Blick ins Archiv: Radio Prag International feiert 87. Geburtstag

Tafel der Rundfunkausstellung über internationale Sendungen (1933)

Am Donnerstag feiert Radio Prag International, ehemals Radio Prag, seinen 87. Geburtstag. Normalerweise nutzen wir ja nur runde Jahrestage für historische Rückblicke. Aber weil der Tschechische Rundfunk in diesem Jahr sein 100. Jubiläum begeht, haben die Kollegen vom Archiv auch noch einmal genauer nachgeschaut, wie sich der Auslandssender über das vergangene Jahrhundert hinweg entwickelt hat. Erinnern wir uns nun also an alte Jingle, Radioansprachen bedeutender Tschechoslowaken auf Deutsch und an das einstige „Interprogram“.

Das Gebäude des Tschechoslowakischen Rundfunks in der Vinohradská Straße in Prag  (1930) | Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks

Dass Rundfunkwellen keine Grenzen kennen, haben sich die Pioniere des Radios in Europa schnell zunutze gemacht. Das tschechoslowakische Radiojournal produzierte ab 18. Mai 1923 seine regelmäßigen Sendungen, und schon bald ging die Zielgruppe über die Hörer im Inland hinaus. Archivar Tomáš Pánek berichtet:

„Das reguläre Programm empfingen auch Radiohörer in Deutschland, Österreich oder Polen. Ebenso konnten die Menschen in der Tschechoslowakei Sendungen aus dem Ausland anhören. Das geschah allerdings noch nicht gezielt. Dass Radiowellen bis ins Ausland reichten, war eher ein ungewollter Nebeneffekt. Die Rundfunkmacher wussten aber gut genug, dass dies auch genutzt werden konnte.“

Tomáš Garrigue Masaryk  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Und so wurden aus Prag schon Mitte der 1920er Jahre Vorträge auf Französisch, Deutsch und Englisch Richtung Ausland gesendet. Darin sei, so Pánek weiter, unter anderem die lange Tradition der politischen und gesellschaftlichen Eigenständigkeit erläutert worden, auf die sich die Gründung der Tschechoslowakischen Republik 1918 stützte. Diese ältesten Aufnahmen seien leider nicht erhalten geblieben, bedauert der Archivar. Aber die Textversionen fast aller Beiträge seien im Kellergeschoss des Prager Rundfunkhauses eingelagert.

Radio Prag in den 1930er Jahren | Foto: Radio Prague International

Auf einer der ältesten erhaltenen Tonaufnahmen spricht der damalige tschechoslowakische Präsident, Tomáš Garrigue Masaryk, auf Englisch zu den Menschen in den USA. Die Rede wurde am 22. Februar 1932 gesendet, Anlass war der 200. Geburtstag George Washingtons.

Politische Botschaften, Propaganda oder auch Friedensappelle wurden im Folgenden zum festen Bestandteil jener Sendungen des Tschechoslowakischen Rundfunks, die sich gezielt an eine Hörerschaft jenseits der Grenze richteten. Dabei habe es sich aber noch nicht um einen eigenständigen Sender gehandelt, betont Pánek:

Josef Laufer,  1928 | Foto: Tschechischer Rundfunk

„Die Selbstdarstellung der Tschechoslowakei anhand von Vorträgen in anderen Sprachen bei der ersten Prager Radiostation war zunächst nur eine Art Notlösung. Seit 1926 entwickelte sich in Europa aber etwas viel Besseres, für das der Name ‚Mitteleuropäischer Rundfunk‘ bekannt wurde. Das Projekt wurde sogar von der Internationalen Rundfunkunion unterstützt. Es ging darum, die Bewohner der mitteleuropäischen Staaten mit den einzelnen Nationen bekannt zu machen und so den Boden zu bereiten für eine politische Verständigung. Beteiligt waren Rundfunkstationen aus Deutschland, Polen, Jugoslawien, Österreich, Ungarn und eben auch das tschechoslowakische Radiojournal. Jede von ihnen musste alle 14 Tage ein landestypisches Abendprogramm produzieren, das vor allem aus Musik und Lesungen bestand.“

Sender in Poděbrady | Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks

Schon Ende 1932 habe Deutschland aber begonnen, dieses mitteleuropäische Radioprojekt für seine feindselige Propaganda zu missbrauchen, fährt der Archivar fort. Daraufhin hätten sich alle Mitgliedsländer nach und nach zurückgezogen – und sich auf den Aufbau eigener Auslandssender konzentriert.

