Private Radiosender in Tschechien

Radio1

Nicht die Presse, sondern der Hörfunk steht heute "Im Spiegel der Medien". Und zwar privater Hörfunk. Ein Medienbereich, der sich erst nach der politischen Wende von 1989 in Tschechien entwickeln konnte. 76 Sendelizenzen hat der Tschechische Rundfunkrat seitdem an private Radiosender vergeben. Nur zwei davon dürfen landesweit, die anderen regional senden. Daniel Satra hat sich für Sie bei den Privaten umgehört.

Zu viele private Radiosender, meint Michel Fleischmann, Direktor des landesweiten Radiosenders Evropa 2. Das sei ein typisch tschechisches Problem seit 1989. Denn die Lizenzvergabe an private lokale und regionale Radiomacher habe zu einer großen Zerfaserung im Hörfunksektor geführt. Erst jetzt entstehen Kooperationen in Programm-Netzen:

"In Frankreich hat das Zusammenlegen und Verbinden der einzelnen Subjekte zum Beispiel nur fünf Jahre gedauert, von 1981 bis 1986. Hier in Tschechien gibt es solche Bestrebungen erst seit dem vergangenen Jahr."

Der Kern des Problems liegt in der Zahl der Radiostationen, meint Fleischmann. Denn bei den Privaten belebt die Konkurrenz nicht immer die Qualität des Angebots - im Gegenteil: Konkurrenz bei tschechischen Privatradios führt, zumindest gegenwärtig, zu Gleichmacherei, wie Fleischmann betont:

"Das ist schon lange das Problem in Tschechien: Der Tschechische Rundfunkrat hat Lizenzen an eine große Zahl von Betreibern vergeben. Weil aber der Werbemarkt in Tschechien nicht ausreichend groß ist, haben die Betreiber natürlich sehr ähnliche Programme zusammengestellt. Um dem aus dem Weg zu gehen, um zielgerichtete Programme für die unterschiedlichen Kategorien der Hörerschaft entwickeln zu können, braucht man mehr finanzielle Mittel. An diese Mittel kommt man eher durch Zusammenlegungen oder als ein starkes Unternehmen heran."

Ein ganz anderes Beispiel aus dem tschechischen Privathörfunksektor, das der Konkurrenz so gar nicht ähnlich sieht, ist Radio1:

"Ahoj, ahoj! Hoj, hoj, hoj. Radio jedna"

"Radio jedna" ist Radio1: Der kleine Prager Privatsender mit dem jugendlichen Image hieß zuerst "Radio Stalin", und war für zwei Monate als Piratensender im Äther in der tschechischen Hauptstadt zu empfangen. Junge Radiomacher aus Frankreich hatten ihren tschechischen Freunden nach der politischen Wende von 1989 spontan die Sendetechnik geliehen. Das Programm, das nach jahrzehntelanger Zensur in der realsozialistischen Tschechoslowakei ein Vakuum füllen wollte, fußte zuerst auf Rock: Led Zeppelin, The Who, Black Sabbath und Co. Heute heißt Radio1 längst nicht mehr nur Rock. Radio1 zieht einen Querschnitt durch die Weiten des Klangraums alternativer Musik:

"Ja, schmeckt gut, Radio1!"

Soviel zum Eigenlob im Jingle des Senders, und das teilen täglich rund 30 000 Hörer im Sendegebiet Prag. Von Punk über Jazz, HipHop, TripHop, Drum `n` Base bis Reaggea und Dub. Krystof Koenigsmark ist seit Mitte der 90er Jahre einer von 50 Moderatoren. Die heißen bei Radio1 Djs, denn eine Playlist aus dem Computer gibt es bei den Prager Radiomachern nicht.

"Das Hauptding war: Alle Leute, die dort gearbeitet haben, haben nur das gespielt, was sie auch wollten. Das war 1995. Alle haben für lau gearbeitet, aber es hatte dadurch sehr viel Aroma sozusagen. Niemand konnte sagen 'Das machst du nicht, und das auch nicht, spiel das nicht, und geh weg!' oder so."

