Sieben Plätze und eine astronomische Uhr: Prostějov in Mittelmähren

Neues Rathaus in Prostějov

Die mährische Stadt Prostějov / Prossnitz ist seit dem 19. Jahrhundert als ein Zentrum der Bekleidungsindustrie bekannt. Die Stadt in der Haná-Ebene kann auf eine lange und ereignisreiche Geschichte zurückblicken, an die bis heute Sehenswürdigkeiten aus verschiedenen Epochen erinnern. Dabei gibt es einige Kuriositäten in der Stadt: Nirgendwo anders findet man im historischen Stadtzentrum sieben große, miteinander verbundene Plätze. Und nur drei weitere Städte in Tschechien schmückt eine astronomische Uhr.

Prostějov | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International
Von Olomouc / Olmütz sind es 17 Kilometer in südwestlicher Richtung, bis man Prostějov erreicht. Die Stadt mit rund 45.000 Einwohnern liegt am westlichen Rand der fruchtbaren Ebene Haná / Hanna. An ihrer Stelle befand sich im 12. Jahrhundert eine tschechische Siedlung namens Prostějovice. Im 13. Jahrhundert ist der deutsche Name des Ortes belegt: Prossnitz. Bis zum Jahr 1300 war Prossnitz ein Marktflecken. 1390 verliehen die Herren von Kravaře / Krawarn dem Ort das Recht, Jahrmärkte abzuhalten. Damit wurde Prostějov faktisch zur Stadt erhoben. Während der Hussitenkriege wurde die Stadt geplündert und niedergebrannt. Einen Aufschwung erlebte sie vor allem nach 1490, als sie hundert Jahre lang den Herren von Pernstein gehörte. Damals begann man mit dem Bau einer Stadtmauer mit vier Toren und Bastionen, von der einige Teile bis heute erhalten sind. Genauso erhalten ist das Renaissance-Rathaus, in dem heutzutage das Regionalmuseum den Sitz hat.

Kreuzerhöhungs-Kirche  (Foto: Pernak,  Creative Commons 3.0)
Vor allem dank der jüdischen Händler und Unternehmer begann sich in Prostějov seit dem 18. Jahrhundert die Textil- und Bekleidungsindustrie zu entwickeln. Nach der Gründung der ersten tschechischen Konfektionsfabrik der Brüder Mandl im Jahre 1858 strömten neue Bewohner in die Stadt. Seit den 1860er Jahren war die Stadt dank der Eisenbahn mit Brno / Brünn und Olmütz verbunden.

Mit der Bahn aus Olmütz beziehungsweise mit dem Bus ist Prostějov bis heute gut zu erreichen. Vom Bahnhof gelangt man nach etwa 15 Minuten Fußmarsch ins Stadtzentrum. Orientieren kann man sich am hohen Kirchenturm. Die Kreuzerhöhungs-Kirche, die mehrmals umgebaut wurde, steht hinter dem so genannten „Alten Rathaus“. Das Gebäude aus dem 16. Jahrhundert fällt dank der herrlichen Loggia aus der Barockzeit auf. Die Stadtväter sind bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in ein neues Rathaus umgezogen.

Volkshaus  (Foto: Martina Schneibergová)
Im Alten Rathaus ist seit 1905 das Regionalmuseum untergebracht. Der Museumsleiter Miroslav Chytil ist Architekturhistoriker und kennt alle Gässchen, Plätze und versteckten Ecken von Prostějov. Seine Führung durch den historischen Stadtkern, der seit 1990 unter Denkmalschutz steht, beginnt im so genannten „Volkshaus“. Das Volkshaus ist ein Meisterwerk des namhaften tschechischen Architekten Jan Kotěra, erzählt Chytil:

