem Denkmalschutz zu sehen. Das hat Petra Trnková ganz eindeutig nachweisen können. Ab spätestens 1857 fährt er mehrfach nach Rožmberk und Nové Hrady. Das war ein Auftrag direkt von der Adelsfamilie Buquoy, die dort ihre Besitze von Groll dokumentieren lässt.“

Sind seine Fotos eher als Dokumente wertvoll, oder sind sie auch künstlerisch wertvoll?

„Die Fotos erscheinen uns moderner als jene 50 Jahre später.“

„Das ist alles eine Frage des Standpunkts: Seine Fotos sind das, was man im englischen Sprachraum als ‚aus der naiven Zeit der Fotografie‘ bezeichnet. Das heißt, sie sind ungewöhnlich in der Perspektive und ungewöhnlich im Ausschnitt. Daher erscheinen sie uns sehr viel moderner als die Fotos, die 30, 40 oder 50 Jahre später entstanden sind, aber technisch besser waren. Man sieht an diesen Fotos sozusagen das Medium und die Schwierigkeiten innerhalb des Mediums, die noch zu überwinden waren. Deswegen haben wir in der Ausstellung absichtlich Erklärungen bei fehlerhaften Bildern hinzugefügt, die zeigen, was hier wirklich zu überwinden war, um an diese Bilder zu kommen. Und natürlich ist es eine Frage, ob man akzeptiert, dass ein Bild nicht perfekt ist. Ob das ein Vorteil oder ein Nachteil ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.“

Barbara-Kirche in Kutná Hora  (Foto von Andreas Groll,  Public Domain)
Wie sahen seine Reisen technisch aus? Wie hat er das organisiert? Hat er dort, wo er fotografiert hat, ein Atelier gegründet, um die Fotos entwickeln zu können?

„Andreas Groll hat die meiste Zeit seiner Karriere das sogenannte nasse Kollodiumverfahren angewandt. Das heißt, er hat nicht nur die Kamera und die Objektive mitnehmen müssen, sondern auch große Glasplatten: eine Glasplatte für jedes Bild, das er machen wollte. Denn es gab keinen Vergrößerungsapparat. Die Glasplatte war so groß, wie das Foto am Ende sein sollte. Aber diese Glasplatten konnten erst an Ort und Stelle lichtempfindlich gemacht werden, deswegen musste Andreas Groll auch eine Dunkelkamera und alle Geräte, mit dem er die Platten chemisch behandelt, mitnehmen. Diese wurden in Kassetten eingelegt, anschließend wurde fotografiert, dann belichtet und entwickelt, bevor das Kollodium trocknete. Dies war ein unglaublicher Stress und wirklich schwierig. Das Trocknen fand während der Exposition statt. Wenn es windig war, sah man das durch Streifen auf den Bildern. Wenn man zu schnell war bei dem Auftragen der Kollodiumschicht, entstanden Blasen, die durch Flecken auf den Bildern ersichtlich sind. Das interessante ist, dass den Auftraggebern diese Fehler egal waren. Sie waren froh, dass sie überhaupt ein Foto von der Barbara-Kirche in Kutná Hora oder von der Bartholomäus-Kirche in Pilsen hatten. Und das war sozusagen auch die Bedeutung der Fotos, deswegen findet man sie in Architektursammlungen weltweit – zum Beispiel in der Königlichen Sammlung von Kopenhagen und in der ältesten Architektursammlung von München. Überall gibt es diese Fotografien, denn sie waren die ersten Aufnahmen dieser Gebäude, und die wollte jeder gerne sehen. Aber zehn Jahr später wollte niemand mehr solche Fotos von ihm machen lassen, denn dann gab es bereits Leute, die keine Luftblasen auf ihren Bildern mit zugelassen haben. Das war die Veränderung, die Pionierzeit war vorbei. Die Zeit der Perfektionisten beginnt.“

Josef Hlávka  (Foto: Public Domain)
War er hier mit Fotografen, Architekten oder anderen Persönlichkeiten in Kontakt?

„Der Kontakt zwischen Prag und Wien war sehr stark, was die Denkmalpflege betrifft. Zum einen interessierte man sich für die Gotik, die hier außergewöhnlich entwickelt war. Anderseits gab es auch persönliche Beziehungen. Die wichtigste Person ist Herr Josef Hlávka als Gründer dieser Stiftung und als Förderer der Akademie der Wissenschaften in den Böhmischen Ländern. Josef Hlávka war nicht nur Student von Friedrich Schmidt an der Akademie in Wien, sondern er war er war auch der Besitzer einer Baufirma, die die meisten Bauten von Friedrich Schmidt realisiert hat. Das heißt, er war bei der Beauftragung von Andreas Groll dabei, und auch seine Bauten hat Andreas Groll dokumentiert. Die Aufnahmen von Andreas Groll, die derzeit in Prag vorhanden sind, kommen zu einem Großteil von Josef Hlávka. Erkennbar ist das an einem Stempel, den man hier in dieser Ausstellung oftmals sehen kann.“

Die Ausstellung „Andreas Groll. Unbekannter Fotograf. 1812-1872“ ist im Haus der Photographie der Prager Städtischen Galerie zu sehen, und zwar noch bis 8. Mai. Das Haus der Photographie befindet sich in der Revoluční-Str. in der Prager Neustadt. Die Öffnungszeiten sind täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags sogar bis 20 Uhr.

Wie ist die Ausstellung konzipiert? Was zeigt Sie?

„Die Ausstellung versucht die unterschiedlichen Bereiche zu zeigen, in denen Andreas Groll tätig war. Vor allem einerseits die Denkmalpflege und Arbeit mit Architekten, denn die Architekten waren damals auch meistens die wichtigsten Denkmalpfleger. Andererseits auch den sehr großen Auftrag für Industriefotografie von der Staatseisenbahngesellschaft, der Andreas Groll bis in den Banat, also das heute Rumänien, geführt hat. Nicht zuletzt gibt es auch eine eigene Gruppe der aristokratischen Auftraggeber wie die Familie Buquoy, aber eben auch die Familie Lichtenstein in Lednice.“