Temelín und Schengen: wunde Punkte zwischen Prag und Wien
Am Montag besuchte der tschechische Premier Mirek Topolánek seinen Amtskollegen Alfred Gusenbauer in Wien - Begegnung auf höchster Ebene also. In der heutigen Ausgabe unserer Sendereihe „Begegnungen“ wird deswegen von den tschechisch-österreichischen Beziehungen die Rede sein. Pavel Polák hat dazu Topolánek, Gusenbauer sowie unseren aus Wien stammenden Kollegen Gerald Schubert befragt.
Wie man das in Österreich sieht, das ist jetzt meine Frage an meinen Kollegen Gerald Schubert.
„Ich würde sagen, so uneingeschränkt gilt das in Österreich natürlich auch nicht. Wenn ein Staat unter seinen Nachbarnstaaten sozusagen einen 'Lieblingsfeind' braucht, dann haben sich Tschechen und Österreicher wahrscheinlich auf dieser Ebene ganz gut gefunden. Ich bin da pessimistisch und optimistisch gleichzeitig. Auf der praktischen Ebene kann man durchaus optimistisch sein. Die Beziehungen sind besser als ihr Ruf, die Wirtschaft und der Tourismus funktionieren gut. Es gibt viele persönliche Beziehungen, zum Beispiel auch auf der Ebene der Jugendarbeit. Aber auf der symbolischen Ebene, die die Bereiche der Politik, des Journalismus und der Psychologie abdeckt, da gibt es noch viel zu tun. Da gibt es das alte Misstrauen seit der Monarchie. Und um zum Anfang zurück zu kommen: wenn man einen Reibebaum braucht unter den Nachbarn, dann ist es für Tschechien wahrscheinlich Österreich und für Österreich wahrscheinlich Tschechien. Und das wird sich vielleicht nicht so schnell ändern.“
Der tschechische Premier Mirek Topolánek sieht die tschechisch-österreichischen Beziehungen sehr optimistisch. Das teilte er gegenüber Radio Prag direkt in Wien bei seinem offiziellen Besuch mit.„Ich halte die tschechisch-österreichischen Beziehungen für überdurchschnittlich gut. Wenn sie irgendwo ein bisschen verkümmert oder nicht ganz ideal sind, dann deshalb, weil wir uns gut kennen, weil wir eine gemeinsame Geschichte haben. Daraus ergeben sich verschiedene Ressentiments oder Vorurteile, die fortdauern. Trotzdem haben wir sehr gute Nachbarschaftsbeziehungen. Alle Probleme, die bestehen, lassen sich klar definieren. Wir versuchen an der Beseitigung dieser Probleme zu arbeiten. Ich glaube, dass die Einrichtung der interparlamentarischen Kommission für Temelín und das Melker Abkommen eine gute Sache ist. Das wird auch von der österreichischen Regierung so gesehen. Ich habe das unter anderem auch mit der Vorsitzenden der Nationalrats, Barbara Prammer, besprochen. Sie hat denselben Eindruck wie ich, obwohl Österreich seine Haltung zur Kernenergie beibehalten wird und auch weiterhin gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie sein wird. Ich wiederhole es noch einmal: Die Beziehungen sind sehr gut. Und die wirtschaftliche Zusammenarbeit ist entscheidend und sehr wichtig. Österreich ist der drittgrößte Investor in Tschechien.“
Die Probleme, von denen Topolánek sprach, sind in der Tat klar umrissen. Das größte ist Temelín. Gerald, inwieweit ist es wirklich ein Problem? Die Tschechen verstehen eigentlich nicht, warum die Grenzen von Österreichern blockiert werden. In Deutschland gibt es auch eine Menge von Atomkraftwerken, und ihre Grenzen sind immer frei…„Was die Grenzblockaden betrifft, da muss man immer vorausschicken, dass sie natürlich auch in Österreich nicht unumstritten sind. Es gibt sehr viele österreichische Politiker, Kommentatoren oder einfach Bürger und