„Scheherezade“ ist weiter aktuell: Premiere von Bigonzettis Choreografie im Prager Nationaltheater
Am Donnerstag erlebte im Prager Nationaltheater das Ballett „Scheherezade“ die Weltpremiere. Martina Schneibergová hat die Generalprobe besucht und das Inszenierungsteam getroffen.
Das Ballett mit dem Titel „Scheherezade“ und mit der Musik von Nikolai Rimski-Korsakow wurde im Prager Nationaltheater zuletzt vor 50 Jahren aufgeführt. Bei der aktuellen Inszenierung handelt es sich jedoch um eine völlig neue Choreografie, die Mauro Bigonzetti für das Prager Ensemble erdacht hat. Eine wichtige Rolle spielen auch die Kostüme von Anna Biagiotti, die einen Hauch von Orient auf die Bühne bringen. Filip Barankiewicz ist der künstlerische Leiter des Ballettensembles des Nationaltheaters. Das folgende Gespräch entstand während der Generalprobe für „Scheherezade“.
Herr Brankiewicz, nach 50 Jahren wird im Nationaltheater wieder ein Ballett mit dem Titel „Scheherazade“ aufgeführt. Es handelt sich jedoch um eine völlig neue Choreografie von Mauro Bigonzetti. Wie entstand die Idee für ein neues Ballett?
„Ich habe Mauro im Sommerurlaub vor ein paar Jahren getroffen, und wir hatten bei ihm zu Hause in Italien ein schönes Abendessen. Schon zuvor hatte ich mit ihm gesprochen, dass ich unbedingt eine Choreografie von ihm für Prag haben möchte. Geplant wurde noch etwas komplett anderes, was schon existierte. Mauro meinte während des Abendessens, er habe immer davon geträumt, die ,Scheherazae‘ zu kreieren. Und die Art und Weise, wie er es gesagt hat – da konnte ich einfach nicht Nein sagen. Vor allem ist die Musik von Rimski-Korsakow so wunderschön. Es war wirklich eine Herausforderung, einen Tanzabend mit dieser wunderschönen Musik zu kreieren.“
Ist die Herausforderung nun gelungen?
„Ich denke schon und freue mich wahnsinnig, weil die zwei Hauptpersonen, Scheherazade und der Sultan, von zwei wunderbaren Tänzern gespielt werden. Und wir müssen nichts im Voraus lesen, wir verstehen alles. Mauro hat dies wirklich geschafft. Ich bon sehr froh, denn ich stehe voll darauf, die Geschichten zu erzählen. “
Ich finde, das Thema Gewalt an Frauen ist heute sehr aktuell …
„Absolut, es ist relevant. Wir haben in unserem dramaturgischen Konzept das Thema aufgegriffen: von ,Romeo und Julia‘ bis zu Tennessee Williams und seiner ,Endstation Sehnsucht‘. Jetzt spielen wir ,Scheherazade‘, und demnächst kommt auch ,Manon‘. Dieser,Manon‘ lebt ja auch zwischen zwei Welten. Ich finde, man muss einfach heutzutage das Publikum und die neuen Generationen ansprechen können.“
Da „Scheherezade“ relativ kurz ist, wurde die Musik für das Ballett durch ein anderes Stück des Komponisten ergänzt...
„Ja, wir haben eine Sinfonietta gewählt. Am Anfang wussten wir nicht, ob wir die Sinfonietta separat spielen und dann einfach eine Pause machen sollen, um dann zu Scheherazade überzugehen. Aber wir haben uns entschieden, dass dies besser und stärker rüberkommt.“
Die Rolle des Sultans, der seine Ehefrauen hinrichten lässt, tanzt Paul Irmatov. Im Folgenden ein Gespräch mit dem Balletttänzer:
Herr Irmatov, die Rolle des Sultans unterscheidet sich stark von den Prinzen, die Sie oft tanzen. Kann man die Partie mit der Rolle von Kowalski aus „Endstation Sehnsucht“ vergleichen?
„Ja, es ist ein ähnlicher Charakter, sehr männlich dominant. Da ich schon Stanley getanzt habe, half mir das, die neue Rolle besser zu verstehen.“
Ist es Ihre erste Zusammenarbeit mit Mauro Bigonzetti?
„In dieser Saison haben wir mit ihm am Ballett ,Kafka – der Prozess‘ gearbeitet. In der vergangenen Spielzeit gab es bereits die ,Holo Harmonies‘. Für mich war das also die dritte Zusammenarbeit mit ihm.“
Was ist an Bigonzettis Choreografien das Besondere, wenn man ihn beispielsweise mit John Neumeier vergleicht?
