Přemysl Šámal – graue Eminenz und Widerstandskämpfer
Vor 75 Jahren starb Přemysl Šámal in einem Berliner Gefängnis. Er war einer der interessantesten Politiker in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit. Von 1918 bis 1938 leitete er die Kanzlei des tschechoslowakischen Staatspräsidenten. Dabei diente er nacheinander Staatsgründer Tomáš Garrigue Masaryk, Edvard Beneš und Emil Hácha. Im Folgenden mehr zum Leben und Schicksal Šámals.
„Maffia, auch Geheimbund genannt, war eine illegale Organisation, die den Austausch von Nachrichten zwischen tschechischen Oppositionellen im Exil und in der Heimat vermittelte. Sie versorgte auch die gegen Österreich-Ungarn und Deutschland kämpfenden Staaten mit Informationen. Nachdem Masaryk und bald danach auch Edvard Beneš ins Exil gegangen waren, wurde Přemysl Šámal der Chef der Maffia. Seine Anwaltskanzlei und auch seine Wohnung dienten als ‚Zentrale‘. Šámals Leute betrieben auch Industriespionage, das heißt sie sammelten Informationen über die Waffenherstellung in den böhmischen Ländern. Obwohl einige Mitglieder der Maffia während des Krieges verhaftet wurden, gelang es nicht, die gesamte Organisation auffliegen zu lassen. Šámal gehörte Anfang 1918 auch zu den Autoren einer Erklärung, mit denen Reichstagsabgeordnete offiziell das Selbstbestimmungsrecht der Tschechen und Slowaken forderten. Dieser Aufruf wurde als ‚Dreikönigsdeklaration‘ bekannt.“
Enger Freund von Staatsgründer Masaryk
Šámal gehörte ab Frühling 1918 zu einer Gruppe Politiker, aus der sich später die Nationaldemokratische Partei entwickelte. Im Oktober desselben Jahres beteiligte er sich in Genf an den Verhandlungen von Vertretern des tschechoslowakischen Widerstands im Inland und im Exil. Er wurde dabei als Innenminister der ersten tschechoslowakischen Regierung gehandelt, letztlich erhielt diesen Posten jedoch Antonín Švehla, der Vorsitzende der Agrarier.Šámal wurde aber Oberbürgermeister von Prag und saß auch in der revolutionären Nationalversammlung, also im tschechoslowakischen Interimsparlament. Am 21. Dezember 1918 fiel ihm die Aufgabe zu, vor dem Rathaus auf dem Altstädter Ring Staatspräsident Masaryk bei seiner Rückkehr aus dem Exil zu begrüßen. Was die alten Freunde dann unter vier Augen besprachen, lässt sich höchstens vermuten. Kurz darauf bot jedoch Masaryk Šámal an, sein Kanzler zu werden. Petr Koura:
„Die Situation war etwas paradox. Šámal musste sich als Politiker der Nationaldemokratischen Partei entscheiden, ob er seine Karriere in diese Richtung weiterführen oder parteiloser Beamter auf der Prager Burg werden wollte. Weil er, wie schon gesagt, von Masaryk beeindruckt war, entschied er sich für die zweite Variante. Für die nächsten Jahre wurde er einer der drei engsten Mitarbeiter von Masaryk, und sicherlich hat er auch einige politische Schritte des Präsidenten beeinflusst. Das Vertrauen Masaryks entgalt er mit absoluter Loyalität. Schon bei seinem Amtsantritt erklärte Šámal öffentlich, dass er sich niemals als Politiker gegen den Staatspräsidenten erheben würde.“Gefürchtet bei den Parteivorsitzenden
Šámals Rolle beschränkte sich jedoch nicht auf bloße Verwaltungsarbeit. Die Prager Burg entwickelte sich in der Zwischenkriegszeit zu einem Machtzentrum besonderer Art. Alle wichtigen politischen Entscheidungen hierzulande wurden vor der Verabschiedung im Parlament zunächst beim Staatspräsidenten verhandelt. Dieses Machtkartell war die „Pětka“ – es waren also die fünf wichtigsten Parteien, deren Vertreter an den Verhandlungen teilnahmen. Masaryk hatte dabei das letzte Wort, ohne seine Zustimmung wagten die Parteipolitiker nichts durchzusetzen. Und Přemysl Šámal galt als „graue Eminenz“, die im Hintergrund die Fäden zog.„Es kam zu verschiedenen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien und der Prager Burg, wobei Šámal eine der Hauptfiguren der Burggruppe war. Es gibt mehrere Zeugnisse davon, dass er bei den Politikern nicht sonderlich beliebt war. Josef Stříbrný zum Beispiel, mehrfacher Minister und einflussreicher Medienmagnat, soll gesagt haben, Šámal sei ein Mann mit großem Namen, aber wenigen Fähigkeiten. Auf der anderen Seite beklagte Karel Kramář, der erste Ministerpräsident der Tschechoslowakei und später einer der bekannten Opponenten Masaryks, dass der Staatspräsident ihm Šámal ausgespannt habe. Man sieht also, dass die Meinungen der Politiker über Šámal weit auseinandergingen.“Der Kanzler blieb auch dann im Amt, als Edvard Beneš 1935 die Geschäfte von Masaryk übernahm. Dies sollte sicher auch als ein Symbol der Kontinuität gelten. An der Seite Benešs erlebte Šámal die kritischen Momente, als Hitler 1938 der Tschechoslowakei offen mit Krieg drohte.
