Pastor, van Manen und Goecke: Tanzabend „Beyond Vibrations“ im Prager Nationaltheater
Eine Tanzvorstellung mit dem Titel „Beyond Vibrations“ erlebte am vergangenen Donnerstag im Prager Nationaltheater die Premiere. Der Ballettabend setzt sich aus Werken drei namhafter Choreografen der Gegenwart zusammen. Kurz vor der Premiere hat Martina Schneibergová mit dem Leiter des Ballettensembles des Nationaltheaters, Filip Barankiewicz, gesprochen.
Herr Barankiewicz, die drei Choreografien von Krzysztof Pastor, Hans van Manen und Marco Goecke haben etwas gemeinsam, oder? Was verbindet diese Choreografien?
„Die Verbindung der drei Werke, die ich für den ,Beyond Vibrations‘- Ballettabend ausgesucht habe, ist für mich definitiv die Musik. Denn alle drei haben eine starke Verbindung zur Musik. Diese ist hervorragend. Bei Marco Goecke ist es Mahler, die fünfte Symphonie. Bei van Manen sind es Variationen über ein Thema von Frank Bridge von Benjamin Britten. Und bei Pastor sind es Alfred Schnittke und Henryk Górecki. Die Musik verbindet alle drei Stücke.
Was bei den drei Choreografen natürlich unterschiedlich ist, ist der Stil. Sie sind alle anders. Hans van Manen und Krzysztof Pastor waren beide Hauschoreografen beim Niederländischen Nationalballett. Das war allerdings nicht der Grund, warum ich sie zusammen ausgesucht habe. Und Marco Goecke hat am Nederlands Dans Theater auch als Hauschoreograf gearbeitet.“
Betreffen die Vibrationen, die im Titel des Tanzabends stehen, nur die Musik oder auch die körperlichen Bewegungen?
„Beides. Wir haben ja ein breites Repertoire und uns ist es auch wichtig, dass wir Geschichten erzählen. Die drei Stücke sind aber eher abstrakt. Ich musste ein Thema finden, das Sinn ergibt, das zeigt, warum wir das machen. Es ist tatsächlich nicht nur so, dass wir Vibrationen in der Musik spüren und hören können. Wir können die Vibrationen auch in der Körperspannung sehen. Die Verbindung zwischen den Tänzern und die Atmosphäre zwischen den Paaren ist stark und vibriert auf jeden Fall. Und die Körpersprache im Tanz hat auch Vibrationen.“
Der 91-jährige Hans van Manen ist eine lebende Legende. Wie war Ihre Begegnung mit ihm?
„Ich habe selbst als Tänzer in Stuttgart sehr viele Stücke von Hans getanzt. Sein Weg, Sachen zu erklären, ist so menschlich. Das hat mich immer sehr inspiriert. Ich glaube, dieser Ballettabend ist nicht nur für Ballett-Liebhaber von Interesse, die das Ballett besuchen und verfolgen, was wir alles machen. Er ist auch für die Tänzer wichtig. Sie haben die Gelegenheit, ihre eigene Fantasie auszuleben und eine eigene Geschichte selber zu erzählen. Ich glaube, es macht den Tänzern sehr viel Spaß, diese drei Stücke zu präsentieren.“
Marco Goeckes Choreografie ist vor allem dadurch speziell, dass er den Oberkörper betont…
„Ja. Ich habe seine Anfänge am Stuttgarter Ballett verfolgt, wo er zehn Jahre lang Hauschoreograf war. Und am Anfang waren das wirklich sehr energiegeladene Stücke. Man musste schon fast zählen, wie viele Schritte die Tänzer in der Sekunde schaffen. Zu Beginn hat er die Tänzer nie von vorne gezeigt. In den Anfangsstücken waren nur die Oberkörper und die Tänzer von hinten zu sehen, ihre Gesichter blieben im Verborgenen. Mittlerweile hat er auch Momente, in denen die Bewegung aufhört, und wir die Gesichter und den Oberkörper von vorne sehen. Es ist faszinierend, wie Marco sich entwickelt hat. Genauso wie auch bei Krzysztof und Hans, da merkt man: Das haben sie gemacht, sie sind keine Kopie von jemand anderem. Die Körpersprache, die sie in ihrem eigenen Vokabular benutzen, ist einmalig.“
Für Marco Goeckes Choreografie gibt es auch ganz spezielle Kostüme. Wurden sie in Tschechien genäht?
