Sudetendeutsche Archivalien finden im Internet wieder zueinander

Westteil des Sudetenlandes

Mit der Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg verlor die damalige Tschechoslowakei nicht nur einen großen Teil ihrer Bevölkerung. Auch ein großer Teil des kulturellen Gedächtnisses des Landes ging mit der deutschen Bevölkerung verloren. Die Folgen sind immer noch spürbar. Greifbar wird dies heute zum Beispiel in den Beständen der tschechischen Archive auf dem Gebiet des ehemaligen Sudetenlandes. Dort klaffen gewaltige Lücken. 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wollen Archive in Tschechien und Bayern diesen Mangel gemeinsam beheben.

Im Staatlichen Bezirksarchiv im westböhmischen Cheb / Eger, nur etwa fünf Kilometer von der bayerischen Grenze, laufen seit fast einem Jahr die Scanner auf Hochtouren. Die Mitarbeiter digitalisieren einen Großteil des Archivbestandes. Gleiches geschieht auf der anderen Seite der Grenze im Hauptstaatsarchiv München. Die beiden Institutionen arbeiten zusammen auf ein gemeinsames Ziel hin. Karel Halla, Leiter des Archivs in Cheb:

Massaker von Postoloprty - im Juni 1945 wurden über 760 der anwesenden deutschen Männer gefoltert und erschossen
„Ziel des Projektes ist es, Archivalien zusammenzufügen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gewaltsam auseinandergerissen wurden. Mit den vertriebenen Sudetendeutschen sind viele Archivalien ins Ausland gelangt, die jetzt natürlich in den Archivbeständen in der Tschechischen Republik fehlen, zum Beispiel Chroniken. Wir denken, dass diese Archivalien zusammengehören. Das wollen wir virtuell erreichen, nach einer Digitalisierung der Dokumente, damit sich wieder eine zusammenhängende chronologische Reihe ergibt.“

Vertreibung der Sudetendeutschen
Neben den genannten Chroniken, deren Zahl in die Tausende geht, handelt es sich bei den Archivalien um 11.000 Matrikelbücher, die den Zeitraum seit dem Ende des 16. Jahrhunderts bis 1945 dokumentieren. In einer weiteren Phase des Projektes, das für insgesamt drei Jahre angesetzt ist, soll die Digitalisierung von etwa 120.000 historischen Fotografien folgen, sagt Karel Halla.

„Nach der Bewilligung dieses europäischen Projektes – denn das Ganze soll aus Mitteln der Europäischen Union finanziert werden – soll bis zum Ende dieses Jahres ein tschechisch-bayerisches Internetportal geschaffen werden. Und darin sollen ab Anfang 2011 die Archivalien nach und nach abgespeichert und der Öffentlichkeit präsentiert werden.“

Ausstellung „Das verschwundene Sudetenland“  (Foto: Gerald Schubert)
Forscher müssen dann nicht mehr den umständlichen Weg zwischen den Archiven in Cheb und München zurücklegen. Die historischen Dokumente werden am heimischen Computer kostenfrei und zweisprachig im Internet zugänglich sein. Bis jetzt beteiligen sich an dem Projekt nur die Archive in München und Cheb. Andere tschechische Archive, die alte sudetendeutsche Dokumente ihr Eigen nennen, haben aber bereits bei Archivleiter Halla Interesse angemeldet:

Staatliches Bezirksarchiv in Cheb  (Foto: www.soaplzen.cz)
„Das Staatliche Gebietsarchiv in Litoměřice / Leitmeritz hat sich bereit erklärt, an unserem jetzigen Projekt teilzunehmen. Das heißt, auch Archivalien aus anderen staatlichen Archiven in der Tschechischen Republik könnten in Zukunft in das Internetportal eingespeist werden.“