„In Prag zu spielen ist eine Herzenssache“ – der Schweizer Dirigent Kaspar Zehnder

Kaspar Zehnder (Foto: Archiv von Kaspar Zehnder)

Er ist ein junger und erfolgreicher Dirigent, der schon früh seine Karriere begann: Kaspar Zehnder stammt ursprünglich aus einem kleinen Dorf in der Schweiz und ist heute auf den Bühnen der Welt zu Hause. Seit 2012 ist er der künstlerische Leiter des Sinfonie Orchesters Biel. In diesem Jahr hat er das Eröffnungskonzert des Schweizer Frühlings im Prager Rudolfinum dirigiert. In einem Interview für Radio Prag sprach der Dirigent über seine Beziehung zur Musik, die Vorliebe für Prag und seine Träume.

Kaspar Zehnder  (Foto: Archiv von Kaspar Zehnder)
Herr Zehnder, Sie stammen ursprünglich aus der Nähe von Bern und leben heute noch dort. Was bedeutet es für Sie, das Eröffnungskonzert beim Schweizer Frühling in Tschechien dirigieren zu dürfen, quasi als Vertreter des eigenen Landes?

„Es ist für mich eine sehr schöne Gelegenheit. Ich war lange Zeit in Tschechien, als Chefdirigent der Prager Philharmoniker. Seit dieser Zeit ist Tschechien meine zweite Heimat. Außerdem fühle ich mich in der tschechischen Musik zu Hause. Natürlich gibt es viele Schweizer Komponisten, aber die meisten Stücke sind nach 1900 entstanden. Das ist alles zeitgenössische Musik und oft auch nicht für das ganz große Publikum gemacht. Jetzt das Eröffnungskonzert in Tschechien dirigieren zu dürfen, ist eine große Ehre für mich. Ich empfinde auch einen gewissen Stolz, den ich sowohl für Tschechien als auch für die Schweiz habe.“

Leoš Janáček
Sie haben gesagt, Sie mögen die tschechische Musik. Welche Vorlieben haben Sie da genau?

„Mein Seelenverwandter ist Leoš Janáček. Antonín Dvořák oder Bedřich Smetana sind Komponisten, deren Musik ich wie eine Muttersprache spreche. Ich fühle mich auch als ihr Vertreter, wenn ich im Ausland reise. Außerdem habe ich eine klare Affinität zu tschechischen Komponisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - speziell zu Komponisten, die in Theresienstadt gelebt haben und dort ums Leben gekommen sind. Ich bewundere sie nicht nur wegen ihrer Geschichte, sondern auch wegen ihrer musikalischen Qualität und weil sie die Musik als Durchhaltemittel benutzt haben.“

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks
Von 2005 bis 2008 waren Sie Chefdirigent bei den Prager Philharmonikern. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?

„Es war meine erste Chefstelle und auch meine erste große Anstellung. Ich habe gelernt, ein dickes Fell zu haben und mich in einem kulturell fremden Umfeld zu behaupten und zu bewegen. Es war sicher eine sehr wertvolle Erfahrung, auch für die Arbeit die ich jetzt mache. Ich bin seit 50 Jahren der erste Schweizer Dirigent, der ein Schweizer Orchester nicht erst mit grauen Haaren übernimmt.“

Welches persönliche Verhältnis haben zu Tschechien?

Prag  (Foto: Kristýna Maková)
„Heute ist es ein sehr freundschaftliches Verhältnis. In der Zeit, als ich hier gearbeitet habe und vor allem als es hier zu Ende ging, war es eher angespannt. Ich bin sehr glücklich, dass ich Prag jetzt wieder in seiner ganzen Schönheit genießen kann. Ich schlendere nicht nur als Tourist, sondern als Eingeweihter durch die unzähligen schönen Ecken und Gassen.“

Können Sie sich vorstellen, hier in Prag wieder zu arbeiten?

„Im Moment ist das kein Thema. Aber ich glaube schon, dass ich durch die regelmäßigen Einladungen und Zusammenarbeiten besonders mit den Orchestern in Prag, Brünn und Hradec Králové eigentlich immer wieder nach Tschechien komme und auch vielleicht mal eine Oper hier dirigieren werde. Dass es irgendwann wieder zu einer festen Bindung kommen könnte, schließe ich nicht aus.“

Aurèle Nicolet  (Foto: YouTube)
Sie stammen aus einer sehr musikalischen Familie. Gab es schon immer den Wunsch, Musik zu machen?

