„So nah und so fern“ – über den neuen Tschechien-Band von H. D. Zimmermann

Falls Ihnen noch ein Weihnachtsgeschenk fehlt – Radio Prag hat eine Idee für Sie: Es gibt ein neues Buch über Tschechien. Vergangenen Mittwoch wurde es mit Unterstützung der Robert Bosch Stiftung und der tschechischen Botschaft in Berlin präsentiert. Der Autor und Literaturprofessor Hans Dieter Zimmermann ist ein Kenner der Tschechischen Republik, der sich seit Jahrzehnten mit dem Land befasst. Sein Buch „Tschechien“ ist Teil einer Reihe mit dem Titel „Die Deutschen und ihre Nachbarn“. Diese Reihe wurde von Altbundeskanzler Helmut Schmidt und Altbundespräsident Richard von Weizsäcker herausgegeben. Christian Rühmkorf sprach mit Autor Zimmermann und Mitherausgeber von Weizsäcker.

Herr Bundespräsident von Weizsäcker, „Die Deutschen und ihre Nachbarn“, so heißt die zwölfbändige Reihe, von der heute der Band „Tschechien“ präsentiert wurde. Sie haben zusammen mit Altbundeskanzler Helmut Schmidt die Reihe herausgegeben. Was ist die Grundidee dahinter?

„Die Grundidee ist, uns immer wieder daran zu erinnern, dass wir Deutschen, die wir – wie es damals immer hieß – als eine verspätete Nation erst in den Kreis der vielen europäischen Nationen eingetreten sind, mit den neuen Nachbarn, die wir hatten und nach wie vor haben, im Laufe der Geschichte meistens mehr Schwierigkeiten hatten, die vielfach natürlich gerade auch an uns lagen, als eine Verständigung. Und dass wir nun heute, zum ersten Mal in unserer Geschichte mit allen unseren neuen Nachbarn in Frieden leben, das ist das eigentliche, wirklich tief wohltuende und die böse Geschichte quasi geradezu widerlegende Faktum, was uns hier in Europa verbindet.“


Hans Dieter Zimmermann, Sie kennen die Tschechoslowakei beziehungsweise Tschechien seit fast vier Jahrzehnten. Sie sind mit einer Tschechin verheiratet. Sie leben teilweise in Prag. Sie sind also geradezu prädestiniert, ein solches Buch über Tschechien zu schreiben. Hat Ihnen die große Nähe zum Gegenstand vielleicht trotzdem oder gerade deshalb Probleme beim Schreiben bereitet?

„Ja, also wie soll ich sagen, es ist aus Sympathie, man kann auch sagen, aus Liebe zu den Tschechen geschrieben. Und das kommt natürlich auch aufgrund meiner Lebenserfahrung. Ich habe eben sehr früh, also ab 1970, als ich nach Prag fuhr, hervorragende Tschechen kennen gelernt, liebenswerte Menschen, tapfere Menschen – also etwa die verfolgten Schriftsteller. Und ich habe dann auch erst nach und nach das Schicksal dieses Volkes kennen gelernt. Und das habe ich dann mit Anteilnahme zu schildern versucht. Denn es ist nicht einfach gewesen für die Tschechen, sich in tausend Jahren europäischer Geschichte zu behaupten, mitzuspielen auf höchster Ebene, was ihnen meistens gelungen ist. Und insofern, glaube ich, war es für mich – ich möchte sagen – wie die Biografie eines Volkes.

Sagen Sie uns, welche Schwerpunkte Sie eigentlich setzen in einer Geschichte, die Hunderte von Jahren umfasst.

„Also, ich wollte es nicht chronologisch heruntererzählen. Ich fange an im 19. Jahrhundert mit Dobrovský, Jungmann und Palacký und zeige vor allem Palacký in seinem Kampf um die Anerkennung der Tschechen innerhalb der Habsburgermonarchie. Und das ist ja misslungen, wie wir wissen. Und dadurch ist ja auch das ganze Experiment der Habsburgermonarchie, was ja eigentlich ein Vielvölkerstaat war und damit für die Zukunft durchaus ein Vorbild hätte sein können, zerbrochen. Und dann bringe ich den Rückblick in die Anfänge – es fängt bei mir wirklich mit Libuše an. Und dann erzähle ich die Geschichte durch bis zum 19. Jahrhundert, komme dann zu Masaryk. Und dann kommt eben das finstere 20. Jahrhundert mit dieser kurzen guten Zeit der 20 Jahre der Ersten Republik.“

Ein Sinn dieser Reihe ist auch, zum Beispiel nationale Vorurteile richtig zu rücken oder die Lebensverhältnisse zu beschreiben, nationale Besonderheiten. Welche nationalen Besonderheiten kennzeichnen Ihrer Meinung nach die Tschechen im Vergleich zu den Deutschen?

