Klassisches pflegen und Neues wagen

Filip Barankiewicz (Foto: David Sedlecký, CC BY-SA 4.0)
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Im vergangenen Jahr wurde Filip Barankiewicz Ballettdirektor im Prager Nationaltheater geworden, als überhaupt erster Ausländer in dieser Funktion. Der aus Polen stammende Tänzer war 18 Jahre lang Mitglied des Stuttgarter Balletts. Als Erster Solist studierte er dort dutzende Rollen ein – von romantischen Stücken, über Neoklassik bis hin zu den Choreografien des 20. Jahrhunderts. Barankiewicz trat zudem mit zahlreichen anderen Ballettensembles auf, darunter mit dem West Australien Ballett in Perth oder dem Ensemble des Theatro Municipal in Rio de Janeiro. Seit 2003 gastiert er oft in Prag, daneben ist Barankiewicz in den letzten Jahren als Tanzpädagoge und Choreograf tätig. Ab der Spielzeit 2017/2018 ist er der künstlerische Leiter des Ballettensembles des Prager Nationaltheaters. Martina Schneibergová hat mit Filip Barankiewicz über seine nächsten Pläne in Prag gesprochen.

Filip Barankiewicz  (Foto: David Sedlecký,  CC BY-SA 4.0)
Herr Barankiewicz, Sie kennen das Ensemble des Prager Nationaltheaters seit 2003. Seit Anfang dieser Saison leiten sie das Ballett sogar, wie sind bisher Ihre Eindrücke?

„Nach sechs Monaten muss ich immer noch bestätigen, dass die Truppe hier künstlerisch einfach super ist. Ich habe das Gefühl, dass die Tänzer immer noch wachsen und dass das wirklich ein Merkmal dieses Ensembles ist. Im vergangenen halben Jahr haben wir nur eine Premiere gehabt. Ich bin gespannt, wie,La fille mal gardée‘ (Premiere im April, Anm. d. Red.) sein wird. Das wird bestimmt spannend sein. Ich bin gefragt worden, ob es möglich ist, den überaus erfolgreichen ,Timeless‘-Abend in dieser Spielzeit zu wiederholen. Von daher bin ich mit den Tänzern und der Entwicklung sehr zufrieden.

Sie bereiten mit dem Ensemble auch einen Ballettabend anlässlich des 100. Gründungtags der Tschechoslowakei vor. Zusammengestellt wird dieser aus Choreografien von Jiří Kylián. Was genau ist da geplant?

„Die Jubiläumsfeier habe ich nicht selber vorbereitet, sondern Jiří Kylián hat sich die Kompanie angeschaut und daraufhin die Stücke ausgewählt. Ich freue mich unglaublich darauf. Auf dem Programm stehen vier Choreografien von Kylián: ,Symphony of Psalms‘, ,Bella Figura‘, ,Petit Mort‘ und ,Sechs Tänze‘. Ich finde sie faszinierend. Wenn ich jetzt noch tanzen würde, würde ich alles dafür tun, um mitmachen zu können. Ich finde es wichtig, dass wir so eine Freude haben.“

John Cranko  (Autorin: Eva Zippel,  CC BY-SA 3.0 DE)
Außer diesem Tanzabend wird eine Neufassung von Schwanensee aufgeführt. Für welche Version dieses klassischen Stücks haben Sie sich entschieden?

„Es wird Zeit, dass wir in Prag auch etwas anderes sehen. Deshalb habe ich mich für eine Produktion aus dem Jahre 1963 entschieden – also nichts Neues. Es ist eine sehr menschliche Fassung des Balletts von John Cranko. Ich habe neulich einen Film über ihn gesehen – leider habe ich ihn persönlich nicht mehr erlebt. Ich kenne nur die Geschichten von Persönlichkeiten wie Marcia Haydée oder Richard Cragun. Ich bin froh, dass wir die Gelegenheit haben, Crankos Schwanensee dem Publikum hier zu zeigen. Bis jetzt wurde er nur vom Stuttgarter Ballett getanzt. Für Cranko haben immer die Persönlichkeiten gezählt. Wenn er gesprochen hat, strahlte er so viel Liebe aus. Das war so berührend, für mich zu sehen, wie er mit den Menschen umgegangen ist. Die Rolle von Odette/Odile ist immer eine Herausforderung. Sie ist genauso schwierig wie die Rolle des Prinzen und die der Schwäne. Ich bin davon überzeugt, dass die das Ensemble diese Choreografie braucht, um sich weiterentwickeln zu können. Wir dürfen das klassische Repertoire auf keinen Fall vergessen. Und wir müssen dabei präzise, mit Elan und Qualität arbeiten.“

Wären auch andere Choreografien in Frage gekommen oder haben Sie sich direkt für Cranko entschieden?

Filip Barankiewicz als Onegin  (Foto: Hana Smejkalová,  Archiv des Nationaltheaters in Prag)
„Ich habe mehrere Versionen von Schwanensee getanzt. Um offen zu sein, es kam eigentlich nur diese Version für mich in Frage. Ich hatte mir überlegt, zur Choreografie von Alexander Ekman zu greifen, da ich diese auch faszinierend finde. Darüber habe ich sehr lange nachgedacht. Aber die Kompanie kann sich super bewegen und die Entwicklung in den Bereichen Contemporary, Modern oder Neoklassik ist in den letzten Jahren enorm. Die Tänzer machen das prima. Und die Timeless-Premiere ist so gut gelaufen, weil sie es einfach können. Wir müssen aber auch das klassische Repertoire pflegen. Und das ist der Grund, warum diese Version ausgewählt wurde.“

Es wird zudem ein Stück aufgeführt, das nach Franz Kafkas Vorlage entstanden ist, und zwar „Der Prozess“. In diesem Ballett haben Sie nicht getanzt oder?

„Nein. Ich kenne Mauro Bigonzetti selber nur als Choreograph. Ich habe mit ihm gearbeitet und ich kenne sein Team. Ich finde, die Menschen, die mit ihm zusammenarbeiten, haben ein Verständnis dafür, schwierige Themen zu zeigen. Wir sollten das Ballett mit Projektionen verbinden, weil dies das Theater in eine komplett andere Dimension bringt. Das kennt man hierzulande schon vom Theater Laterna magika aus den 1960er Jahren. Vor allem in einem Schauspielhaus wie diesem, das schmal ist und nicht viel Platz für Dekorationen bietet, ist es wichtig dies zu modernisieren.“

Die Premiere einer Neuinszenierung von „La fille mal gardée“, über die der Ballettdirektor gesprochen hat, findet im Nationaltheater am 19. April statt.

Wie war Ihr Weg vom Tänzer zum Leiter des Ensembles, also dem Ballettintendanten?

„Es gab eine Phase, die drei bis vier Jahre gedauert hat. Da habe ich noch getanzt, als von meinem Ex-Direktor Reid Anderson das Angebot bekommen habe, zu unterrichten, zu gastieren und Cranko-Ballette in verschiedenen Theatern einzustudieren. Es wurde mir so eine Gelegenheit geboten, die Ballette in der Welt aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Ich bekam dabei die Gelegenheit von verschiedenen Ensembles zu lernen, um zu sehen, was gut und was schlecht ist. Dadurch habe ich ein ganz anderes Bild erhalten. Denn es geht vordergründig nicht um mich, sondern es um die Kompanie.“