„Schön, dass du zurück bist, aber ich konnte auch ohne dich gut leben“ – Ballettdirektor Ivan Liška über Prag, Tanz und Emigration

Ivan Liška (Foto: Bettina Stöß, Archiv des Bayerischen Staatsballetts)

Im Februar erhielt eine außergewöhnliche Persönlichkeit den deutschen Tanzpreis: Ivan Liška. Er ist der Direktor des bayerischen Staatsballetts und lebt und arbeitet bereits seit 42 Jahren in Deutschland. Geboren aber ist er in Prag, die tschechische Hauptstadt verließ er nach der Niederschlagung des Prager Frühlings. Als junger Mann startete er in Deutschland seine Karriere. Seine erste Station war Düsseldorf, weitere Engagements hatte Liška in Hamburg und München. Bei der Gala zum deutschen Tanzpreis in Essen ließ es sich der 61-Jährige nicht nehmen und trat im Ballett „The Old Man and Me“ in einer Choreographie von Hans van Manen noch einmal auf. Im Prager Café Slavia sprach er über Prag, Tanz, Kultur und Emigration.

Ivan Liška  (Foto: Bettina Stöß,  Archiv des Bayerischen Staatsballetts)
Herr Liška, sie sind der Direktor des bayerischen Staatsballetts. Ihr Weg begann hier in Prag, sie sind dann aber 1968 emigriert. Wie kam es dazu?

„Erst 1969 hat sich mein Vater entschlossen, nachdem ich das Abitur hier am Prager Konservatorium gemacht habe, dass es an der Zeit sei, dass seine Kinder, meine zwei Schwerstern und ich, nicht die zu ahnende stalinistische Zeit erleben sollen. Da er auch noch in einem Alter war, in dem er in Deutschland als Lehrer noch Arbeit bekommen konnte, sind wir 1969 emigriert.“

Wie war es für Sie als Jugendlicher, die Heimat zu verlassen und in ein fremdes Land zu gehen?

„Ich habe Tanz studiert und Tanz hat keine Grenzen. Ich wollte sowieso immer woanders arbeiten, Denn die Choreografien, die Arbeiten, mit denen die Tänzer auftreten, waren im Ausland immer viel weiter entwickelt. Und in Tschechien gab es, bis auf Pavel Šmok und Luboš Ogoun, gab es keine Fortschritte.“

Wo sind sie nach der Emigration hingegangen?

„Ich habe in Paris einige Tanzkurse gemacht und gegeben. Dann hat sich ergeben, dass es in Düsseldorf eine Landsmännin gab, Růžena Mazalová, und dann hab ich dort einen Stopp eingelegt und habe dann sofort von Erich Walther ein Engagement bekommen. Das war wichtig, denn es war auch ein Einkommen damit verbunden.“

Sie sprechen ja jetzt perfekt Deutsch. Ich denke, für einen Tänzer nicht so essentiell wie für einen Schauspieler. War damals die Sprache ein großes Problem?

„Ich habe Deutsch schon in Tschechien gelernt. Meine beiden Eltern konnten Deutsch, ein bisschen Schwedisch und mein Vater konnte Russisch. Sie wussten, dass Jan Amos Komenský recht hatte: So viele Sprachen man kennt, so viele Menschen ist man.“

Sie kamen 1968 aus einem sozialistischen Land in ein Land, in dem zwar keine Revolution läuft, aber doch gesellschaftliche Umbrüche im Gange sind. Wie war das für Sie?

Düsseldorf  (Foto: Massimo Catarinella,  Creative Commons 3.0)
„Westdeutschland war einerseits konsumorientiert, andererseits herrschte absolute Freiheit und Demokratie. Das ist etwas, was die Tschechoslowakei nicht erreicht hat. Ich hatte das Gefühl willkommen zu sein und Hilfsbereitschaft und Neugier von allen Altersgruppen zu erfahren. Wenn sie aus Prag stammen, haben sie eine unangenehme Eigenschaft: Sie denken sie stammen aus einer Weltmetropole. Und mit diesem Bewusstsein können sie sich sehr leicht zum Beispiel in Düsseldorf behaupten.“

Wie hat Ihnen Düsseldorf gefallen?

„Düsseldorf hatte leider, wie auch die Städte des Ruhegebiets, große Kriegswunden. Das kulturelle Leben war daher umso wichtiger.“

Haben Sie Josef Beuys kennen gelernt?

„Ich habe Joseph Beuys in der Fußgängerzone kennen gelernt, wo er seine sozialistischen Thesen predigte. Ich habe versucht mit ihm zu diskutieren, aber ich war der falsche Diskutant.“

Ivan Liška mit Chantal Lefèvre in der Kameliendame  (Foto: Manuel Palomino Arjona)
Sie leben nun fast 42 Jahre in Deutschland und arbeiten dort. Man kann sagen, sie haben eine Karriere in Deutschland gemacht. Hatten Sie mal das Bedürfnis nach Tschechien, nach Prag zurückzukehren? Vielleicht nach der Wende 1990?

„Ja, absolut! Auch aus dem Grunde, weil mein Vater es nicht mehr erlebt hat. Wir haben eigentlich nie daran geglaubt, es ist ein Wunder, dass diese gorbatschowsche Perestroika das ermöglichte. Ja es zog mich sehr nach Tschechien, aber mein wahres Leben als Künstler war dort, wo sich mein Theater befand. Und das war in München oder Hamburg oder Düsseldorf.“

Gab es keine Angebote aus Tschechien?