„Zunächst war es nicht meine Berufung. Ich habe immer Musik gemacht. Mein Vater war Arzt, er hat auch Musik gespielt, und meine Mutter war Sängerin. Ich bin sehr früh durch die Kontakte meiner Eltern zu tollen Lehrern gekommen, die mich sehr gepuscht haben. Während meiner Zeit auf dem Gymnasium habe ich gleichzeitig das Konservatorium besucht. Irgendwann hat es dann ‚klick’ gemacht. Das war, als ich mit 18 Jahren das erste Mal als Solist in einem großen Saal vor einem Orchester gestanden und gespielt habe. Der Dialog mit dem Publikum war etwas ganz anderes, als die Musik allein. Es ist eine kommunikative Angelegenheit, die mir sehr liegt. Mein Lehrer und vielleicht auch wichtigster Berater war Aurèle Nicolet. Er war mein Flötenlehrer und hat lange Zeit bei den Berliner Philharmonikern gespielt. Nicolet hat mir gesagt, dass es sehr viele gute Flötisten, aber nur wenige gute Dirigenten gibt. Deshalb hat er mir geraten, Dirigent zu werden.“

Kaspar Zehnder  (Foto: Dagmar Kneřová,  Archiv von Kaspar Zehnder)
Sie treten nicht nur als Dirigent auf, sondern auch als Solist. Wie fühlt es sich an, vor dem Publikum zu stehen?

„Eigentlich müsste man fragen, wie es sich anfühlt, vor dem Orchester zu stehen. Denn das ist fast schwieriger. Mit dem Orchester hat man 100 Individualisten vor sich. Alle sind Künstler. Es ist wie eine Schulklasse mit verschiedenen Charakteren. Aber auf der anderen Seite sind es Erwachsene mit starken persönlichen Prägungen und Ausdruckswillen. Mit dem Orchester zu arbeiten ist ein wunderbarer menschlicher, philosophischer und psychologischer Akt. Das Publikum habe ich als Dirigent im Rücken. Dies, finde ich, gibt einem Rückenwind und trägt einen unglaublich. Die Kommunikation mit dem Publikum ist etwas ganz Wichtiges. Ich würde sagen, es ist wie ein Dreieck. Die Energie, die von oben kommt, gibt man dann nach vorne und nach hinten weiter.“

Haben Sie ein bestimmtes Ritual, das sie vor einem Konzert durchführen?

Riggisberg  (Foto: Roland Zumbühl,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
„Also, man steht in seiner Garderobe und schaut ob die Fliege passt und der Frack sitzt. Man beobachtet sich immer ganz genau. Ich gelte als ein relativ uneitler Dirigent und nicht als Primadonna. Aber ganz frei von Eitelkeit darf man nicht sein, und dann schaue ich mich im Spiegel an. Das ist ein bisschen das Auftrittsritual. Es kommt auch vor, dass ich ein kleines Gebet spreche.“

Gibt es ein Projekt, das Sie gerne realisieren würden?

„Ja ganz viele. Ich bin voller Ideen. Ein Projekt ist immer der fruchtbare Boden für ein Weiteres. Die Ideen entstehen immer mit den Leuten, mit denen man gerade zu tun hat. Der Schweizer Frühling hier in Prag ist ein großes Projekt und war auch ein großer Wunsch, bei dem man durch die Schweizerische Botschaft und ihre Vernetzung in Tschechien auch Rückenwind bekam. Diese Veranstaltung würde ich in anderen Ländern gerne wiederholen. Außerdem würde ich sehr gerne früher oder später in meinem Geburtsort Riggisberg in der Schweiz einmal ein Festival veranstalten, das nicht nur klassische Musik, sondern auch die Kultur oder Volkskultur näherbringt. Kultur ist ein Menschenrecht und eine wichtige Angelegenheit für jedermann. Wir möchten eigentlich mit einem Zigeunerwagen an einem Samstagmorgen auf den Dorfmarkt fahren und dort die Latten runterlassen und Musik für alle spielen.“

Rudolfinum  (Foto: CzechTourism)
Sie sind durch die Konzerte in der ganzen Welt unterwegs. Gibt es einen Ort, an dem Sie besonders gerne spielen?

„Schon im Prager Rudolfinum. Es ist immer eine Herzensangelegenheit, wenn ich hier bin. Mein zweites Zentrum, in dem ich gerne bin, ist Paris. Dort bin ich regelmäßig und oft. Ansonsten interessiert es mich einfach, zahlreiche neue Orte zu sehen. Ich bin gerne in Städten unterwegs, in denen es eine kulturelle Vergangenheit gibt, wie zum Beispiel in Italien oder in Spanien. Dort ist es durch das Klima toll zu leben. Inzwischen bin ich Vater einer jungen Familie und sehr glücklich, zwischendurch auch mal in der Schweiz auftreten zu dürfen.“

Werden Sie neben den Konzerten, die Sie selbst geben, auch andere Veranstaltungen des Schweizer Frühlings besuchen?

„Ich bin zwei Wochen hier in Brünn und in Prag. Ich werde also alle Ausstellungen besuchen und Schweizer Spezialitäten essen. Ich muss sagen, wir Schweizer haben sehr viel Mühe mit Patriotismus. In der Schweiz wird er oftmals ausgenutzt und missbraucht. Wichtig ist zu lernen, ein Heimatgefühl zu haben und zu seiner Heimat zu stehen. Man sollte versuchen, die guten Qualitäten seiner Heimat nach außen zu tragen - und nicht die rechtsextremen Strömungen und die demagogischen Versuche von rechtsextremen Parteien und Gruppierungen. Diese stellen die Schweizer in ein schlechtes und - meiner Ansicht nach - auch völlig falsches Licht.“

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