Quereinsteiger als Trumpf: Tschechiens Parteien auf der Suche nach parteilosen Kandidaten für die bevorstehenden Parlamentswahlen
Die heutige Ausgabe unserer Sendereihe Schauplatz steht ganz im Zeichen der bevorstehenden Parlamentswahlen im Juni nächsten Jahres. Über das hastige Suchen der Parteien nach neuen Gesichtern für ihre Kandidatenlisten, sowie mögliche Nach-Wahl-Szenarien erfahren Sie mehr von Robert Schuster.
Ein Phänomen des beginnenden Wahlkampfs ist sicherlich, dass zumindest einige Parteien geradezu besessen zu sein scheinen, populäre parteilose Persönlichkeiten als Kandidaten auf wählbaren Plätzen aufzustellen. So sind etwa die regierenden Sozialdemokraten von Premierminister Jiri Paroubek seit Wochen auf der Suche nach einem, womöglich parteilosen, Spitzenkandidaten für den prestigeträchtigen Prager Wahlkreis und mussten bislang gleich zwei Absagen zur Kenntnis nehmen: Die eine kam vom parteilosen Stellvertreter des Premiers Martin Jahn, dessen liberale Standpunkte zu Wirtschaftsfragen in der Vergangenheit schon des Öfteren mit der reinen sozialdemokratischen Parteilehre an einander gerieten. Der zweite umworbene Kandidat, der jedoch ebenfalls das Angebot ausschlug, war der frühere Diplomat und Chefunterhändler des tschechischen EU-Beitritts, Pavel Telicka.
Weitaus erfolgreicher waren bei ihrer Suche nach einem parteilosen Spitzenkandidaten jedoch die ebenfalls mitregierenden Christdemokraten, die mit dem früheren Fußballspieler und Trainer Frantisek Straka zumindest in sportlicher Hinsicht ein wirkliches Schwergewicht anwerben konnten.Haben wir es also angesichts des bunten Treibens und Suchens nach politischen Quereinsteigern mit einer neuen Tendenz in der tschechischen Politik zu tun, oder ist das eher als eine vorübergehende Erscheinung zu werten? Das fragten wir den Politikwissenschaftler Bohumil Dolezal von der Prager Karlsuniversität:
"Zuerst würde ich sagen, dass ist bei uns eine gewisse Tradition. Bei uns wurde besonders in der Zeit des früheren Präsidenten Havel immer wieder betont, dass die politischen Parteien etwas Unvollkommenes seien und partielles sind und dass man im Grunde genommen unabhängig sein soll, dass sich in der Politik eher unabhängige Persönlichkeiten durchsetzen sollen, die sich dann gelegentlich zu gewissen Gruppierungen formieren. Die zweite Sache ist, dass die Öffentlichkeit im Grunde mit den bestehenden politischen Parteien sehr unzufrieden sind, weil sie auch sehr unvollkommen sind. Das ist aber nicht ein Fehler des Parteienwesens, sondern eben dieser konkreten Parteien. Die dritte Sache, die dabei eine gewisse Rolle spielt, ist eine Art Populismus. Für die Öffentlichkeit, die sich noch nicht an die demokratische Politik gewöhnt hat, sind populäre Persönlichkeiten in der Kultur oder im Sport attraktiver, als professionelle Politiker. Also ich sehe das nicht als etwas Gutes, aber ich ebenso wenig davon überzeugt, dass das der Ausdruck einer Not wäre. Ein mittelmäßiger Politiker ist immer besser, als ein Popstar im Parlament."
Nicht nur die aktuellen Prognosen gehen davon aus, dass es im künftigen tschechischen Abgeordnetenhaus sehr knappe Mehrheitsverhältnisse geben könnte. Schon in der gegenwärtigen Legislaturperiode, die bald zu Ende gehen wird, gab es bei wichtigen Abstimmungen im Parlament oft eine Pattsituation zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien. Ist es angesichts dieser Tatsache nicht ein Risiko, vor den Wahlen parteifreie Kandidaten an wählbarer Stelle zu nominieren, die sich dann im Parlament als politische Leichtgewichte oder unsichere Kantonisten entpuppen könnten? Können also die ursprünglich vor den Wahlen erhofften zusätzlichen Stimmen überhaupt die möglichen negativen Folgen überwiegen? Dazu meint der Politologe Dolezal:
"Also ich glaube, das ist nicht so dramatisch. Diese Leute werden vom Parteiapparat und vom Service, den sie bekommen, abhängig. Wenn ihnen die Partei diesen Background nimmt, werden sie im Parlament völlig machtlos sein. Sie können also nur dann Erfolg haben, in dem sie sich an eine politische Kraft anlehnen. Die einzige Gefahr besteht in diesen Fällen darin, dass diese politischen Neulinge nicht verlässlich sein können und auch zu einer anderen Partei übertreten können. Das ist wirklich ein Risiko, das muss ich gestehen."