Ivan Liška  (Foto: Archiv der Bayerischen Staatsoper)
„Ich bin in Tschechien sehr oft aufgetreten, ich habe ein kurzes Seminar gegeben und auch eine Choreografie in Brno / Brünn erstellt. Aber in Tschechien ist doch eine neue Generation nachgewachsen, und es war bereits ein großer Meister da, der sehr viel geholfen hat, nämlich Jiří Kylián mit Unterstützung einer substanziellen Stiftung. Ich habe mich an einigen Veranstaltungen beteiligt, aber mein Zuhause war doch in Deutschland. Das Skurrile ist, wenn ich in Tschechien bin, fühle ich mich dort heimisch und wenn ich in Deutschland bin, fühle ich mich in Deutschland zu Hause zuhause. Es ist ein bisschen schizophren aber ich überlebe das.“

Wenn Sie die Kulturlandschaften vergleichen, im Ballett, vielleicht auch in der Oper oder im Theater. Was gefällt Ihnen in Deutschland besser, was gefällt Ihnen in Tschechien besser?

Foto: Archiv Radio Prag
„Die Verteilung der Kulturmittel in Deutschland ist föderal. Und das führt dazu, dass die Theaterlandschaft auch die Kunstgalerien und Museen blühen. Was mich am meisten freut ist, dass es unter Tanzkünstlern in Tschechien verhältnismäßig viele Tschechen gibt. In Deutschland widmen sich nur wenige dem Tanz. Die Tschechen haben den Tanz einfach in ihrem Herzen, in ihrer Seele und in ihrem Körper. Ich selbst habe in Hamburg und jetzt in München verhältnismäßig viele, gute tschechische Tänzer engagiert.“

Die tschechische Regierung fährt ja derzeit einen rigorosen Sparkurs. Haben Sie manchmal Angst um die tschechische Kultur?

„Sparen ist in der Kunst nicht immer mit verminderter Qualität gleichzustellen. Schon immer und insbesondere zu Zeiten des Sozialismus war Kultur ein wichtiger Begriff für die Tschechen, durch den sie sich profiliert haben. Sparmaßnahmen sind für die Künstler immer sehr bedauernswert, weil sie nie zu den großen Verdienern gehören und dennoch schmückt sich die Gesellschaft mit ihren Künstlern. Ein Sparkurs – woanders ja, aber nicht in der Kunst. Das kann sich ein kleines Land nicht erlauben. Es hat sehr viele Talente und diese Talente dann in die Wirtschaft zu jagen? Vielleicht geht es der Wirtschaft dann anders?“

Ivan Liška hat den deutschen Tanzpreis erhalten  (Foto: Ursula Kaufmann)
Sie haben ja in diesem Jahr 2012 den deutschen Tanzpreis erhalten, aber auch viele andere Ehrungen bekommen. Wenn Sie zurückblicken: Würden Sie sagen, dass sie in Deutschland angekommen sind?

„Ich würde aber gerne einen dieser Preis erwähnen, der mir sehr wichtig ist. In München betreiben wir ein Projekt „Ballett und Wildnis“. Das heißt wir fahren in die Wildnis und tanzen für dortige Bewohner. Ob das im bayerischen oder dem böhmischen Wald ist. direkt an der Grenze, oder in den Alpen oder an anderen Orten. Ich habe dann von der Europa-Ministerin in Bayern einen Preis für die Verdienste im vereinigten Europa erhalten. Das war so eine Freude, denn die Tschechen wollen ja schon seit den Zeiten Jiřího z Poděbrad (Georg von Podiebrad 1420 - 1471), dass es ein einiges Europa gibt und seit meiner Jugend ist mir dieser idealistische Ansporn geblieben. Um in Deutschland anzukommen brauchen sie nur 42 Jahre zu arbeiten, um es von der letzten Reihe bis zum Direktor zu schaffen. Ich habe aber zum großen Teil auch Glück gehabt. Ich habe 20 Jahre mit Jon Neumeier gearbeitet und wichtige Rollen und Werke mitkreiert. Wenn sie das 42 Jahre machen und verhältnismäßig gute Arbeit leisten, dann können sie sich in der deutschen Kultur wohl fühlen.“

Nationaltheater
Würden Sie es sich noch mal überlegen, vielleicht nach der Pensionierung nach Tschechien zurückzukehren?

„Als ich 1990 nach Prag kam, war es sehr herzerweichend. Ich habe Immigranten getroffen, die hätten zehn Jahre ihres Lebens gegeben, wenn sie nur zehn Minuten vor dem Café Slavia hätten spazieren können. Ich habe das nicht gewusst, aber als ich nach Prag kam habe ich gemerkt: Ich kenne jeden Stein hier, vom Nationaltheater bis zum Rudolfinum. Als ich also nach 21 Jahren durch Prag spazierte und an den Kirchen vorbeikam, realisierte ich, dass sie noch genauso rochen wie damals. Irgendwie hat Prag damals zu mir gesagt: Schön, dass du zurück bist, aber ich konnte auch ohne dich gut leben. So ist das, das Leben geht weiter. Wenn ich hier bin werde ich umarmt, aber genauso wichtig ist es, woanders Gutes zu bewirken. Und das machen in Prag am Nationaltheater andere Kollegen.“