Rangherka – das Schloss im Zentrum von Prag-Vršovice
Vršovice ist ein Stadtteil von Prag, der immer ein wenig zu kurz kommt. Die Interessierten wissen vielleicht, dass es dort die Fußballstadien von Slavia Prag und der Bohemians Prag gibt, vielleicht haben auch schon ein paar Wenige von der Fabrik Koh-i-noor gehört. Aber zum Stadtteil gehören auch eine attraktive Bebauung im Jugendstil mit einer lebendigen Kneipenszene, schöne und moderne Kirchen, ein Weinberg und ein Schloss. Und genau um dieses Schloss geht es in der heutigen Ausgabe unserer Sendereihe „Spaziergang durch Prag“.
Derzeit ist das Schloss jedoch eingerüstet: Es wird komplett restauriert und umgebaut. Über dem Turm dreht ein gelber Baukran seine Kreise und der Hügel, auf dem das Gebäude steht, erinnert an ein Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs. Vor etwa 170 Jahren aber war die Rangherka ein Symbol für den Aufstieg der damals noch eigenständigen Gemeinde Vršovice, wie der Historiker des zehnten Prager Stadtbezirks, Michal Ezechiel, erklärt:
„Um das Jahr 1880 herum hatte Vršovice bereits etwa 6000 Einwohner, 1840 waren es nur 1000 gewesen. Das erforderte natürlich den Bau vieler neuer Häuser. Und gerade 1882, in jener Zeit, in der die Gemeinde sich entschloss, das Gebäude zu kaufen, erlebte Vršovice einen weiteren Entwicklungsschub.“Doch die Rangherka entstand schon früher. In den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts kaufte Enrico Rangheri ein Stück Land im Dorf Vršovice. Er wollte das Seidengeschäft seines Vaters Giuseppe, eines lombardischen Kaufmanns ausbauen. Michal Ezechiel:
„Warum Rangheri ausgerechnet dieses Stück Land gekauft hat, ist unbekannt. Hier war seit dem 14. Jahrhundert ein Weinberg mit einem Bauernhof, und gerade dieses Land kaufte Enrico Rangheri im Jahr 1842. Er baute dort die ursprüngliche Rangherka, er pflanzte aber auch 200 Maulbeerenbäume – vielleicht war es die Südlage, die den Unternehmer lockte. Die Rangherka war zunächst eine Fabrik zur Seidenherstellung. Hier wurde Rohseide verarbeitet und vor allem auch Seidenraupen gezüchtet. Der Ort wandelte sich also von einem Weingut zu einer Manufaktur, der ersten in Vršovice und vielleicht sogar der ersten in den Prager Vororten überhaupt.“ Noch heute lässt sich in der Nähe ein Weinberg finden: Die heutigen Havlíčekgärten, auch Grébovka genannt, liegen zwar schon im Stadtteil Vinohrady, sind aber von Vršovice umgeben. Von der Rangherka erreicht man sie am prunkvollen Gebäude der Tschechischen Sparkasse vorbei durch eine kleine Gasse, in der sich noch ein paar wenige Häuser des alten Dorfs Vršovice bewundern lassen.Die Rangherka war aber nicht lange eine Seidenmanufaktur. Nachdem Enrico Rangheri bereits 1857 starb, verkaufte seine Familie das Gebäude und zog sich aus dem Seidengeschäft zurück. Die Rangherka wurde von der Familie Žabek gekauft. Sie ließ das Gebäude zu einem Wohnhaus mit zwei Türmchen umbauen. Das heutige Aussehen erhielt der Bau jedoch erst später, so der Historiker:
„Die Umgestaltung zu seiner heutigen Form geschah zwischen 1899 und 1900 auf Wunsch der Gemeindeverwaltung. Man hat die Front vereinheitlicht und die zwei Türmchen abgerissen und durch einen neuen schmalen Glockenturm in der Mitte des Gebäudes ersetzt. Hinzugefügt wurde auch noch eine große Treppe, die den Hügel vor dem Gebäude hinaufführte. Nach diesem Umbau im Neo-Renaissance-Stil sah die Rangherka wirklich ein bisschen wie ein Schloss aus, und es bürgerte sich der Name ‚Schloss Vršovice’ ein.“In Vršovice wuchs nicht nur die Bevölkerung, sondern auch der Wohlstand. Seit den 1880ern siedelten sich hier verschiedene Fabriken an sowie eine Brauerei. Daher ist es durchaus verständlich, dass die Verwaltung der Gemeinde sich ein repräsentatives Gebäude suchte und es entsprechend umbaute, so Ezechiel:
