Přemysl Pitter - ein Pazifist mit außerordentlichem Mut

Přemysl Pitter

Die Armee hatte eine wichtige Stellung in der Tschechoslowakei zwischen den Weltkriegen. Bei Politikern und Bürgern galt die Ansicht, dass der neu gegründete Staat immer zur Verteidigung bereit sein sollte. Deswegen wurde eine allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Doch nicht alle machten mit. Es gab auch eine pazifistische Bewegung. Ihr gehörte auch Přemysl Pitter an. Er verweigerte den Wehrdienst demonstrativ. Dennoch hielt Staatspräsident Tomáš Garrigue Masaryk - der Verfassung nach immerhin der Oberbefehlshaber der Armee - viel von Přemysl Pitter.

Bis in den Ersten Weltkrieg hinein lebte Přemysl Pitter ein gewöhnliches Leben gemessen an der damaligen Zeit. 1895 in Prag geboren absolvierte er eine Druckerlehre. Nach dem Tod seinen Vaters übernahm er das Familienunternehmen, eine Druckerei. Als der Krieg 1914 ausbrach, meldete sich Pitter als Freiwilliger an die Front, obwohl er aus gesundheitlichen Gründen auch eine Freistellung erreichen konnte. Der Bruch kommt angesichts der Kriegsgräuel. Er ist bestürzt über das, was er sieht, und er lehnt ab, weiter auf den „Feind“ zu schießen. Přemysl Pitter wird dafür nach dem Recht der K.u.k. Monarchie zum Tode verurteilt. Das Urteil wird jedoch in letzter Minute aufgehoben – bis heute ist nicht klar, warum dies geschah. Dieses Erlebnis jedoch bewegt Pitter zur kompletten persönlichen Wende. Ab da handelt er nach dem Grundsatz: „Mein Leben gehört nicht mir“. Jan Uhlíř vom militärhistorischen Institut in Prag:

„Přemysl Pitter entschied sich, die Arbeit für Hilfsbedürftige in den Mittelpunkt seines Lebens zu stellen. Nach dem Krieg studierte er Theologie und arbeitete in der Sozialabteilung des Verteidigungsministeriums. Zugleich engagierte er sich in verschiedenen humanitären Organisationen, besonders für obdachlose Kinder. Dank der Spenden von verschiedenen Förderern gelang es ihm 1933, ein eigenes Waisenhaus zu gründen. Er nannte es ´Milíč-Haus´, nach dem Namen eines mittelalterliches böhmischen Humanisten. Zuflucht in dem Haus fanden neben Straßenkindern auch bald die Kinder deutscher Anti-Nazisten, die vor Hitler in die Tschechoslowakei geflohen waren. Eines der Kinder im ´Milíč-Haus´ war im Übrigen Olga Šplíchalová, die spätere Ehefrau von Václav Havel.“

Das Milíč-Haus  (1936)
Přemysl Pitter war im Ersten Weltkrieg zu solch einem konsequenten Pazifisten geworden, dass er im neu gegründeten tschechoslowakischen Staat demonstrativ seinen Wehrpass an Staatspräsident Masaryk zurückschickte. Masaryk wiederum hob als Oberbefehlshaber bei unzähligen Gelegenheiten die Bedeutung der tschechoslowakischen Armee hervor.

„Masaryk verstand diese Geste als Äußerung von Pitters Überzeugung. Beide Männer trafen sich mehrmals persönlich. Trotz scheinbar entgegen gesetzter Meinungen behandelten sie sich mit Respekt. Die so genannte Erste Republik war ein demokratischer Staat und Pitter wurde eher milde mit einer Woche Hausarrest bestraft. Bestraft werden sollte er jedoch, weil befürchtet wurde, dass seine Geste in der Öffentlichkeit demoralisierend wirkt. Man muss in Betracht ziehen, dass die damalige Tschechoslowakei ausschließlich feindlich gesinnte Nachbarn hatte und deswegen auf eine kampffähige Armee großen Wert legte. Ins Gefängnis musste Pitter jedoch nicht gehen“, do der Historiker Uhlíř.

1938, also gegen Ende der Ersten Republik, eröffnete Přemysl Pitter in der Nähe der westböhmischen Bezirksstadt Rokycany eine Kinderheilstätte. Erneut wurden hier sowohl tschechische, als auch deutsche Kinder betreut. Angesichts der wachsenden Spannungen zwischen Sudetendeutschen und Tschechen war dies keine Selbstverständlichkeit.