Geldmangel und Motivation allein ist nicht das Rezept für gutes Radio, meint Krystof Koenigsmark. Viele Moderatoren, die Zeit und Lust haben sich um- und einzuhören, in Neuerscheinungen zu stöbern, so das Rezept. Und vor allem: kurze Arbeitszeiten! Punktuelle Kreativität, anstatt massiver Mainstream:

"Einer arbeitet drei oder sechs Stunden pro Woche, ein anderer füllt nur eine Stunde pro 14 Tage, ein anderer wiederum hat acht Stunden pro Woche. Aber das ist das Maximum."

Keiner der meist jungen Radiomacher hat eine Ausbildung im Hörfunkbereich. Doch das Autodidaktische ist auch die Frische-Garantie bei Radio1: authentischer Small Talk im Interview mit bekannten und unbekannten Größen der DJ-Szene oder banale Hörertelefonate um 4 Uhr morgens: Umgangston als Radio-Format. Bis auf fünf, sechs Verwaltungsmitarbeiter hat Radio1 keine Angestellten. Der 26-jährige Koenigsmark, seit einem Jahr Student, hält sich mit Reklame-Clips für Radio1-Kunden über Wasser. Und die anderen:

"Keiner von uns arbeitet regelmäßig beim Rundfunk. Alle machen wirklich alles mögliche: Der eine arbeitet beim Handelsministerium, einer von uns hat eine kleine Plattenfirma, einer ist Chefredakteur eines Musikmagazins und ein paar haben in den großen Unternehmen wie Warner Music, Polygram und Universal gearbeitet, aber heute nicht mehr so viele."

Frequenz 91,9. Der kleine Hörfunksender hat Schwerpunkte auf Teenie- und Twen-Livestyle, Musik, Unterhaltung aber auch Hintergrundberichte zu Konzerten, Tourneen und Neuerscheinungen. Hin und wieder eine verstaubte Rock oder Punk-Nummer aber überwiegend Zeitgenössisches senden die Djs raus in ihre Stadt Prag. Hörer findet Radio1 jedoch weltweit. E-mail-Zuschriften aus Australien, Malaysia und gar Nepal loben das Programm der jungen Prager. Denn Radio1 können Hörer auch über das Internet empfangen. Und wie steht's um das Programm-Schema? Meist stochern die Moderatoren in den kleinen tschechischen und großen weltweiten Alternativ-Nischen. Neben Air, Red Hot Chili Peppers oder Placebo stehen unbekanntere Szene-Größen wie Dynamite MC oder Skyline:

Hip, angesagt aber unkompliziert und mit viel Selbstironie sind die Prager bei der Sache. Mehr schlecht als recht konnte sich Radio1 mit seiner Nischenstrategie in den 90er Jahren über Wasser halten. Zwar hatten Marktforscher herausgefunden, dass vor allem Studenten und junge Manager ihre Radios auf 91,9 einstellen, dennoch: Die Werbeeinnahmen spielten kaum die Ausgaben ein. Dabei dreht sich bei Privaten finanziell alles um die Reklame.

Überlebt hat Radio1 schließlich, weil es einen Käufer gab: Seit 1997 gehört der Sender dem US-amerikanischen Unternehmen Metromedia International. Nachdem die Amerikaner den Pragern zwei Jahre lang eine Playlist aufgenötigt hatten, befreiten sinkende Hörerzahlen die DJs aus dem engen Korsett musikalischer Vorgaben. Die Hörer protestierten, sie wollten Radio1 zurück, so wie sie es kannten:

"Wir hatten niemals viele Hörer, aber die, die uns hören, die sind ein bisschen fanatisch, die hören auch kein anderes Radio."

Eine eingeschworene Hörerschaft soll auch belohnt werden, meint Krystof Koenigsmark. Neben Unabhängigkeit in der Programmgestaltung ist ihm in Sachen Radioqualität jedoch ein Punkt besonders wichtig, ein Punkt den Radio1 seiner Meinung nach erfüllt:

"Alle anderen Radiosender sagen über uns, dass wir ein Amateurradio sind. Die sagen zum Beispiel: 'Die Leute bei Radio1 sprechen wirklich schrecklich, und die wissen nicht was sie reden.' Aber es ist mit Ehrlichkeit gemacht, und ich kann den Leuten vertrauen - das ist das einzige, was ich brauche."