Sport kennt keine Grenzen: Fanclub Olbernhau schwört auf Eishockey made in Litvinov
Sport kennt keine Grenzen. Er hat vielmehr die Eigenschaft, Völker zu verbinden und ihre Menschen einander näher zu bringen. Auf diesem Prinzip beruht auch das Fundament der Olympischen Spiele. Doch Sportler und Fans müssen längst nicht mehr nur auf das alle vier Jahre stattfindende Topevent warten, um sich zu begegnen. Von einem aktuellen Beispiel, wie deutsche Sportanhänger dem tschechischen Eishockey frönen, berichtet Lothar Martin im nun folgenden Sportreport.
"Wir wussten schon länger, dass in Litvinov erstklassiges Eishockey gespielt wird. Durch die Grenzöffnung in Deutscheinsiedel und durch das Internet hat sich uns der Weg dann auch buchstäblich geöffnet. Wir hatten das Eisstadion schon einmal besucht, als wir noch über Komutau fahren mussten. Es hat sich also alles langsam entwickelt, aber als dann der neue Grenzübergang geöffnet und der Weg für uns dadurch kürzer wurde, waren wir gleich beim ersten Punktspiel in der vergangenen Saison dabei. Und seitdem sind wir eigentlich regelmäßig in Litvinov zugegen."
Andre Enderlein ergänzt, warum es ihn und seine Freunde gerade zum Eishockey nach Litvinov zieht:
HCC Litvinov-Fanclub Olbernhau: Sören Hildebrand, Ulf Albrecht, Christian Reichel (hintere Reihe v.l.) sowie Andre Enderlein, Uwe Walter und Lars Hildebrand (vordere Reihe v.l.) |
"Ja, wir waren auch schon zum Eishockey in Crimmitschau und haben dort Bundesligaspiele besucht. Bei uns in Olbernhau sind wir auch Fans unserer Fußballmannschaft, aber unser Herz schlug schon immer für Eishockey, und hier in Litvinov hatten wir dann die Chance, erstklassiges Eishockey zu sehen. Gerade in der vorigen Saison war das der Fall, weil aufgrund des Spielerstreiks in der NHL Dutzende Topleute in Tschechien spielten. Dadurch haben wir schnell unsere neue Liebe gefunden."
Der von Enderlein erwähnte Spielerstreik in der nordamerikanischen NHL, der die gesamte Vorjahressaison Weltstars und unzählige Topcracks nach Europa und daher auch nach Tschechien spülte, hatte auch bei den Olbernhauern seine Wirkung nicht verfehlt, wie Student Sören Hildebrand zu berichten weiß:
"Die NHL-Stars waren natürlich ein zusätzlicher Anreiz, um hierher zu kommen. Also, ob nun Rucinsky, Slegr, Skoula oder andere, diese Cracks machten die Liga natürlich noch attraktiver, was sich auch in den Zuschauerzahlen widerspiegelte. Mein Bruder und ich hatten zudem das Glück, als Tschechien im Mai den WM-Pokal geholt hat, dass wir hier in einem Park in Litvinov unsere Stars Rucinsky und Slegr bei einer Siegesfeier live erleben konnten. Das war natürlich ein Riesenerlebnis."
Und Bruder Lars bestätigt:"Vor allen Dingen haben wir früher schon Playstation gespielt, da waren unsere Stars schon virtuell dabei. Doch nun haben wir sie live erleben können. Das war wie gesagt ein Riesenerlebnis."
Andre Enderlein, der sich voller Stolz in einem Litvinov-Trikot präsentiert, nennt weitere Gründe, warum der Besuch von Eishockeyspielen in Tschechien für den Fanclub Olbernhau so attraktiv ist:
"Man muss ja dazu sagen: Wenn man bei uns in Deutschland erstklassiges Eishockey in der DEL sehen will, bezahlt man das Zehnfache an Eintrittspreisen, geschweige denn, wenn man das ganze Drumherum mit Essen und Trinken zu Rate zieht. Dass es hier viel billiger ist, ist aber für uns nicht die Motivation, sondern die Tatsache, dass das tschechische Eishockey wirklich Spitze ist. Demgegenüber wird in Deutschland nur zweit- bis drittklassiges Eishockey gespielt, was man schon daran erkennt, dass Deutschland bei der letzten WM in Österreich in die B-Gruppe abgestiegen ist."
Neben dem finanziellen Gesichtspunkt sei es aber auch das fehlende sportliche Angebot in Deutschland, was ihn und seine Mitstreiter in das Nachbarland führe, wirft der Chef der Olbernhauer Werbefirma, Ulf Albrecht, in die Debatte ein:
"Man kann auch sagen: Wenn man von uns aus in Deutschland zu einem DEL-Eishockeyspiel aufbricht, dann wären Nürnberg oder Berlin die ersten Adressen. Aber in Berlin hat man eigentlich gar keine Chance, an Karten heranzukommen, weil die Heimspiele der dortigen Eisbären grundsätzlich ausverkauft sind."
