Rückblick auf den 7. Weltkongress der Osteuropaforscher

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Über 1800 Teilnehmer aus 50 Ländern, mehr als 1300 Vorträge in rund 400 Einzelveranstaltungen - es ist eine Anhäufung von Superlativen, die sich mit dem 7. Weltkongress der Osteuropaforschung verbindet, der am vergangenen Samstag in Berlin zu Ende ging. Organisiert wurde er gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) und dem International Council for Central and East European Studies (ICCEES). Der Kongress, die weltweit größte Zusammenkunft von Osteuropa-Forschern, findet alle fünf Jahre statt, in Deutschland zum zweiten Mal.

Das erste Mal trafen sich die Osteuropa-Experten hier 1980 - damals freilich noch mit völlig anderen Fragestellungen, erinnert sich Dr. Heike Dörrenbächer, Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO):

"Die Osteuropaforschung war gerade 1980 noch sehr stark geprägt vom Kalten Krieg und deswegen ging es sehr stark um Rüstungskontrolle, Abrüstung, Frieden und darum, wie man den nuklearen Supergau verhindern könnte."

Das Ende des Ost-West-Konflikts bescherte der Osteuropaforschung durch die Öffnung von Archiven in den ehemals kommunistischen Staaten eine Reihe neuer Möglichkeiten; auf der anderen Seite stellte es sie aber auch vor neue Probleme: Im Zuge der Schritt weisen Annäherung zwischen Ost- und Westeuropa mehrten sich die Stimmen, die einer speziellen Osteuropaforschung die Existenzberechtigung streitig machten. Insbesondere in den letzten Jahren müssen Osteuropa-Studiengänge vielerorts ums Überleben kämpfen. Z.B. in Bremen. Prof. Wolfgang Eichwede, Direktor der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen:

Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs war die Region Mittel- und Osteuropa ein Parkett für Experten, nur schwer zugänglich für Nicht-Eingeweihte und ein Geheimtipp für Liebhaber. Heute schwinden die Unterschiede zwischen Ost- und West allmählich und viele Hochschulen betrachten spezielle Osteuropa-Studiengänge, zumal in Zeiten knapper Kassen, daher als überflüssig. Ein Fehler, den die deutsche Gesellschaft bald bereuen könnte, meint DGO-Geschäftsführerin Heike Dörrenbächer:

"Da können wir nur appellieren, dass Universitäten die kleineren Fächer nicht aussterben lassen zu Gunsten der größeren Fächer. Dieser Tendenz kann man nur entgegenwirken mit dem Hinweis: Vorsicht, sonst haben wir in einigen Jahren dasselbe Problem wie heute Nahost-Experten zu finden."

Ein Aussterben an Experten für die östlichen Nachbarländer ausgerechnet in Zeiten der fortschreitenden Vereinigung Europas? Eine paradoxe Vorstellung, meint Professor Wolfgang Eichwede von der Bremer Forschungsstelle Osteuropa:

"Wir haben ja gegenwärtig die ganz absurde Situation, dass man in Zeiten des Konflikts mehr Geld bekommen hat für die Beschäftigung mit den östlichen Nachbarn als in Zeiten der Kooperation. Im Rahmen der Kooperation brauchen wir viel mehr Kenntnisse als im Rahmen der Konfrontation, aber das wird von der Politik so leider nicht gesehen."

Auch auf dem Berliner Kongress habe man sich mit den existentiellen Problemen der eigenen Disziplin kaum beschäftigt, bemerkt Eichwede selbstkritisch:

"Das ist vielleicht einer der Punkte, die man ein wenig kritisch zu dem Kongress bemerken muss. Wir haben mehr über unsere Themen, über unsere Forschungsgebiete, über kleine und große Fragen diskutiert und nicht so sehr über das Fach und seine Schwierigkeiten. Im Nachhinein habe ich mir gesagt, es wäre vielleicht besser gewesen, wir hätten uns mit diesem Problem etwas intensiver auseinandergesetzt."