Bürgerinnen, die gegen Atomkraft im Allgemeinen sind, aber auch ganz eindeutig gegen die Grenzblockaden. Das sollte man nicht so hoch kochen, das ist eine Angelegenheit von wenigen. Trotzdem muss man sagen, es gibt in Österreich einen breiten Antiatom-Konsens. Temelín hat man während der kommunistischen Zeit begonnen zu bauen, dann kam plötzlich die Wende, der Fall des Eisernen Vorhangs. Und da hat sich aus der Sicht Österreichs nicht alles geändert. Plötzlich wird dort ein AKW weiter gebaut. Temelín steht für die Österreicher wohl eher als ein Symbol für alte Zeiten. Ich glaube, Temelín ist ein wunder Punkt, aber es ist nicht der einzige. Es gibt natürlich noch andere Streitpunkte, wie zum Beispiel aktuell die Frage rund um die Erweiterung des Schengenraumes.“
Die Tschechische Republik hat die Erweiterung des Schengenraumes gefeiert. Auch die Meinungsumfragen bestätigen das. Zu Schengen hat sich Premier Mirek Topolánek gegenüber Radio Prag folgendermaßen geäußert:
„Für uns ist Schengen psychologisch sehr wichtig, das brauche ich nicht weiter zu erklären. Dass dies aber auch Risiken mit sich bringt, haben wir immer gewusst. Es ist nicht so, dass wir den anderen Ländern Probleme verursachen. Vielmehr ist es umgekehrt: Für uns können Probleme entstehen. Wir sind ein Transitland, in unser Land können unerwünschte Personen aus dem ganzen Schengenraum kommen. Die Erweiterung des Schengenraumes wird nicht an sich als Problem empfunden. Es ist eher eine psychologische Sache, vor allem an der tschechisch-bayerischen und tschechisch-österreichischen Grenze. Es ist aber durch intensive Arbeit im vergangenen Jahr gelungen, zumindest den politischen Widerstand zu brechen. Die Haltung des österreichischen Staates entspricht heutzutage dem Standard.“
Aber Österreich erlebt jetzt nach der Erweiterung einen – sagen wir – Schock. Im Aufnahmelager Traiskirchen stieg die Zahl der Asylbewerber von 300 auf 700. Die neuen Asylbewerber haben ihren Antrag aber in Tschechien und Polen gestellt. Die österreichischen Medien berichten, dies sei alarmierend. Auch Bundeskanzler Alfred Gusenbauer hat sich dazu am Montag kritisch geäußert:„Es ist für Österreich inakzeptabel, dass Menschen in Polen oder Tschechien Anträge stellen und dann glauben, dass das Asylverfahren in Österreich durchgeführt werden kann. Die Entwicklung rund um das Flüchtlingslager in Traiskirchen in den letzten Tagen ist daher ein Alarmzeichen.“
Gerald, ist das eine Art kurzfristiger Hysterie? Oder charakterisiert das die österreichische Haltung zu Schengen allgemein?
„Von Hysterie sollte man vielleicht gar nicht sprechen. In österreichischen Medien gibt es auch Stimmen, die darauf hinweisen, dass es Schwankungen der Zahl der Flüchtlinge gerade in Traiskirchen immer gegeben hat. Es ist sicher eine Mentalitätsfrage. Österreich ist früher sehr nah am Eisernen Vorhang gelegen. Ich glaube, dass die Beziehungen weit besser sind als ihr Ruf. Wie sie sich in der Zukunft noch weiter verbessern lassen, wird in einem hohen Maß davon abhängen, ob es auch gelingt, diese gut funktionierenden Beziehungen auf diese symbolische Ebene zu tragen, auf die Ebene von Journalismus und Psychologie. Auf die Ebene, wo es nicht mehr darum geht, dass man sich einen Gegner aufbaut, um politisches oder journalistisches Kleingeld daraus zu schlagen, sondern dass man vielleicht zur Kenntnis nimmt, dass die Entwicklung in den letzten achtzehn Jahren für beide Seiten absolut positiv war.“