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
„Also, das ist ja... wenn man sagt ´die´ Deutschen oder ´die´ Tschechen, kommt man immer zu falschen Vereinfachungen. Das kann man nicht sagen. Aber es gibt natürlich bei den Tschechen gewisse Eigenarten. Ich glaube, einmal kommt es aus der Erfahrung der langen Unterdrücktheit unter Habsburg. Das wäre mehr so der Typ Svejk, also, dass sie versuchen, sich zu behaupten, äußerlich anpassen aber innerlich bei ihrer Sache bleiben. Also etwas von dem hat sich, glaube ich, bis heute gehalten. Das ist vielleicht das eine. Das andere ist aber, dass in der tschechischen Geschichte es immer wieder einzelne hervorragende Gestalten gab - von Hus über Comenius bis Palacký, Masaryk, Patočka, Havel - die sozusagen die besten Kräfte des Volkes verkörpert haben: Intelligenz, Weisheit, Wahrheitsliebe, Tapferkeit, und die dann auch immer als Vorbild dagestanden haben. Und da geht ja hin bis zur Charta 77. Schauen Sie mal, dass 300, vielleicht waren es am Ende auch 500 Leute, das kommunistische Regime unter Druck setzen konnten. Großer Unterschied zu den Polen. Die Solidarnosc-Gewerkschaft hat fast ein Drittel der polnischen Bevölkerung umfasst. Das waren als ein paar Millionen. Und die Tschechen haben mit 300 Intellektuellen das kommunistische Regime unter Druck gehalten. Also diese Vorbildfunktion, das ist, glaube ich, auch etwas, was mir eine Eigenart zu sein scheint. Und diese Verbindung ist es vielleicht, wenn ich das mal so vereinfacht sagen darf.“

Kommen wir noch einmal auf Ihre ganz persönliche Geschichte zu sprechen. Seit 1970 haben Sie verfolgte Schriftsteller in der Tschechoslowakei unterstützt. 1973 wurden Sie in Prag am Flughafen festgenommen und ausgewiesen und hatten dann zehn Jahre Einreiseverbot. Wie kam es überhaupt zu Ihrem ganz persönlichen Interesse an diesem Land mitten in dieser doch sehr finsteren kommunistischen Zeit der so genannten „Normalisierung“?

„Also, das war eigentlich ein Auftrag. Ich war Angestellter der Westberliner Akademie der Künste. Und Günter Grass, der Mitglied der Akademie ist, sagte: ´Da ist ein Brief von Jan Procházka gekommen. Den habe ich beantwortet, den muss jemand nach Prag bringen, in der Post wird er nicht befördert´. Und da haben sie mich eben hingeschickt. So bin ich also in einem Auftrag dorthin gekommen, aber dann, nachdem ich die tschechischen Schriftsteller Procházka, Kohout, Klement, Klíma, Vaculík, Havel kennen gelernt habe, wurde es zu einem persönlichen Anliegen. Weil: Das waren Menschen, die mir gefallen haben, die in ihrem Kampf mich beeindruckt haben, und die wollte ich unterstützen.“

Die Reihe, in der Ihr Buch erschienen ist, heißt „Die Deutschen und ihre Nachbarn“. An welchem Punkt steht das deutsch-tschechische Nachbarschaftsverhältnis Ihrer Ansicht nach?

„Ich meine, es gibt keine Probleme. Es ist ein freundschaftliches Verhältnis. Es gibt starke wirtschaftliche Beziehungen zwischen beiden Ländern. Und es gibt auch keine politischen Probleme. Es ist alles im besten Einvernehmen, würde ich sagen. Die einzige Gruppe, die meiner Meinung nach stört, ungut stört, sind nicht ´die´ Sudetendeutschen. Denn dort gibt es viele, die in Einzelinitiativen Kirchen renovieren und Freundschaften zu Tschechen in den ehemaligen Heimatdörfern haben. Das ist überhaupt kein Problem. Die Sudentendeutsche Landsmannschaft ist eine kleine Gruppe von Funktionären, die höchstens zehn Prozent der Sudetendeutschen vertritt, wenn überhaupt - ich zweifle daran – und die sich zum Sprecher aller Sudetendeutschen macht und ungute Forderungen, auch materielle Forderungen stellt. Und das ist meiner Meinung nach das Einzige, was von übel ist. Und da hilft nur eines, nämlich sie ignorieren. Die Tschechen sollten sie ignorieren, und die Deutschen sollten sie auch ignorieren. Dann ist ihre Macht, die eigentlich in nichts anderem besteht als groß zu tönen, verschwunden.“