Und Albrecht setzt fort:
"Was ich aber noch sagen wollte: Olbernhau liegt bekanntlich im Erzgebirge, wo es viele kleine Seen gibt, auf denen wir als Kinder früher oft und gern Eishockey gespielt haben. Das war immer faszinierend, aber es gab überhaupt keine Möglichkeit, diesen Sport auch organisiert und auf hohem Niveau zu betreiben. Dresden, Berlin oder auch Weißwasser wären wohl die nächsten Orte gewesen, wo man hätte spielen und trainieren können."Im weiteren Gespräch wird klar, was die sächsischen Erzgebirgler in ihrer unmittelbaren Umgebung am meisten vermissen: eine Möglichkeit für ihre Kinder, selbst aktiv, organisiert und auf gutem Niveau Eishockey spielen zu können. Daher sehe man auch aus diesem Blickwinkel heraus immer häufiger nach Litvinov. Allerdings, so Lars Hildebrand, mit einer Einschränkung:
"Bei uns gibt es einfach nicht das Umfeld und auch keine Vereine, bei denen ich meine Kinder zum Eishockey anmelden könnte. Das wäre hier in Litvinov möglich, geht aber nicht, weil wir einfach noch nicht die tschechische Sprache beherrschen. Deswegen ist diese Möglichkeit zurzeit noch nicht realisierbar."
Ulf Albrecht zeigt folglich Unverständnis für fehlende Alternativen des Sprachunterrichts an sächsischen Schulen:
"Was ich aber nicht verstehe, dass bei uns in der Grenzregion in den Schulen nicht auch Tschechisch als Unterrichtsfach angeboten wird. Das ist eigentlich für mich eine Katastrophe!"
Sören Hildebrand, mit 19 Jahren der Jüngste in der Runde, habe zwar in der Schule Russisch gelernt, doch ohne Praxis gehen diese Sprachkenntnisse nur allzu schnell verloren. Tschechisch müsste man daher von Kindesbeinen an erlernen, um sich mit den Süderzgebirglern verstehen zu können, ist sich Sören sicher. Sein Bruder Lars wirft in diesem Zusammenhang noch eine andere Frage auf, die den Fanclubmitgliedern auf den Nägeln brennt: Ihre Verbundenheit zu Sportlern des Nachbarlandes werde nämlich in ihrem deutschen Umfeld recht argwöhnisch beäugt. Lars Hildebrand aber hält allen Nörglern entgegen:"Wir versuchen unseren Landsleuten mittlerweile zu erklären, dass wir nach Litvinov fahren, weil die Spieler des hiesigen Clubs für die Region spielen. Zum Beispiel ein Olympiasieger und Weltmeister wie Robert Reichel, der mit ganzem Herzen für den HC Chemopetrol spielt. Das können teilweise jene nicht verstehen, die uns sagen, wir sollten lieber deutsche Mannschaften anfeuern. Das aber stimmt schon längst nicht mehr, wenn man sich zum Beispiel nur einmal den Kader von Crimmitschau ansieht. In dem sind fast nur Ausländer vertreten, die sogar aus noch viel weiter entfernten Ländern kommen und die meist nur ein zweit- oder drittklassiges Niveau haben. Deswegen kann ich mich mit Crimmitschau nicht identifizieren, sondern fahre lieber nach Litvinov. Die hiesigen Cracks spielen zwar auch für Geld, sind aber mit dem Herzen noch viel mehr bei der Sache, als die meisten der Spieler, die in deutschen Teams zum Einsatz kommen."
Die Eishockeyfans aus Olbernhau haben in Litvinov inzwischen ihre "zweite Heimat" gefunden und lassen sich ihr neues Hobby auch nicht mehr durch dumme Sprüche und schnippische Kommentare mies machen. Im Gegenteil: Sie haben ganz offiziell den Antrag gestellt, beim HC Chemopetrol Litvinov zahlende Vereinsmitglieder zu werden. Was sie zu diesem Schritt bewogen hat, dazu noch einmal Andre Enderlein:
"Wir erhoffen uns dadurch auch persönliche Kontakte zur Vereinsführung bzw. zu Spielern des Vereins, was unser Fanclubleben noch weiter nach vorn bringen würde. Das ist das wesentliche Ziel, das wir mit der Bescheinigung als eingetragener Verein verfolgen."
Wir sind uns sicher, dass von den Olbernhauer Fans des HC Chemopetrol noch zu hören sein wird. Radio Prag jedenfalls wird sie nicht aus den Augen verlieren.