„Tschechen sind vorsichtig bei Geld“ – Politologe Schuster zu Rentenreform und Arztgehältern
Es wird wohl in den vergangenen Wochen in Tschechien niemanden gegeben haben, der dem drohenden Abgang der Ärzte aus den Krankenhäusern gleichgültig gegenüber eingestellt war. Immerhin drohte die medizinische Grundversorgung in einigen Regionen des Landes zusammenzubrechen. Die Regierung eilte daher von Krisensitzung zu Krisensitzung und bereitete sogar schon Szenarien für einen möglichen Super-Gau vor. Doch dann kam in letzter Minute noch eine Einigung zustande. Zu diesem Thema sowie zur geplanten Rentenreform in Tschechien ein Interview mit Radio-Prag-Mitarbeiter und Politologe Robert Schuster.
„Formell muss die Regierung der Einigung zwischen den Ärzten und dem Gesundheitsminister noch zustimmen und die Ärzte müssen natürlich auch ihre Kündigungen zurücknehmen. Ungeachtet dessen lässt sich aber schon jetzt einiges sagen. Die wichtigste Erkenntnis aus diesem Dauerkonflikt der letzten Wochen scheint mir die zu sein: Auch wenn die Lage völlig aussichtslos war, ist es doch gelungen, eine Einigung zwischen der Regierung und den Ärzten zu erzielen. Das war in den vergangenen Jahren nicht so, da ist man oft bis zum Äußersten gegangen. Nun ist in dieser wichtigen Frage eine Grundsatzeinigung erzielt worden. Was die einzelnen Akteure angeht: Gesundheitsminister Leoš Heger hat vielleicht in den Augen mancher Beobachter zu lange gezögert. Aber ich meine, dass diese zögerliche, abwartende Haltung letztlich eher zu einem positiven Ergebnis geführt hat, als wenn Heger von Beginn an versucht hätte, den starken Mann zu spielen - wenn er also auf den Tisch gehauen und gesagt hätte, die Ärzte können gehen. Was die Ärzte angeht, sie haben hoch gepokert, es stand viel auf dem Spiel. Vielleicht haben doch viele Ärzte gemerkt, dass die öffentliche Meinung gegen sie war, dass die Öffentlichkeit in dieser Situation gemeint hat: ‚Was wollen die Ärzte noch, sie bekommen doch schon ein relativ hohes, überdurchschnittliches Gehalt.’ Vielleicht haben die Funktionäre des Gewerkschaftsbundes nachgegeben, weil sie nicht die Öffentlichkeit gegen sich aufbringen wollten.“
Ein anderes Thema in der vergangenen Woche war die Rentenreform. Die Konturen des künftigen tschechischen Rentensystems werden immer deutlicher. In der vergangenen Woche stellte die Regierung erste konkrete Schritte vor, wie das neue System finanziert werden soll. In der Koalition gibt es einen grundsätzlichen Konsens darüber. Kann das Kabinett Nečas also ein wichtiges Reformvorhaben abhaken?„Das würde die Regierung natürlich am liebsten so sehen. Tatsächlich hat sie eigentlich nichts mehr zu befürchten. Im Parlament hat sie eine ziemlich breite Mehrheit. Im Abgeordnetenhaus verfügt sie über 118 von 200 Sitzen, das ist eine sehr komfortable Mehrheit, mit der man natürlich so ein großes Vorhaben durchwinken kann. Aber es gibt doch zwei Faktoren, die über Erfolg oder Misserfolg dieser Reform entscheiden werden. Die erste Frage ist: Werden die tschechischen Bürger, also die potenziellen Rentner, dieses System überhaupt akzeptieren? Denn das neue System basiert darauf, dass die Tschechen künftig einen Teil ihrer Rentenbeiträge verpflichtend an private Rentenfonds überführen müssen – in der Erwartung, dass die Erträge aus diesen Rentenfonds, wenn der Rentenfall eintritt, höher ausfallen werden als die staatlich Rente, die sich dann wahrscheinlich schon auf einem relativ niedrigen Niveau befinden wird. Das heißt, es geht darum, ob die Tschechen überhaupt Vertrauen in dieses System entwickeln werden. Die Tschechen sind generell sehr vorsichtig, wenn es ums Geld geht. Es gibt auch sehr negative Erfahrungen, zum Beispiel mit der so genannten Coupon-Privatisierung Anfang der 90er Jahre, als viele Tschechen in Erwartung großer Gewinne ihr Geld investiert haben und das Geld dann verschwunden ist. Gerade wenn es um die Renten geht, werden viele Tschechen vorsichtig sein. Der zweite Faktor ist die Einstellung der Sozialdemokraten, der stärksten Oppositionspartei, die bislang kategorisch dieses System und vor allem die private Rentenvorsorge ablehnen. Sie können natürlich dieses Thema jetzt ganz groß ausschlachten. Sie können sagen: ‚Wenn wir die Wahlen gewinnen, werden wir dieses System wieder aufheben.’ Und das tun sie auch teilweise schon. Über Erfolg oder Misserfolg dieses neuen Rentenmodells wird letzten Endes erst bei den nächsten Wahlen entschieden werden. Wenn die Wähler dieses System akzeptieren, werden sie jene Parteien unterstützen, die für dieses neue System eingetreten sind. Wenn sie das System nicht akzeptieren, werden sie die Sozialdemokraten wählen, die einen radikalen Bruch versprechen.“
Die jetzige Opposition wäre sicher auch nicht klug beraten, würde sie dieses Thema nicht ausschlachten wollen? Zur Finanzierung des neuen Systems soll ja immerhin die Mehrwertsteuer angehoben werden, und so etwas lässt sich doch gerade in Wahlkämpfen gut aufbereiten…„Das stimmt. Ein gewisses Maß an Populismus von Seiten der Opposition wird die Regierung wahrscheinlich schon in Kauf nehmen müssen. Die Opposition hat schon in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie es schafft, im Wahlkampf Themen aufzupuschen. Stichwort Patientengebühren vor drei, vier Jahren – das war das Thema, das schließlich die Senatswahlen und Regionalwahlen entschieden hat. Die Sozialdemokraten beherrschen dieses Fach sehr gut. Es stellt sich aber die Frage, ob die starke Fixierung auf die Teuerungen durch den Anstieg der Mehrwertsteuer, mit dem die Regierung dieses neue Rentensystem finanzieren will, den Sozialdemokraten ausreicht – oder ob sie sagen: ‚Wir sind kategorisch gegen dieses neue System und wir werden es bei der ersten Gelegenheit, die sich bietet, abschaffen.’ Dass wird sich in der nahen Zukunft entscheiden.“