„Kotěra hat es 1905 entworfen. 1907 stand das Volkshaus dann bereits vollständig fertig. Das Gebäude besteht aus drei Teilen. Unten befindet sich ein Restaurant, dann gibt es hier Räume für mehrere Vereine, und schließlich ist hier ein großes Theater untergebracht. Die einzelnen Salons, die früher den Vereinen zur Verfügung standen, wurden nach der Farbe ihrer Wände benannt. Es gibt hier einen grünen, blauen sowie roten Salon. Alles ist Originalausstattung: die Kronleuchter, die Stühle und selbst das Lüftungssystem. Die Gegenstände wurden bis in Details durchdacht. Die Säulen, die in der Form von Ähren gestaltet wurden, sollen an die Haná-Ebene erinnern. Die Eulen-Statuen im Vortragssaal sind Symbole der Weisheit. Gleichzeitig dienen sie aber als Deckung für das Lüftungssystem. Dieses wurde einst eingemauert. Bei der Instandsetzung haben wir es wieder geöffnet und festgestellt, dass hier keine Klimaanlage notwendig ist. Lüften kann man hier auf natürlichem Weg.“

Volkshaus | Foto: Andrea Fajkusová,  Radio Prague International
Das Volkshaus wurde in den letzten Jahren größtenteils in Stand gesetzt. Vor zehn Jahren habe das Baudenkmal bedeutend schlechter ausgesehen, sagt der Experte. Das Interieur des Gebäudes wurde während der NS-Zeit verunstaltet:

„Das Treppenhaus wurde noch nicht in Stand gesetzt. Während des Zweiten Weltkriegs galt die hiesige Ausschmückung als ´entartete Kunst´. Die Nazis ließen das Volkshaus ´reinigen´, wie sie das damals nannten. Unser Ziel ist es, die Räume wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen.“

Volkshaus  (Foto: Martina Schneibergová)
Im Stadtführer wird das Volkshaus als Jugendstilgebäude bezeichnet. Miroslav Chytil stimmt dieser Meinung nicht zu:

„An dem Volkshaus ist zu erkennen, dass hier Architekt Kotěra schon andere Formen als die typischen Jugendstilformen nutzte. Ornamente setzte er beispielsweise nur sehr spärlich ein. Es gibt hier zwar viele Jugendstilelemente, aber es ist kein reines Jugendstilgebäude. Vielmehr ist zu sehen, dass der Architekt zu Formen überging, die er dann beim Bau des Museums in Hradec Králové benutzt hat. Kotěra hat auch persönlich alle Möbel für das Volkshaus entworfen. Für die Ausschmückung der Säle arbeitete er dann aber mit einigen renommierten Prager Künstlern zusammen wie dem Maler František Kysela, den Brüdern Stanislav und Vojtěch Sucharda oder dem Holzschnitzer und Graveur František Anýž. Es ist unglaublich, dass ein einziger Mensch mit den damaligen Mitteln alles selbst gezeichnet, skizziert und entworfen hatte.“

Kovářík-Villa  (Foto: Michal Maňas,  Creative Commons 2.5)
Eine Vorstellung davon, wie das Volkshaus nach seiner Eröffnung, aber auch kurz vor der jetzigen Instandsetzung aussah, vermittelt eine Fotoausstellung. Sie wurde in den Fluren des Hauses installiert.

Vor dem Volkshaus, am Vojáček-Platz, steht eine der architektonisch wertvollsten Villen der Stadt. Die Kovářík-Villa wurde im Stil der Moderne und des Jugendstils von Architekt Emil Králík erbaut. Sie gilt als Kulturdenkmal. Unweit der Villa, gleich hinter dem Volkshaus, ist noch ein Teil der Stadtmauer mit einer Bastion erhalten geblieben. Nach ein paar Schritten Richtung Süden erreicht man das ehemalige jüdische Viertel. Von dem einst blühenden Viertel ist nicht mehr viel erhalten geblieben, sagt Miroslav Chytil und macht auf ein großes graues Haus aufmerksam:

Ehemalige Synagoge  (Foto: Martina Schneibergová)
„Dieses Gebäude war früher eine Synagoge. Nach dem Krieg wurde das Gebäude an die tschechoslowakische Hussitische Kirche übertragen. Nur wenige Juden sind aus den Konzentrationslagern nach Prostějov zurückgekehrt. Die jüdische Gemeinde hörte auf zu existieren. Gegenüber der Synagoge gab es ein Gebetshaus. Dieses klassizistische Haus gehört heute der orthodoxen Kirche. Nebenan stand die jüdische Schule. Davon zeugt bis heute eine hebräische Inschrift, die die Gründung der Schule betrifft.“

