St.Veit-Kathedrale: Symbol der Einheit wird zum Zankapfel

sv_vit.jpg

Karl IV. würde sich bestimmt wundern, wenn er sehen würde, was für Streitigkeiten die Kathedrale hervorruft, die er einst erbauen ließ. Denn weit mehr als der Sakralbau und dessen geistliche Dimension beschäftigt die Medien nun schon fast 17 Jahre die Frage, wem der St. Veitsdom eigentlich gehört. Die wohl bekannteste Prager Kirche feierte vor kurzem ein kleines Jubiläum: Am 16. Mai waren es 80 Jahre her, seitdem der Dom in der Ersten Tschechoslowakischen Republik vollendet wurde. Anlässlich des Jahrestags haben die Kirchenvertreter einen weiteren Schritt im Kampf um den Sakralbau unternommen.

Der Grundstein für den Bau der St. Veit-Kathedrale wurde am 21. November 1344 gelegt. Wie es bei Kathedralen oft der Fall ist, hat ihr Bau einige Jahrhunderte lang gedauert. Noch lange nach der Gründung des Veitdoms hat sich bestimmt niemand darüber den Kopf zerbrochen, wem die Kirche eigentlich gehört. Logischerweise hat man angenommen, dass ein Raum, in dem Gott gepriesen wird, der Kirchengemeinschaft gehört. In der Geschichte der Kathedrale spiegeln sich aber auch die Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Während der Epoche der nationalen Wiedergeburt Anfang des 19. Jahrhunderts habe man klare und verständliche Symbole für die nationale Größe gebraucht, welche die Mehrheit der Gesellschaft ansprechen konnten, sagt Kirchenhistoriker Jaroslav Šebek:

Jaroslav Šebek
„Geeignete Symbole schienen Persönlichkeiten zu sein, die mit der geistlichen Geschichte der Böhmischen Länder verbunden waren. Sie sind mit der Zeit zu Symbolen der Nation geworden; ihre religiöse Bedeutung wurde in den Hintergrund gedrängt. So wurde beispielsweise Magister Jan Hus nicht nur als Kämpfer für eine Erneuerung der Kirche, sondern auch als ein Sozialreformator und eine Ikone des tschechischen Patriotismus geehrt. Eine ähnliche Transformation kann man auch bei der Verehrung des Heiligen Wenzel erkennen. Im 19. Jahrhundert wird die Vorstellung über den Přemyslidenfürsten als einen Heiligen und Märtyrer allmählich in den Hintergrund gedrängt und durch das Bild eines Führers der Nation ersetzt.“

Diese Änderungen spiegelten sich auch in der Wahrnehmung der Kathedrale. Die Mehrheit der tschechischen Gesellschaft hielt sie damals für ein nationales künstlerisches Werk, für einen Ort, an dem die Herrscher gekrönt und wo die Krönungsinsignien aufbewahrt wurden. Zudem war der Dom die letzte Ruhestätte der böhmischen Herrscher, einschließlich des gemeinhin beliebten Karl IV.

Die Gründe dafür, warum der St. Veitsdom von einem Teil der tschechischen Gesellschaft eher als Nationalsymbol denn als Gotteshaus wahrgenommen wird, liegen bereits im 19. Jahrhundert, als man sich um eine nationale Emanzipation bemühte. Die Wurzeln des Streites, wer der Eigentümer der Kathedrale ist, sind erst nach dem kommunistischen Putsch von 1948 zu suchen. Der Historiker:

„1954 wurde die Kathedrale mit einem Beschluss der Regierung verstaatlicht. Dieser Schritt belastet die Eigentumsfrage bis heute. Die Entscheidung hatte damals zwar die tschechoslowakische Regierung getroffen, aber das entscheidende Wort hatte das Präsidium des ZK der Kommunistischen Partei. In diesem Zusammenhang fallen mir die Worte vom Prager Erzbischof Josef Beran ein. Als er 1946 in sein Amt eingeführt wurde, erinnerte er daran, dass die Kathedrale kein Museum ist. Sie habe, so Beran, eine Seele, und das gläubige Volk erfülle den Raum mit Gebeten. Beran hat 1946 nicht geahnt, dass die Worte nach 1948 an symbolischer Bedeutung gewinnen würden. Gerade in der Zeit des Kommunismus hat St. Veit die Gläubigen und Nicht-Gläubigen im Widerstand gegen das kommunistische Regime verbunden.“

Foto: www.czechtourism.cz
In Erinnerung hat man den Gottesdienst vom 25. November 1989, der einige Tage nach dem Ausbruch der Samtenen Revolution für die Heiligsprechung von Agnes von Böhmen zelebriert wurde. Während der Messe in der vollen Kathedrale betonte damals Kardinal František Tomášek, die ganze katholische Kirche stehe auf der Seite des Volkes. Am 29. Dezember 1989 erklang dann im Veitsdom ein Te Deum nach der Wahl von Václav Havel zum tschechoslowakischen Staatsoberhaupt. Die relativ harmonische Stimmung, in der die Kathedrale ein Symbol für alle Seiten darstellte, hielt jedoch nicht lange an.