Foto: Europäische Kommission
Nicht finanzielle Fragen, sondern inhaltliche Diskussionen prägten den 7. Weltkongress für Osteuropaforschung vergangene Woche in Berlin. Sein Leitmotto "Europa - ein gemeinsames Zuhause?" - eine Fragestellung, die die Osteuropaforschung auch in Zukunft weiter beschäftigten wird, meint Heike Dörrenbächer, Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO):

"Nämlich die Frage, welches Konzept von Europa verfolgen wir denn, ist das eine Wertegemeinschaft, ist das ein politisches Konzept? Darauf gab es keine abschließenden Antworten, aber doch sehr viele Fragen und die zeigen, dass wir über das Thema und vor allem auch darüber, wie wir uns gegenüber den neuen Nachbarn Ukraine, Weißrussland und Russland verhalten sollen, weiter diskutieren müssen."

Diskutiert wurde und wird über Europa natürlich umgekehrt auch in dessen östlicheren Regionen. Bereits während des Kommunismus gab es unter mittel- und osteuropäischen Dissidenten einen lebhaften Europa-Diskurs. Inwieweit ihre Europa-Bilder sich mit der heutigen europäischen Realität deckten und wo Erwartungen unerfüllt geblieben sind, war Gegenstand einer Debatte ehemaliger Dissidenten während des jüngsten Berliner Kongresses. Prof. Eichwede moderierte die Diskussion:

"Ich glaube, sie wollten ein etwas weniger konfliktträchtiges Europa, als wir es heute haben. Sie haben aus der Ferne dieses westliche Europa gesehen, man hat dieses westliche Europa auch idealisiert oder hat es mit Idealen, für die man selbst gekämpft hat, gleichgesetzt. Und nun stellt sich heraus, dass dieses heutige Europa in seiner Wirklichkeit natürlich nicht den Träumen von damals entsprechen kann."

Der frühere Dissident Rudolf Slansky, Wirtschaftwissenschafter und ehemaliger Botschafter Tschechiens in Moskau, betonte, dass seine Landsleute immer den Wunsch gehabt hätten, nach Europa zurückzukehren. Jedoch seien die Tschechen nach der samtenen Revolution an das Vorhaben einer EU-Integration mit großer Naivität herangegangen. Dr. Jaroslav Kux vom Prager Forschungsinstitut für Arbeit und Soziale Angelegenheiten, der auf dem Kongress eine Sektion über Wirtschaftsfragen leitete, erinnert an die Hoffnungen und Befürchtungen, die die Tschechen mit dem EU-Beitritt verbanden und inwieweit sie sich bestätigt haben:

"Es ist tatsächlich zu einer Belebung der Wirtschaft gekommen, die Kaufkraft der Bevölkerung ist gestiegen, es ist leichter geworden, ins Ausland zu reisen und dort zu arbeiten. Die größte Befürchtung betraf den Preisschock. Zur Überraschung vieler ist die Inflation aber auf niedrigem Niveau geblieben: unter drei Prozent im vergangenen Jahr und dieses Jahr sogar unter zwei Prozent."

Die Osteuropa-Forschung allerdings, ja die tschechische Wissenschaft generell, kann von dieser Entwicklung kann von dieser Entwicklung nicht profitieren. An ihrer finanziellen Misere wird sich auf absehbare Zeit auch nichts ändern, ist Kux überzeugt.

Ein nach wie vor großer Auftrag und bescheidene Mittel zu seiner Erfüllung - einen Ausweg aus diesem Dilemma der Osteuropaforschung und zugleich eine zentrale Botschaft des Berliner Kongresses sieht Professor Wolfgang Eichwede von der Bremer Forschungsstelle Osteuropas in einer besseren Vernetzung:

"Wir müssen die unmittelbare wissenschaftliche Kooperation mit unseren Nachbarn in Mittel- und Osteuropa intensivieren. Was wir hier an Ressourcen nicht mehr alleine aufbringen können, müssen wir erweitern durch eine enge, sehr intensive wissenschaftliche Zusammenarbeit. Wir arbeiten nicht mehr über Osteuropa, wir arbeiten mit dem östlichen Europa zusammen."

http://www.iccees2005.de