Jahreswende in der tschechischen Innenpolitik: Was brachte das Jahr 2005, was steht im Jahr 2006 bevor

In der Neujahrs-Ausgabe unseres Schauplatzes blickt Robert Schuster noch einmal auf die Ereignisse des zu Ende gegangenen Jahres aus der Sicht der tschechischen Innenpolitik zurück und wagt auch einen Ausblick auf das Jahr 2006. Im Mittelpunkt stehen dabei insbesondere die bevorstehenden Wahlen auf nationaler und kommunaler Ebene.

Das Jahr 2005, das vor kurzem zu Ende gegangen ist, war aus der Sicht der tschechischen Innenpolitik besonders reich an Ereignissen. Es war von der bislang tiefsten Krise einer amtierenden tschechischen Regierung geprägt, die es seit der Wende und der Rückkehr zur Demokratie je gegeben hat. Genauso aber waren die unreformierten tschechischen Kommunisten noch nie so nah an einer Machtbeteiligung, wie im vergangenen Jahr. Zu erwähnen wären natürlich auch noch die zahlreichen Sticheleien zwischen Regierung und Staatspräsident, die es nicht nur wegen deren unterschiedlichen Positionen in der Europa-Frage gab, oder einige äußerst diskutable Einsätze der tschechischen Polizei, die jedoch ohne politische Konsequenzen blieben.

Was war aus der Sicht des tschechischen Politikwissenschaftlers Bohumil Dolezal von der Prager Karlsuniversität das wichtigste Ereignis des vergangenen Jahres?

Stanislav Gross
"Also das Wichtigste war meiner Meinung nach die Überwindung der inneren politischen Krise der tschechischen Sozialdemokratie. Die stärkste Regierungspartei stand zu Beginn des vergangenen Jahres vor dem faktischen Zerfall. Schon das Jahr zuvor haben die Sozialdemokraten nach ihrem schlechten Abschneiden bei den Europawahlen ihren Parteichef und Ministerpräsidenten Vladimir Spidla gegen Stanislav Gross ausgetauscht. Doch Gross verwickelte sich in einen tragikomischen Skandal im Zusammenhang mit der Finanzierung seiner Wohnung. Eine Zeit lang sah es so aus, als ob die Sozialdemokraten dadurch so einen Schlag bekommen hätten, von dem sie sich nicht mehr erholen können. Doch dann kam es zu einem erneuten Wechsel an der Regierungsspitze von Gross zu Jiri Paroubek und Paroubek ist es in einer sehr kurzen Zeit gelungen die Lage innerhalb der Partei völlig zu stabilisieren. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass diese Stabilisierung durch Methoden erreicht wurde, die Bedenken erwecken."

Jiri Paroubek hat es nicht nur tatsächlich geschafft die ehemals tief zerstrittene sozialdemokratische Partei zu einen und zu ihrem unangefochtenen Führer aufzusteigen. Der amtierende Premier erweckt mit seinem Regierungsstil auch immer öfter Erinnerungen an den früheren sozialdemokratischen Regierungschef Milos Zeman, der im Jahr 1998 seiner Partei zunächst durch einen beinharten und teilweise auch populistisch geprägten Oppositionskurs zum Wahlsieg verhalf, sich dann aber als Regierungschef durchaus pragmatisch gab.

Ministerpräsident Jiri Paroubek
Dennoch ist sicherlich die Frage berechtigt, in wie weit die Ereignisse des abgelaufenen Jahres, insbesondere die vielen Skandale, die Wahlen, die für Juni 2006 geplant sind, beeinflussen können? Wie weit reicht das politische Gedächtnis der tschechischen Wähler zurück? Dazu meint der Politologe Bohumil Dolezal:

"Ich befürchte in diesem Augenblick, dass alle diese Angelegenheiten zwar ernst waren, waren aber gleichzeitig mit dem Rücktritt der Betroffenen relativ rasch erledigt wurden. Ich habe den Eindruck, dass sie jetzt fast schon vergessen sind und dass sie keinen großen Einfluss auf die Wahlen im nächsten Jahr haben werden. Den Umfragen gemäß ist zwar die Sozialdemokratie stets die zweitstärkste Partei im Land, sie ist aber in dieser Situation im Stande eine stabile Regierung mit einer latenten Unterstützung der kommunistischen Partei zu bilden. Die rechtsliberale ODS ist zwar nach den Umfragen konstant die stärkste Partei, aber zusammen mit den Christdemokraten werden die Bürgerdemokraten wohl keine Mehrheit im Abgeordnetenhaus erreichen."