„Ich meine, dass sich die Kirche nach der Wende von 1989 mit vielen Problemen auseinandersetzen musste. Aus diesem Grund suchte sie nach der richtigen Art und Weise, wie sie mit der Gesellschaft kommunizieren soll. Hinter den jetzigen Debatten über den Eigentümer der Kathedrale verbirgt sich die Suche nach neuen Formen der Beziehung zwischen Kirche und Staat sowie zwischen Kirche und Gesellschaft. Ich bin davon überzeugt, dass ein Dialog der Kirche mit den staatlichen Institutionen der einzig sinnvolle Weg zur Beruhigung und schließlich Lösung der Situation ist. Es könnte sonst passieren, dass die Kathedrale als National- und als Sakralsymbol im öffentlichen Bewusstsein an Wert verliert. Und dies wäre schade für uns alle.“

Um die Eigentumsfrage der Kathedrale zu verstehen, müsse man sich den Experten zufolge mit der Rechtssituation im 19. Jahrhundert vertraut machen. 1874, als die Kirche in der Monarchie noch eine starke Position hatte, wurde ein wichtiges Gesetz über die äußeren Verhältnisse der katholischen Kirche verabschiedet. Das Gesetz definierte die Art, wie die Kirche über ihr Eigentum verfügen soll. Der Staat sollte sich auf keinen Fall in die innere Verwaltung der Kirche einmischen, sagt Jurist Jiří Kejř:

Foto: www.czechtourism.cz
„Als im 19. Jahrhunderts die genauen Regeln des Grundbesitzes festgelegt und die Grundbücher zusammengestellt wurden, wurde der Eigentümer dort eingetragen. Dort wurde klar formuliert, dass ´kostel pražský´ - also die Prager Kirche – der Eigentümer der Kathedrale ist. Unter dem Begriff von ´kostel pražský´ verbirgt sich eine Stiftung, die vom Prager Domkapitel geleitet wird. Sie ist nicht selbst der direkte Eigentümer. Das Kapitel verwaltet das Eigentum, das der Stiftung gehört. So wurde es in den Grundbüchern verankert.“

In den Debatten darüber, wem der Dom gehören soll, hörte man jedoch oft: Die Kirche gehöre dem Volk oder der Nation. Ist das aus Sicht des Juristen Jiří Kejř akzeptabel?

„Seien Sie mir nicht böse, aber dem Volk gehört nichts. Es gab einst Volksbetriebe, es gibt immer noch Nationalparks, ein Nationalmuseum, ein Nationaltheater, es gibt verschiedene nationale Symbole. Aber setzen wir mal voraus, dass die Kirche dem Volk gehören würde. Wenn dort der Strom ausfällt, kommt ein Handwerker, der die Störung beseitigt und wem schickt er die Rechnung? Dem Volk? Dem Volk gehört nichts. Das Volk besitzt nichts.“

Es wird manchmal behauptet, dass die Kathedrale dem Staat gehören sollte, und zwar aus dem Grund, weil dort die Krönungsinsignien aufbewahrt werden. Wie sieht das der Jurist?

„Karl IV. ließ die Kathedrale nicht aus dem Grund bauen, um dort die Krönungsinsignien aufzubewahren. Er hat nur festgelegt, dass sie in der St. Wenzel-Kapelle platziert werden sollen. Die Krönungsinsignien haben inzwischen einiges erlebt. Jahre lang wurden sie auf der Burg Karlstein aufbewahrt, Jahre lang waren sie in Wien. 1938 sollten sie wegen der Kriegsgefahr in einem Banktresor in der slowakischen Stadt Žilina versteckt werden. In die Kammer, wo sie heutzutage aufbewahrt werden, wurden sie erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelegt.“

Und wie steht es momentan um die Prager Kathedrale? Sie wurde nach 14 Jahren dauernden Rechtsstreit 2006 vom Staat an das Domkapitel zurück übertragen. Der Staat legte jedoch eine Berufung gegen das Urteil ein. Das Oberste Gericht beschloss 2007 wiederum, dass die Kathedrale dem Staat gehören soll. Im März dieses Jahres wies das Oberste Gericht die Berufung der Kircheninstitutionen zurück. Zwei Monate später hat das Domkapitel eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. Denn die kirchlichen Institutionen zweifeln an der Unabhängigkeit des obersten Richters, František Ištvánek. Er war vor 1989 Mitglied der kommunistischen Partei und somit in Fragen des „Volkseigentums“ nach Ansicht von Kardinal Miloslav Vlk befangen.