„Sie können mit mir machen, was sie wollen“ – Havels Tagebuch aus dem Gefängnis

Foto: Archiv der Václav-Havel-Bibliothek

Ein bisher unbekanntes Tagebuch des ehemaligen Dissidenten und Präsidenten Václav Havel erscheint in Buchform. Havel hatte während seines ersten Gefängnisaufenthalts von Januar bis Mai 1977 persönliche Notizen gemacht.

Václav Havel  (Foto: ČTK)
„Fingerabdrücke. Sie kamen mich holen.“ Am 14. Januar 1977 trug Havel diese Notiz in einen hellblauen Taschenkalender ein. Der damalige Oppositionelle beschreibt in dem Heft seine vier Monate in der Untersuchungshaft nach der Veröffentlichung der Charta 77. Die Texte sind vor zwei Jahren aufgetaucht. David Dušek hat sie bei der Eröffnung des Nachlasses seines Großvaters Zdeněk Urbánek gefunden, dieser war Schriftsteller und ein Freund von Havel.

„Ich habe den Kalender geöffnet und auf der Seite vom 14. Januar die Zeichnung einer Gefängniszelle gefunden. Darunter stand der Text: ‚Fingerabdrücke. Sie kamen mich holen.‘ Mein Großvater war aber in jener Zeit nicht im Gefängnis. Das wusste ich und habe mir gedacht: Das könnte jetzt interessant sein.“

Michael Žantovský  (Foto: Steinke79,  CC BY-SA 3.0)
Dušek wandte sich an Havels langjährige Mitarbeiterin Anna Freimannová. Sie erkannte die Schrift von Václav Havel. Das Tagebuch enthält überwiegend kurze Notizen, Pläne für die Zeit nach der Haft und kritische Überlegungen zur Politik. Mit dem Ziel, die fragmentarischen Aufzeichnungen für ein breiteres Lesepublikum zugänglich zu machen, bat Dušek vier Weggefährten von Havel um begleitende Texte. Einer von den Angesprochenen war Havels Biograph Michael Žantovský:

„Mich haben die Momente am stärksten beeindruckt, in denen der wahre Václav Havel an einen Kafka-Helden erinnert. Über dem Einzelnen stehende Mächte, die er nicht beeinflussen kann, entscheiden über ihn. Havel fasste das in den Worten zusammen: Sie können mit mir machen, was sie wollen.“

In den Aufzeichnungen finden sich auch Ideen für künftige Dramen. Anna Freimannová:

Anna Freimanová  (Foto: Archiv der Václav-Havel-Bibliothek)
„Václav wollte zunächst ein neues abendfüllendes Theaterstück schreiben, mit dem er an seine Werke aus den 1960er Jahren angeknüpft hätte. Es ging aber nicht. Er machte Notizen zu vier Einaktern, die zusammen ein Ganzes bilden sollten. Von diesen vier Stücken wurde schließlich nur ‚Der Protest‘ verfasst.“

Laut Žantovský belegt das Tagebuch, dass Havel den Gefängnisaufenthalt nur schwer ertragen habe:

„Er litt offensichtlich an Depressionen und musste deswegen Medikamente nehmen. In manchen Momenten war er so sehr bedrückt, dass im Text sogar Gedanken an Selbstmord vorkommen.“

Doch letztlich hat die Erfahrung der Haft Havel wohl stärker gemacht:

„Er war sehr stark zur Selbstreflektion fähig und konnte so Belastungen und Ängste überwinden. Ein Mensch, der schließlich zur Erkenntnis über seine eigene Stärke und über seine Schwächen kommt, ist meiner Meinung nach ein wahrer Held. Und Václav Havel hat in seinem ganzen weiteren Leben bewiesen, dass er ein Held ist.“

Foto: Archiv der Václav-Havel-Bibliothek
Für David Dušek ist es kein Wunder, dass Havels Tagebuch ausgerechnet im Nachlass seiner Familie aufgetaucht ist:

„Václav hat uns sehr oft besucht. Wenn er nicht im Gefängnis saß beziehungsweise sich nicht in seinem Haus in Ostböhmen aufhielt, habe ich ihn eigentlich jeden Tag getroffen. Seine Hausschuhe standen zum Beispiel bei uns. Als Václav der Führerschein abgenommen wurde, hat mein Opa ihn gefahren. Sein Auto parkte vor unserem Haus. Für mich war er ein Familienmitglied.“

Das Tagebuch wird als Faksimile erschienen, mit dem Titel „Aufzeichnungen eines Beschuldigten“. Herausgeber ist die Václav-Havel-Bibliothek in Prag.