Präsident Vaclav Klaus
Eine wichtige Rolle wird nach den Wahlen zweifellos Staatspräsident Vaclav Klaus spielen. Der bürgerliche Präsident war vor seiner Wahl ins höchste Staatsamt vor gut drei Jahren sehr lange Vorsitzender der rechtsliberalen Demokratischen Bürgerpartei (ODS), wobei gerade diese Partei gemäß den Umfragen nach wie vor gute Aussichten hat bei den Wahlen im Juni als stimmenstärkste Partei durch die Zielgerade zu kommen. Klaus wird dann - je nach Ausgang der Wahlen - vielleicht einen Drahtseilakt vornehmen müssen: Wird er der Parteiräson gemäß auf jeden Fall den Vertreter seiner früheren Partei mit der Regierungsbildung beauftragen und zwar auch dann, wenn dessen Aussicht auf die Bildung einer stabilen Mehrheitsregierung gering wäre? Oder wird sich Klaus staatstragend geben und gegebenenfalls auch einen Sozialdemokraten als ersten den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen? Bohumil Dolezal:

"Der Präsident hat gemäß der Verfassung ganz freie Hand bei der Entscheidung, wen er zum Ministerpräsidenten ernennt. Er ist nicht verpflichtet den Vertreter der stärksten Partei zu nominieren. Aber das ist dann auch schon alles, was er in dieser Frage unternehmen kann. Sollte er zweimal mit seinem Personalvorschlag scheitern, ist der Vorsitzende des Abgeordnetenhauses an der Reihe und hat das Vorschlagsrecht. Das wird höchstwahrscheinlich ein Sozialdemokrat sein, denn diese Wahl kann der Präsident nicht beeinflussen. Der Vorsitzende des Abgeordnetenhauses wird zweifellos einen Sozialdemokraten - mit großer Wahrscheinlichkeit wieder Jiri Paroubek - ernennen und dieser wird dann ganz leicht eine Mehrheit im Parlament bekommen. Mit anderen Worten: Der Präsident hat die Möglichkeit das alles zu verzögern, oder zu sabotieren, aber er kann nicht jemanden nominieren, der dann nur auf Grund des Willen des Präsidenten die Mehrheit im Abgeordnetenhaus bekommt. Das geht nicht."

Sozialdemokraten
Gegenwärtig sind verschiedene politische Konstellationen nach den Wahlen vom Juni vorstellbar. Es ist dabei auffällig, dass vor allem führende Sozialdemokraten, einschließlich ihres Spitzenkandidaten Jiri Paroubek, immer stärker die Variante einer Minderheitsregierung ins Spiel bringen, die sich dann die parlamentarische Unterstützung für ihre Vorlagen quer durch das Parlament suchen müsste. In Tschechien kam dieses Modell in der Gestalt, wie es sie häufig in Skandinavien anzutreffen ist, bislang nie stärker zur Anwendung. Was hält der Politologe Bohumil Dolezal von einer solchen Lösung?

"Also das Schlimmste ist, dass, wenn es zu einer Minderheitsregierung kommen würde, das bei weitem noch nicht bedeutet, dass sie instabil sein müsste. Paroubek sagt jetzt bereits, dass er die Unterstützung für so eine Regierung bei allen Parteien im Parlament suchen würde. Aber faktisch kann diese Unterstützung nur von einer kommen, nämlich von den Kommunisten. Zudem kann es nicht mit einer einmaligen Unterstützung bei der Vertrauensabstimmung erledigt sein, sondern die Kommunisten werden die Regierung immer wieder stützen müssen und werden dafür Gegenleistungen verlangen. Wir können zwar nur spekulieren, wie diese aussehen könnten, diese Vorstellung ist aber jedenfalls äußerst unangenehm."

Ein wenig im Schatten der für Juni geplanten Wahlen zum Abgeordnetenhaus sind die ebenfalls im Jahr 2006 anstehenden Wahlen zu den Gemeindeparlamenten, wie auch die Nachwahl zum Senat, der zweiten Kammer des tschechischen Parlaments. Vor allem beim Senat ist, wie auch in den Jahren zuvor, eine sehr geringe Beteiligung zu erwarten, da die Existenz dieser Institution von den Tschechen mehrheitlich abgelehnt wird. Dieses geringere Ansehen unter der Bevölkerung ist vielleicht auch auf den Umstand zurückzuführen, dass die ersten Wahlen zum Senat im Gegensatz zum Abgeordnetenhaus mit einer gewissen Verspätung, und zwar erst im Jahr 1996 stattfanden und viele Bürger somit der Meinung sind, dass das politische System des Landes auch vorher und zwar ohne die 81 Senatoren problemlos funktionierte. Zur Rolle der zweiten tschechischen Parlamentskammer hören Sie abschließend noch einmal den Politikwissenschaftler Bohumil Dolezal von der Prager Karlsuniversität:

"Der Senat hat im tschechischen politischen System verhältnismäßig kleine Vollmachten, er kann den ganzen legislativen Prozess bremsen, er kann auch die Regierungsvorlagen verzögern, kann aber nur wenige Eigeninitiativen auch wirklich durchsetzen. Die einzige positive Rolle des Senats ist, dass er praktisch die Änderung der Verfassung unmöglich macht. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es den Sozialdemokraten mit der versteckten Unterstützung der Kommunisten schon im Abgeordnetenhaus gelingen könnte die verfassungsmäßige Drei-Fünftel-Mehrheit zu erreichen. Der Senat ist also deshalb wichtig, weil er gewisse unmoralische Initiativen der Regierung erschweren kann. Wenn aber die Sozialdemokraten mit der stillen Unterstützung der Kommunisten in gewissen Angelegenheiten eine ausreichende Mehrheit haben werden und das ist sehr wahrscheinlich, dann sind der Senat und auch Präsident praktisch ohnmächtig."