Vom Provisorium zum professionellen Sender

In der Tschechoslowakei wurden dafür bald leistungsstarke Sendemasten errichtet. Einer davon stand im mittelböhmischen Poděbrady, und seit dem 31. August 1936 wurden hier die regelmäßigen Auslandsprogramme in die Welt geschickt. Deutsch ist – neben Englisch oder Französisch – seitdem eine der Hauptsprachen des Senders, der später Radio Prag heißen sollte. Und eben auf Deutsch versuchte sich der Elektrotechniker und Erfinder František Křižík, als er am Heiligabend 1937 eine Grußbotschaft an den in den USA lebenden Albert Einstein richtete:

František Křižík | Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks

„Lieber Professor Einstein, ich wünsche Ihnen zum neuen Jahr viel Glück und Gesundheit. Tragen Sie auch weiterhin durch Ihre Arbeit zur Förderung der Wissenschaft und zur Verständigung aller Völker bei.“

In derselben Sendung wandte sich auch der Schriftsteller Karel Čapek mit einer Friedensbotschaft an den Philosophen Rabindranath Tagore in Indien. Ein Großteil des Programms von Radio Prag richtete sich zu der Zeit allerdings nach Nordamerika. Und fast 90 Jahre alte Hörerzuschriften gibt es laut Tomáš Pánek sogar aus Australien.

Karel Čapek | Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks

Mit Blick auf die europäischen Nachbarländer wurden für die Tschechoslowakei damals eine souveräne Selbstdarstellung und die Suche nach Verbündeten immer wichtiger. Genauso richtete sich die Widerlegung der nationalsozialistischen Propaganda aber auch an die eigenen Landsleute, die in anderen Staaten lebten. So etwa mahnte am 14. Juli 1938 der Journalist und Historiker František Bauer:

„Die sogenannte tschechoslowakische Frage wird künstlich verdreht durch die deutsche Propaganda, die zuvor schon die Eigenständigkeit Österreichs zerstört hat. Die Faust dieser Propaganda wirkt jetzt auch in der Tschechoslowakei, denn das deutsche Regime muss seinen Anhängern außenpolitische Erfolge präsentieren. Die deutsche Propaganda versucht, dem ehrenhaften Ansehen der Tschechoslowakei überall in der Welt zu schaden.“

Und mit einer Rede auf Deutsch wandte sich der damalige Präsident, Edvard Beneš, am 10. September 1938 direkt an die Hörerschaft im Nachbarland:

Edvard Beneš | Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks

„Ich spreche zu Ihnen in diesem kritischen Ausgenblick über uns, über unsere Stellung inmitten dieser aufgeregten Welt. Und ich spreche zu Ihnen allen – zu den Tschechen und Slowaken, zu den Deutschen und zu den übrigen Nationalitäten. Und unter ihnen wiederum zu allen Parteien, zu allen Gruppen und zu allen Lagern. Ich spreche zu Ihnen vor allem als Menschen, die Ruhe und Frieden wollen und in anderen die menschliche Würde und den guten Willen erkennen.“

Insgesamt 20 Minuten dauert die eindringliche Ansprache Benešs. Eine der Abschlusspassagen lautet:

„Wenn wir unsere nationalen Angelegenheiten in Frieden und in gegenseitiger Zusammenarbeit lösen werden, so wie wir eine Reihe anderer Fragen zu lösen unternommen und erfolgreich gelöst haben, wird unser Vaterland zu den schönsten, am besten verwalteten, reichsten und gerechtesten Ländern der Erde gehören. Kann es für jemanden, der in diesem Lande lebt, etwas Verlockenderes geben, als diese Aussicht?“

20 Tage, nachdem Beneš derart an den guten Willen der Deutschen appelliert hatte, wurde das Münchner Abkommen unterzeichnet.

Brief des Hörerklubs in Zaire

Mit der Machtübernahme der Kommunisten im Februar 1948 wurde der Auslandssender des Tschechoslowakischen Rundfunks zu einem Propagandainstrument. Mit den Sendungen in Richtung Westeuropa und Nordamerika wurde die neue Staatsideologie verteidigt und weiter zu verbreiten versucht. Der zweite Teil des Programms von Radio Prag galt hingegen – und das deutlich erfolgreicher – den Bruderländern im Sowjetblock. In vielen dieser Staaten gründeten sich Hörerklubs. Aus der damaligen Republik Zaire stammt folgender Brief aus den 1980er Jahren:

„Unser Klub setzt sich aus jungen Leuten zusammen. Sein Ziel ist, andere junge Menschen in Zaire über die Nachrichten aus der Tschechoslowakei zu informieren und ihnen die Werte der sozialistischen Gesellschaft zu vermitteln. Dafür haben wir die Tschechoslowakei als Beispielland gewählt, anhand dessen wir uns ein Bild von allen sozialistischen Ländern machen können.“

Die meisten Zuhörer in Afrika konnten mit dem französisch- oder auch englischsprachigen Programm erreicht werden. Seit dem 1. Dezember 1965 gab es zum Beispiel aber auch Sendungen auf Suaheli…

Kampf um das Rundfunkgebäude 1968  (Foto: Archiv von Pavel Macháček)

Mit der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 ging zwar die Zeit der Reformen und dezenten ideologischen Öffnungen abrupt zu Ende. Aber auch die Propaganda im Sinne des Kalten Krieges schien damit überwunden. Weiter Tomáš Pánek:

„Der Auslandssender des Tschechoslowakischen Rundfunks war in der Zeit der Normalisierung schon nicht mehr so ideologisch aufgeladen und dogmatisch. 1972 wurde das sogenannte ‚Interprogram‘ eingeführt, das vor allem aus Unterhaltungsmusik bestand, die mit Nachrichtensendungen ergänzt wurde. Die Musikauswahl war ganz gut. Menschen aus dem Ausland und auch Touristen hörten sie ebenso wie Tschechen, die in den Westen ausgereist waren. Das Programm war ziemlich beliebt – aber eben eher wegen des Musikanteils, als wegen der Nachrichten.“

Für die Jingles von Radio Prag wurde schon seit den 1930er Jahren traditionell das Motiv der Symphonie „Aus der Neuen Welt“ von Antonín Dvořák verarbeitet. Radio Prag hatte immer auch eine einheimische Redaktion. Die Sendungen auf Tschechisch sollten für die Landsleute in anderen Ländern den Kontakt zur alten Heimat aufrechterhalten. Auch das ‚Interprogram‘ hat dabei laut Pánek eine wichtige Rolle gespielt. In einer Sendung, bei der auf die Hörerpost geantwortet wurde, fasste die stellvertretende Redaktionsleiterin des „Interprogram“, Dagmar Widimská, am 16. April 1986 zusammen:

„Interprogram Radio Praha hat zweierlei Ausrichtungen. Vor allem soll es die Hörer in den Ländern Westeuropas über verschiedene Aspekte des Lebens in unserem Land informieren und auch über die Haltung der Tschechoslowakei sowie der anderen sozialistischen Länder in außenpolitischen Fragen. Wir wollen die Menschen der europäischen Länder mit unserer Kultur, Geschichte, Wissenschaft sowie mit dem Sport bekanntmachen. Interprogram Radio Praha ist zweitens aber auch ein Fremdenführer durch die Tschechoslowakei für ausländische Besucher, die jedes Jahr in großer Zahl in unser Land kommen.“

Radikale Verkleinerung der Redaktionen nach 1990

Bis 1989 waren in den verschiedenen Redaktionen von Radio Prag etwa 350 Menschen beschäftigt. Nach der Wende wurde das Personal erheblich reduziert. Im April und Mai 1990 wurden die Fremdsprachenprogramme für fünf Wochen sogar ganz eingestellt. Danach blieben neben den tschechisch-slowakischen Sendungen nur jene auf Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch erhalten, später kam die russische Redaktion hinzu.

Die Studios von Radio Prag | Foto: Radio Prague International

Der Tschechische Rundfunk wurde 1993 zu einem öffentlich-rechtlichen Medium und wird seitdem durch gesetzlich festgelegte Gebühren finanziert. Das Geld für den Auslandssender komme allerdings von anderer Stelle, erläutert Archivar Pánek:

„In den 1990er Jahren wurde Radio Prag kurzzeitig vom Regierungsamt finanziert, seitdem aber vom Außenministerium. Interessant ist, dass der Tschechische Rundfunk damals eine Ausschreibung gewinnen musste zum Betrieb des Auslandssenders. Dies gelang, weil er schon seit den 1920er Jahren die entsprechenden Erfahrungen und eben diese Tradition hatte. Privatsender konnten da offenbar nicht mithalten.“

Und so ist es bis heute. Die Ausstrahlung der Berichte aus und über Tschechien in alle Welt wird mit dem aktuellen Namen des Senders noch einmal extra betont: Seit dem 1. September 2019 sind wir Radio Prag International.

Autoren: Daniela Honigmann , Naďa Reviláková | Quelle: Český rozhlas
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