„Ja, sie wurden hier produziert. Die Premiere von ,Fly Paper Bird‘ hat 2021 in Wien stattgefunden. Ich habe sie selber gesehen. Das ist eigentlich das letzte Werk, das er choreografiert hat. Bis jetzt hat er nichts Neues gemacht. Die Kostüme und das Bühnenbild stammen von Thomas Mika. Wir haben schon mehrere Monate vorher mit den Kostümen angefangen, weil jeder Körper der Besetzung ein eigenes Muster hat. Und es ist nicht so, dass jemand von der zweiten oder dritten Besetzung einfach einspringen und das vorhandene Kostüm nehmen kann. Die Kleider sind wirklich speziell genäht und genau gemacht für den bestimmten Körper.“
Kommen wir zu der Saison. Was erwartet das Ballettensemble in den nächsten Monaten und gehen die Tänzer auf Tourneen?
„Wir haben jetzt mit ‚Romeo und Julia‘ angefangen. Wir haben schon viele Vorstellungen gespielt und auch schon ein Gastspiel in der letzten Spielzeit in Cagliari gehabt. Ich vermute mal, dass wir rund 30 Vorstellungen hatten. Und dieses Jahr spielen wir 21, plus fünf Vorstellungen in Belgien – in der Opera Royal de Wallonie. Es ist das erste Mal, dass wir in der Spielzeit fünf Tourneen haben. Einmal in Brno mit ,Beyond Vibrations‘, dann geht es nach Turin mit Marcia Haydées ,Dornröschen‘ für zehn Vorstellungen. Anschließend spielen wir ,La Sylphide‘ von Auguste Bournonville und Johan Kobborg in Valencia und schließlich ,La Fille mal gardée‘ von Frederick Ashton in Oman. Das ist etwas, was wir noch nicht gemacht haben, so viele Tourneen während einer Spielzeit. Eine Premiere haben wir dadurch abgesagt. Wir wollten eigentlich drei Premieren haben, jetzt haben wir nur zwei. Und wir haben noch ein besonderes, spezielles Projekt, bei dem wir gleichzeitig in zwei Theatern auftreten. So wird das Stuttgarter Kammerorchester live in Baden-Baden spielen. Und wir tanzen zur selben Zeit hier in Prag eine neue Kreation von Mauro Bigonzetti. Möglich macht das Projekt die Hologrammtechnik. In Baden-Baden sieht das Publikum die Tanzenden als Hologramme, das Prager Publikum wird hingegen das Orchester aus dem Festspielhaus in Baden-Baden in Projektion erleben. Wir realisieren also etwas, das noch keine andere Kompanie bisher gemacht hat. Ich freue mich darauf. Denn das ist ja etwas Besonderes, auszuprobieren, wozu die Technologie überhaupt fähig ist.“
In Brno soll im November eine Konferenz der Theater- und Ballettchefs stattfinden. Da sind Sie auch dabei, oder?
„Richtig, da bin ich auch eingeladen. Aber gleichzeitig bin ich auch Pädagoge und zu dem Zeitpunkt wurde ich nach Korea eingeladen. Dort werde ich ,La Fille mal gardée‘ einstudieren. Die haben das dort schon einmal gemacht, aber ich wurde zum Coaching eingeladen. Somit kann ich dieses Mal nicht an der Konferenz teilnehmen. Martin Rypan wird mich vertreten.“
Ich würde gerne noch einmal zu dem Projekt mit dem Theater in Baden-Baden zurückkommen. Wer kam auf die Idee mit den Hologrammen?
„Die Idee kam vom Stuttgarter Kammerorchester. Der Direktor hat mich angerufen und mich gefragt, ob ich Lust hätte, so etwas zu machen. Und am Anfang hatte ich da einen anderen Choreografen im Sinn. Leider war das aber zu dem Zeitpunkt nicht möglich. Und dann fiel mir Mauro Bigonzetti ein, denn er hat mit uns zuvor beim Ballett ,Prozess‘ kooperiert. Wir haben auch vor, in Zukunft etwas Neues von ihm aufzuführen. Ich dachte, dass wir die Sondervorstellung in der Zusammenarbeit mit Baden-Baden ausprobieren können. Das Projekt selbst wird auch vom Bundesaußenministerium finanziell unterstützt.“
Das klingt nach einer Herausforderung…
„Ich denke, es wäre zu einfach, wenn wir jetzt nur die ganze Zeit den ,Nussknacker‘ und ,Schwanensee‘ spielen würden. Das wäre ausverkauft und egal wie oft wir das machen, hätten wir volles Haus. Darum geht es hier aber nicht wirklich. Theater ist dafür da, neue Wege auszuprobieren und Kunst auszuleben. Es geht darum, dass man tatsächlich offen sein kann und dass das Publikum die Gelegenheit hat, seine eigene Fantasie zu nutzen.“