Ab dem 19. Jahrhundert war die jüdische Gemeinde in Prostějov die zweitgrößte jüdische Kommunität in Mähren überhaupt, nach dem südmährischen Mikulov / Nikolsburg. Das geht vor allem auf die Bekleidungsindustrie zurück, die von jüdischen Unternehmern in Prostějov begründet wurde. Vom damaligen jüdischen Viertel und den engen Gässchen des mittelalterlichen jüdischen Ghettos ist indes nicht mehr viel zu sehen. Der Museumsleiter:

Špalíček  (Foto: Martina Schneibergová)
„Es stehen hier noch etwa sechs Häuser. Die hiesige letzte erhaltene Insel an Häusern nennt man Špalíček. Hier rundherum war das jüdische Ghetto. Die Häuser waren dicht aneinandergepresst, denn die Ghettos durften nicht expandieren. Wenn jemand heiraten wollte, musste er aber nachweisen, dass er eine Wohnung hat. Darum war es hier so eng und bizarr. Durch dieses Tor ging man aus dem Ghetto in das christliche Viertel.“

Das Tor führt zu einem der sieben miteinander verbundenen Plätze, dem Žižka-Platz. Dieser geht in den Masaryk-Platz über, der wiederum in den Pernstein-Platz mündet. Den Masaryk-Platz dominiert das Neue Rathaus mit einem auffallenden mächtigen Turm. Neben dem Eingang ist eine Gedenktafel angebracht. Sie erinnert an den Philosophen Edmund Husserl, der 1859 in Prostějov geboren wurde. Das Neue Rathaus wurde 1914 nach dem Entwurf von Karel Hugo Kepka erbaut. Der damalige Stadtrat wollte etwas Monumentales bauen, meint Miroslav Chytil:

Neues Rathaus  (Foto: Martina Schneibergová)
„Von außen macht der Bau einen eher verlegenen Eindruck. Es handelt sich um eine Mischung von verschiedenen Baustilen. Das Innere ist aber sehr pompös gestaltet. Eine Rarität findet man im so genannten ´Zeremoniensaal´, wo der Stadtrat zu Beratungen zusammentrifft. An den Wänden hängen Porträts von allen tschechischen Bürgermeistern von Prostějov. Es ist eine ununterbrochene Serie, die im 19. Jahrhundert mit dem großen Mäzen der Stadt, Karel Vojáček, beginnt. Abgebildet wurden auch die Bürgermeister aus der Ersten Republik sowie aus der Zeit des Kommunismus. An einigen der Porträts sieht man übrigens, dass es sich um kommunistische Funktionäre handelte. Die Tradition mit der Porträtierung der Bürgermeister wurde auch nach der Wende von 1989 weitergeführt. Die Säle im Rathaus wurden vor fast 100 Jahren sehr luxuriös eingerichtet: Alles ist farbenfroh und überall - auf den Möbeln und an den Wänden – findet man das Stadtwappen.“

Prostějov | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International
Im September dieses Jahres wurde auch der Turm des Rathauses für die Öffentlichkeit geöffnet. Bevor man die Treppe bis nach oben klettert, erfährt man in den einzelnen Etagen einiges über die Stadtgeschichte. Neben kleinen Ausstellungen mit Texten in Deutsch und Englisch wird auch ein kurzer Film über die Stadt gezeigt. Zu besichtigen ist zudem die astronomische Uhr. Die Hauptaussichtsterrasse liegt im neunten Stock. Aus 46 Meter Höhe kann man zum Beispiel den „Hradschin von Prostějov“ bewundern. So nennen die Bewohner nämlich den Gebäudekomplex der Kreuzerhöhungs-Kirche mit dem alten Rathaus. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Prager Hradschin gibt es da schon. Bei schönem Wetter sind auch Olmütz oder der so genannte Mt. Blanc von Haná – der Hügel Kosíř – gut zu sehen. Den Turm kann man nur in der Begleitung eines Fremdenführers besteigen. Die Führung kann man direkt im Rathaus bestellen.

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