Tierleiden für die Gesundheit des Menschen?
Schlichtweg unmöglich, so sagen manche, wären viele medizinische Fortschritte ohne Versuche an lebenden Tieren. Genau diese aber halten andere für einen Sündenfall, für eine nicht akzeptable Überschreitung moralischer Grenzen. In Großbritannien wird genau diese Diskussion mit großer Leidenschaft geführt, wie Ruth Rach aus London berichtet.
Im Jahre 2001 zeigte das britische Fernsehen einen Dokumentationsfilm, der die Öffentlichkeit erschütterte: Affen, denen bei vollem Bewusstsein Hals und Brustkorb aufgeschnitten wurden, Tiere, die mit grässlichen Verstümmelungen vor sich hin vegetierten. Verdeckte Aufnahmen aus den Labors von Huntingdon Life Sciences, einer amerikanischen Firma in Cambridge, dem damals größten Tierversuchszentrum Europas. Inzwischen hat das Labor geschlossen. Nicht etwa, weil die Firmenleitung ein schlechtes Gewissen bekam. Vielmehr wurden ihre Mitarbeiter, Auftraggeber und Investoren von extremistischen Tierschützern so massiv unter Druck gesetzt, dass sie um ihr Leben fürchteten. Über 80 Auftraggeber zogen sich zurück. Die Aktien von Huntingdon Life Sciences stürzten in den Keller.
Die britische Tierschutzbewegung gilt als die größte und stärkste auf der Welt. Ihre Taktiken werden in anderen Ländern kopiert. Die meisten Tierversuchsgegner sind friedliebend, aber kleine Grüppchen werden zunehmend militant. Sie brechen in Labore ein, befreien Tiere; sie versenden Drohbriefe, verleumden Wissenschaftler, schrecken selbst vor physischen Übergriffen nicht zurück. Auch die Familien von Laborangestellten werden bedroht, ihr Eigentum wird beschädigt, ihre Adressen werden im Internet veröffentlicht.
Der Rückzug von Huntingdon Life Scienes aus Cambridge war für die Tierschützer ein großer Triumph. Aber nun läuft eine neue Kampagne heiß. Und sie könnte einen anderen Ausgang nehmen: Seit zwei Jahren versuchen Tierschützer die Fertigstellung eines Tierversuchslabors in Oxford zu verhindern. Jedes Wochenende demonstrieren sie vor dem Gelände. Nun hat sich eine Gegenbewegung formiert. Pro-Test nennt sie sich, und wird von dem 16 jährigen Laurie Pycroft koordiniert. Vor kurzem hat der junge Mann in Oxford Hunderte von Demonstranten zusammengetrommelt:
"Es wird Zeit, dass sich die Wissenschaftler Gehör verschaffen und für die Interessen der stillen Mehrheit sprechen", meint Pycroft.
"Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen", so der Kampfruf eines Professors, der mit Affen experimentiert.
"Wissenschaftler müssen offen über den Nutzen von Tierexperimenten für die Menschheit sprechen können, ohne dass sie um ihr Leben fürchten müssen", betont der Wissenschaftler Tifuk Asis.
"Menschen wie ich brauchen neue Heilmittel", sagt eine Frau die an Parkinson leidet. Sie sei tierliebend, aber wenn Menschenleben gerettet werden könnten, sei es vertretbar, das Leben von Tieren zu opfern.
Tierschützer sehen die Sache anders. Sie verstehen sich als Sprachrohr für Lebewesen, die keine Stimme haben. Sie setzten Tierversuche mit Mord, Terror und Gewalt gleich. Erst neulich erklärten sie auch Studenten in Oxford zu legitimen Angriffszielen, falls das neue Labor in der Stadt eingerichtet würde.
"Wir sind keine Handvoll von Verrückten", so ein Tierschützer. "Wir wollen uns für Kreaturen einsetzen, die sich nicht selbst verteidigen können. Die Gegendemonstration hat erreicht, dass die Diskussion in die breitere Öffentlichkeit getragen wird, und das kann man nur begrüßen."
Schon vor zwei Jahren hat das britische Parlament verschärfte Bestimmungen verabschiedet, um Labore vor Tierversuchsgegnern zu schützen. Ein Teil der neuen Anti-Terrormaßnahmen kann ebenfalls gegen die Aktivisten angewendet werden. Doch diese lassen sich nicht einschüchtern:
"Wir sind schon zwei Jahre in Oxford und werden dort so lange bleiben, bis wir unser Ziel erreicht haben."