Eine wichtige Rolle wird bei den innenpolitischen Weichenstellungen des nächsten Jahres sicherlich Präsident Vaclav Klaus spielen. Gemäß seinem Amtsverständnis ein aktives Staatsoberhaupt sein zu wollen, lässt sich erwarten, dass Klaus den relativ breiten Spielraum, den ihm die Verfassung vor allem während der Regierungsbildung zugesteht, ausschöpfen wird. Wie wird es aber um das Verhalten des Präsidenten während des beginnenden Wahlkampfs bestellt sein?Auch hier hat er in den vergangenen Tagen angedeutet, dass er andere Wegen beschreiten will, als man vielleicht erwarten würde. So nahm Klaus vergangenes Wochenende am Parteitag der tschechischen Christdemokraten teil. Er hielt dort eine Rede in der er der christdemokratischen Volkspartei Rosen streute, sie als wichtige staatstragende politische Kraft bezeichnete und ihr für die bevorstehenden Wahlen alles Gute wünschte.
Was waren die Motive des Präsidenten, der nach wie vor Ehrenvorsitzender der rechtsliberalen Bürgerdemokraten ist? Gab er durch den Auftritt seine Koalitionspräferenzen zu erkennen, oder wollte er sich gar die Unterstützung der Christdemokraten für eine Wiederwahl als Präsident versichern? Hören Sie dazu den Prager Politologen Bohumil Dolezal:
"Das ist selbstverständlich möglich. Meiner Meinung nach sollte sich der Präsident auf diese Weise nicht in der Tagespolitik engagieren und dadurch indirekt eine Partei unterstützen. Denn bei der Popularität, die Klaus genießt, bedeutet das sicher eine Unterstützung der Volkspartei. Aus meiner Sicht ist es überhaupt ein Fehler, wenn der Präsident den Kongress einer Partei besucht. Er soll nämlich im gewissen Sinne über den Parteien stehen, das heißt zu allen Parteien gleich neutral zu sein. Neutral ist man am besten dann, wenn man an diesen Parteitagen nicht teilnimmt."Bleiben wir noch eine Weile beim tschechischen Präsidenten. Dessen Sonderstellung im Rahmen des politischen Gefüges war schon in den Zeiten der so genannten Ersten Republik sehr markant und führte sogar zur Entstehung des Mythos von der Prager Burg als wichtiger politischer Schaltstelle, wo vor allem im Hintergrund die Fäden gezogen wurden. Wie ist es aber heute um die reale politische Macht des tschechischen Präsidenten bestellt? Hören Sie dazu abschließend noch einmal den Politikwissenschaftler Bohumil Dolezal von der Prager Karlsuniversität:
"Also ich muss sagen, die Position des Präsidenten hat sich in den letzten Monaten dramatisch verschlechtert. Alle Meinungsumfragen zeigen jetzt, dass es überhaupt nicht ausgeschlossen ist, und es sogar wahrscheinlich ist, dass die Sozialdemokraten zusammen mit den Kommunisten immer wieder eine latente Mehrheit im tschechischen Parlament haben werden und der Premier Paroubek unterschiedet sich von seinen Vorgängern Spidla und Gross darin, dass er sich nicht weigert diesen Vorteil zu nutzen und mit den Kommunisten eine stille Koalition zu bilden. Das würde die Bildung einer Minderheitsregierung bedeuten, die formell gesagt eine Unterstützung quer durch das Parlament suchen würde, aber faktisch diese Unterstützung nur bei der kommunistischen Partei findet. Die ODS wird zwar die stärkste Partei sein, aber in der Opposition, denn auch mit der Volkspartei wird sie keine Chance haben gegen diese Mehrheit etwas zu unternehmen. Der Präsident wird in dieser Situation faktische machtlos sein, denn er hat keine Mittel es zu verhindern. Sollte es der ODS nicht gelingen eine Regierung zu bilden, was sehr wahrscheinlich ist, muss er dann Paroubek oder einen anderen Sozialdemokraten mit der Regierungsbildung beauftragen. Dann wird diese Regierung die Mehrheit im Parlament bekommen und Klaus wird mit seinen Anhängern in der Minderheit sein."