Nach dem Einmarsch Hitlers in die restliche Tschechoslowakei im März 1939 und der Gründung des so genannten „Protektorats Böhmen und Mähren“ nahm das Kinderheim „Milíč-Haus“ vermehrt jüdische Kinder auf. Für Pitter bedeutete dies Lebensgefahr. Die Gestapo verhaftete den Pazifisten sogar und verhörte ihn. Dieser leugnete nicht mal seine Tätigkeit, trotzdem konnte er frei kommen. Überliefert ist, dass Přemysl Pitter mindestens eines der jüdischen Kinder vor dem wahrscheinlichen Tod bewahrt hat. Als die deutschen Okkupationsbehörden begannen, Juden in die Konzentrationslager zu verschleppen, holte Pitter ein Kind zu sich nach Hause und versteckte es. Sein bekanntestes Projekt startete Pitter jedoch gleich nach dem Krieg, im Mai 1945. Dazu Jan Uhlíř:

„Er wurde Bevollmächtigter des Tschechischen Nationalen Amtsrates und nahm vier Schlösser in der Gegend um Prag in Besitz. Dort sammelte er abgemagerte jüdische Kinder aus dem KZ Teresienstadt. Er gab ihnen medizinische Versorgung, Essen und alles Nötige, so dass sich die meisten von ihnen auf eigene Füsse stellen konnten. Das war jedoch nicht alles. Auf gleiche Weise kümmerte er sich um deutsche Kinder, die in den tschechischen Lagern litten und die als Nazi-Kinder beschimpft und behandelt wurden. In den Pitter-Heimen trafen beide Kindergruppen zusammen, was damals wahrscheinlich nirgendwo anders auf der Welt geschah - auf der einen Seite Kinder, die umgebracht werden sollten, auf der anderen Seite Kinder, deren Eltern an den Morden vielleicht teilgenommen hatten. Přemysl Pitter machte die Erfahrung, dass diese Kinder keinen Hass aufeinander hatten und sich problemlos vertrugen. Pitter verwaltete diese Schlösser ungefähr zwei Jahre lang mit Unterstützung der tschechoslowakischen Regierung. Viele Kinder, die dort einige Zeit verbracht hatten, blieben später miteinander in Kontakt. Und sie erinnerten sich liebevoll an ´Onkel Přemysl´. Später wurde Pitter für dieses einzigartige Engagement sogar mit einem Baum in der bekannten ´Allee der Gerechten´ in Jerusalem geehrt.“

Přemysl Pitter
Přemysl Pitter setzte sich am Ende des Zweiten Weltkriegs über alle Konventionen hinweg und kritisierte die Gewalt der Tschechen gegenüber vielen Deutschen. Besonders an den Lebensbedingungen in den Sammellagern für Deutsche stieß er sich - er verglich sie mit der Situation der Juden im Konzentrationslager Theresienstadt.

Zudem vermittelte Pitter während der Vertreibung der Sudetendeutschen Kontakte zwischen den getrennten Familienmitgliedern. Dabei stieß er bald auf Widerstand. Als dann im Februar 1948 die Kommunisten an die Macht kamen, wurden seine Heime verstaatlicht. Dem Wohltäter selbst drohte die Verhaftung.

„Anfang der 50er Jahre flüchtete Přemysl Pitter nach Deutschland. Er geriet ins Flüchtlingslager Falka bei Nürnberg, wo er sich ungefähr zehn Jahre lang als Laienpriester um andere Emigranten kümmerte. Er knüpfte auch Kontakte zu den vertriebenen Sudetendeutschen und beteiligte sich an den Diskussionen rund um Schuld und Vegebung. Öfter war die Stimme von Přemysl Pitter auch in den Sendungen von Radio Freies Europa zu hören. Später siedelte er in die Schweiz über, die Heimat seiner langjährigen Mitarbeiterin Olga Fierze, die ihm seit den 20er Jahren an der Seite gestanden hatte. Seine Freunde haben häufig gesagt, ohne Olga Fierze hätte Pitter nur die Hälfte erreichen können.“

Přemysl Pitter starb 1976 in Zürich. Für seine Tätigkeit bekam er zahlreiche Auszeichnungen in verschiedenen Ländern, zum Beispiel die Ehrung des Staates Israel, das Verdienstkreuz erster Klasse der Bundesrepublik Deutschland oder die Ehrendoktorwürde der Universität Zürich. Nur in der kommunistischen Tschechoslowakei wurde über ihn vollständig geschwiegen. Erst nach der Wende begannen Artikel und Bücher über diese außergewöhnliche Persönlichkeit der tschechischen Geschichte zu erscheinen.