Von der Gestapo verhaftet
Erst in der sogenannten „Zweiten Republik“, also zwischen der Abtretung der Sudetengebiete an Deutschland Ende September 1938 und der Besetzung der „Rest-Tschechei“ durch die Nazis im März 1939, legte Šámal sein Amt nieder. Doch er blieb weiter politisch aktiv. Obwohl er bereits jenseits der 70 war, begann er nach der Ausrufung des „Protektorats Böhmen und Mähren“, den Widerstand zu organisieren. Historiker Koura erinnert an Šámals damalige Worte: „Mich können sie nur töten.“„Šámal sprach die bedeutendsten Politiker verschiedener Parteien an, die nicht emigriert waren, und versuchte sie von einer gemeinsamen Widerstandstätigkeit zu überzeugen. Es sollte eine illegale ‚Pětka‘ sein, also eine Art Nachfolgeorganisation der erwähnten politischen Gruppierung aus Masaryks Zeit. Sie nahm auch tatsächlich ihre Tätigkeit auf. Ihr Ziel war es, sich auf die Niederlage der deutschen Okkupanten vorzubereiten und den ersehnten Übergang vom Protektorat zurück zur Tschechoslowakischen Republik zu steuern. Šámal und seine Kollegen, die den Widerstand gegen die Habsburger Monarchie erlebt hatten, waren allerdings etwas naiv. Sie glaubten, die deutsche Gestapo würde sich ähnlich verhalten wie früher die österreichische Geheimpolizei. Sie gingen also praktisch nicht in den Untergrund, ihre Gruppe hielt ihre Treffen in den Wohnungen Prager Intellektueller ab, die Gattinnen der Widerstandspolitiker plauderten darüber sogar in den Konditoreien. Über die ‚Pětka‘ wusste also in Prag fast jeder Bescheid.“
Und so kam es, wie es kommen musste: Die Gestapo kam der Gruppe bereits im Oktober 1939 auf die Spur. Im Januar des folgenden Jahres wurden alle Mitglieder verhaftet. Přemysl Šámal wurde nach Berlin deportiert. Noch vor dem geplanten Gerichtsprozess starb er im Untersuchungsgefängnis Alt-Moabit. Šámals Familie wurde danach von den Nationalsozialisten verfolgt. Sein Sohn Jaromír, ein anerkannter Zoologe, wurde verhaftet und zu Beginn der sogenannten „Heydrichiade“ hingerichtet. Das war jedoch den Nazis nicht genug. Jaromírs Kinder, der damals neunjährige Jiří und die fünfjährige Alena, wurden gemeinsam mit den Kindern aus dem vernichteten Dorf Lidice nach Lodz deportiert. Sie wurden zur „Germanisierung“ in eine deutsche Familie gegeben. Die Historiker vermuten, dass dies auf persönlichen Befehl von SS-Reichsführer Heinrich Himmler geschah. Nach dem Krieg wurden beide Kinder wieder gefunden, sie wurden ihrem Onkel zur Erziehung anvertraut.