„Der Teil um die Rangherka herum ist tatsächlich der älteste Teil von Vršovice und in dieser Zeit das Zentrum. Daher hat die Gemeinde das Gebäude gekauft und restauriert. Dieser Umbau zeigt auch, dass es Vršovice an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert finanziell ziemlich gut gehen musste. 1902 wird Vršovice zur Stadt aufgewertet. Das hing auch damit zusammen, dass Vršovice einen eigenen Bahnhof erhalten hatte, durch den 1901 sogar der Kaiser gefahren sein soll. Schließlich wurden auch noch Straßenbahnschienen aus Prag gelegt.“Fährt man heute mit der beliebten Straßenbahnlinie 22 hier her, kann man kaum glauben, dass Vršovice einmal eine eigene Stadt gewesen sein soll – die Bebauung ist dicht, die Häuser sind alt und die Tram braucht vom Karlsplatz zehn Minuten bis zur Rangherka.
Nachdem 1918 die eigenständige Tschechoslowakische Republik entstand, expandierte Prag. Bereits 1922 wurden die umliegenden Städte eingemeindet und Vršovice wurde so offiziell ein Teil der Hauptstadt Prag. Die Rangherka blieb der Sitz der Stadtteilverwaltung. Nach der kommunistischen Machtübernahme 1948 zog der Nationalausschuss für Prag 10 in das Gebäude ein. Im Grunde war es weiterhin eine Stadtteilverwaltung, nur diesmal für den gesamten Stadtbezirk 10. Ihm gehören auch andere Stadtteile an, wie zum Beispiel Strašnice, Malešice oder Hostivař. Eine Passantin erinnert sich:„Dort waren immer viele verschiedene Büros und auch Hochzeiten fanden dort statt. Zum Beispiel meine Freundin hat dort geheiratet. Ich laufe mein ganzes Leben an dem Gebäude vorbei und jetzt renovieren sie es bereits einige Jahre lang.“Erst in den 1970ern zog die Verwaltung in einen Neubau um. Das massive Bürogebäude wurde extra für diesen Zweck gegenüber der Fabrik Koh-i-noor errichtet und strahlt den Charme kommunistischer Plattenbauarchitektur aus. Die Stadtbezirksverwaltung sitzt dort bis heute, die Rangherka wurde nach dem Umzug nur noch als Lagerraum genutzt. Nach der Wende wurde das Gebäude fast völlig sich selbst überlassen. Erst 2005 beschloss die Verwaltung, das Schlösschen zu restaurieren, aber das Konzept eines privaten Investors scheiterte. Erst 2010 begann dann die Stadtverwaltung selber mit den Arbeiten. In der Bevölkerung weiß aber keiner so richtig, was nun in die Rangherka einziehen soll, wie die Passantin erzählt:
„Ich bin schon alt, aber mir würde es gefallen, wenn dort wieder die Verwaltung des zehnten Prager Stadtbezirks einziehen würde, wie es früher auch war. Ich weiß aber gar nicht, wie es genutzt werden soll, da habe ich keinerlei Informationen bekommen.“Über die schlechte Informationspolitik beklagt sich auch eine Bürgerinitiative des Stadtteils. Nicht nur die lange Zeit des Zerfalls und die lange Dauer der Sanierung der Rangherka ärgert die Anwohner, auch die mangelnden Möglichkeiten der Mitbestimmung über das weitere Schicksal des Stadtteilzentrums sind den Menschen aufgestoßen. Immerhin sind die Pläne der Verwaltung nun bekannt: In die Rangherka soll ein Altersheim einziehen – bei annähernd 20 Prozent Seniorenanteil in der Bevölkerung von Prag 10 sicherlich eine sinnvolle Nutzung.