„Es ist sehr physisch, sehr schwer und sehr expressiv. Mit Bewegungen kann man so viel ausdrücken. Und nicht zuletzt ist es sehr natürlich.“
Die Begleitung zu „Scheherezade“ hat der deutsche Dirigent Johannes Witt mit dem Orchester des Prager Nationaltheaters einstudiert.
Herr Witt, wie ist die Zusammenarbeit mit dem Orchester des Nationaltheaters für Sie?
„Sie macht mir sehr viel Spaß. Ich kenne ja schon einen Teil des Orchesters, da ich im Mai und Juni ‚Ariadne auf Naxos‘ im Ständetheater dirigiert habe. Dabei spielt zwar eine kleinere Orchesterbesetzung von rund 30 Musikern, ich hatte aber bereits einen tollen Eindruck bekommen. Bei ‚Scheherazade‘ habe ich nun das gesamte Orchester kennengelernt.“
Wie unterscheidet sich das Dirigieren eines Balletts und einer Oper?
„Vom dirigentischen Handwerk her gar nicht. Wir dirigieren ein Symphonieorchester in der Oper genauso wie im Ballett. Die Arbeit unterscheidet sich aber insofern, als dass die Musiker in der Oper die Sänger hören und auch begleiten. Sie hören im Graben, was von der Bühne kommt. Bei einer Mozartarie braucht es dann mitunter eigentlich gar keinen Dirigenten. Im Ballett hingegen bin ich das einzige Bindeglied zwischen Bühne und Orchestergraben. Ich muss weitergeben, was auf der Bühne passiert. Das ist der große Unterschied.“
ZUM THEMA
Haben Sie Rimski-Korsakow bereits zuvor dirigiert?
„Ja, in Dirigierkursen, als ich 23 oder 24 Jahre alt war. Das ist also schon eine Weile her. Aber ich hatte damals einen sehr schnellen Zugang zu ihm, und das ist geblieben.“
Sie haben bereits gesagt, dass Sie schon im Ständetheater dirigiert haben. Wie ist die Zusammenarbeit mit dem Nationaltheater entstanden?
„Robert Jindra (Dirigent und Musikdirektor des Nationaltheaters, Anm. d. Red.) und ich haben in Essen am Aalto-Theater zusammengearbeitet. Daher kennen wir uns, und so ist es zu der Kooperation gekommen.“
Gibt es eigentlich Dirigenten, die sich auf Ballett spezialisiert haben?
„Na klar, die gibt es. Ich bin ja eigentlich in der Oper zuhause, dort sind meine Wurzeln. Ich war lange Korrepetitor, habe Sänger einstudiert und dadurch ein großes Opernrepertoire. Das mit dem Ballett kam dann in meiner Zeit als zweiter Dirigent am Aalto-Theater in Essen. Ich habe dort viele Ballettpremieren dirigiert und mir das Verständnis dafür erarbeitet. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Denn es dauert eine Weile, ehe man versteht, was man sieht. Aktuell bin ich in einer wirklich tollen Situation, die ich möglichst lange beibehalten will. Denn ich kann gerade alles machen: Ballette, Opern und auch Symphoniekonzerte. Das ist einfach ein Traum.“
Was ist das Wichtigste beim Dirigieren eines Ballettstücks? Worauf müssen Sie aufpassen? Es kann ja auch etwas Unerwartetes passieren…
„Das ist immer stückabhängig. Es gibt Ballette, bei denen man die ganze Zeit mit den Augen auf der Bühne sein muss, etwa ‚Dornröschen‘ und in gewisser Weise auch ‚Schwanensee‘. Es hängt ebenfalls sehr von der Choreographie ab, wie sehr man folgen und mit den Augen auf der Bühne sein muss. Dieses Stück hier wurde einfach wahnsinnig musikalisch choreographiert. Die Tänzer reagieren darauf, wenn im Orchestergraben etwas anders ist. Ein Beispiel dafür ist das Violinensolo, das beide Konzertmeister spielen. Sie tun dies beide großartig, aber eben unterschiedlich, und die Bühne reagiert darauf und geht mit. Und das finde ich so schön an dieser Zusammenarbeit. Es kommen Impulse, die von der Bühne aufgenommen werden und andersherum. So stelle ich mir die perfekte Zusammenarbeit vor. Musik und Bühne sind hier auf Augenhöhe.“
Das Ballett „Scheherezade“ wird im Dezember noch dreimal aufgeführt, die Vorstellungen sind derzeit allerdings ausverkauft. Weitere Reprisen finden im Mai statt. Für diese Vorstellungen werden noch keine Karten verkauft.