Tschechiens Industrie startet Pilotprojekt zur dualen Ausbildung
Die tschechische Wirtschaft hat ein großes Problem: Es herrscht Fachkräftemangel. Während man aber das Problem im Lande selbst – insbesondere auf der Ebene des Bildungsressorts – lange kleingeredet hat, haben in Tschechien tätige deutsche und österreichische Firmen immer wieder darauf hingewiesen. Auf Initiative der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer (DTIHK) wurde nun vor einer Woche ein gut besetztes Fachsymposium zu dieser Thematik veranstaltet.
„Die Auswertung zeigt, dass es besonders an Fachkräften mit einer Berufsausbildung mangelt. Fast 70 Prozent der Unternehmen gaben an, dass ihnen gut qualifizierte Fachkräfte nicht zur Verfügung stehen.“
In Bezug auf Fachkräfte mit Hochschulabschluss beziehungsweise Abitur sei das Ergebnis der Umfrage nicht ganz so dramatisch, sagte Bauer, um dem aber gleich hinzuzufügen:„Kein einziges Unternehmen ist der Meinung, dass die praktische Berufsvorbereitung als sehr hoch zu bewerten ist. Lediglich 11 Prozent bei Hochschulabsolventen und 4 Prozent bei Mittelschulabgängern meinen, dass die Vorbereitung gut ist.“
Alarmierende Zahlen also, die auch den Entscheidungsträgern in Tschechien mittlerweile zu denken geben. Allerdings in ziemlich differenzierter Weise. Während die Unternehmen gerade in der Berufsschulbildung einen stärkeren Praxisbezug der Absolventen einfordern, glaubt das Bildungsressort bereits vieles dafür zu tun, um die Schüler sehr gut auf das Berufsleben vorzubereiten. Doch leider – so der stellvertretende Bildungsminister Jindřich Fryč – würden sich diese Bemühungen nicht genügend in der Abgängerquote nach der Berufsausbildung widerspiegeln:
„Ein riesiger Anteil von Schülern, der an einer Mittelschule ein technisches Fach erlernt, setzt seine Ausbildung nicht an der Hochschule fort. Und leider ist es auch der Fall, dass 20 bis 40 Prozent der Absolventen nach dem Abschluss der Mittelschule beginnt, in einem ganz anderen Fachgebiet zu arbeiten.“Auf der anderen Seite konnte Fryč seine Enttäuschung darüber nicht verbergen, dass die tschechischen Schüler im internationalen Vergleich nicht mehr vorneweg mitmarschieren. So hätten sie bei der letzten Pisa-Studie im Jahr 2009 nur einen unterdurchschnittlichen Wert erzielt und dabei besonders in den naturwissenschaftlichen Fächern größere Defizite offenbart. Und das, obwohl gerade diesen Zweigen in Tschechien große Aufmerksamkeit beigemessen wird, ergänzte Fryč:
„Wir können festhalten, dass im Vergleich zu anderen Ländern die Mittel- und Berufsschulen in Tschechien eine starke Ausrichtung auf technische und naturwissenschaftliche Fächer haben. Die Schüler dieser Fachrichtungen bilden einen Anteil von 41 Prozent. Das liegt über dem Durchschnitt der OECD- und der EU-Länder.“
Diese und ähnliche Vergleiche aber sind es, die tschechische wie auch deutsche und österreichische Wirtschaftsexperten eher abschrecken als anspornen. Der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Regensburg für Oberpfalz / Kelheim, Jürgen Helmes, gab daher auch gleich die passende Antwort:„Mir ist aufgefallen, dass Herr Fryč sich und Tschechien immer gern mit dem OECD-Durchschnitt vergleicht. Das ist keine besondere Kunst. Aber wenn man an die Spitze will, dann vergleicht man sich nicht mit dem OECD-Durchschnitt oder mit Griechenland.“
Eigentlich war Jürgen Helmes jedoch aus einem ganz anderen Grund zum Symposium nach Prag gekommen. Er wollte die tschechischen Partner darüber informieren, warum die Berufsvorbereitung junger Absolventen in Bayern ziemlich erfolgreich ist. Der Grund dafür ist die duale Ausbildung. Das ist ein Berufsausbildungssystem, das auch die Staatssekretärin im Bayerischen Wirtschaftministerium, Katja Hessel, sehr zu loben wusste:„Das duale System, die zweistufige Vermittelung von praxisbezogenen Lerninhalten in Schulen und in Betrieben, ist eine Stütze der bayerischen Wirtschaft.“
Staatssekretärin Hessel verschwieg auch nicht, worin für sie die größten Vorzüge der dualen Ausbildung liegen:
„Dank der dualen Ausbildung ist Bayern heute auf dem Weg zur Vollbeschäftigung. Wir haben einer der niedrigsten Jugendarbeitslosigkeits-Quoten in Europa und schaffen es damit auch, unsere Betriebe mit hochqualifizierten Arbeitskräften zu versorgen.“
Weitere Vorteile der dualen Ausbildung benannte Jürgen Helmes:„Diese betriebliche Ausbildung ist besser, günstiger und vor allem auch betriebsorientiert.“
Die durchweg positiven Erfahrungen mit der dualen Ausbildung in Bayern wollen nun auch viele Unternehmen in Tschechien nutzen. Das hat dann auch der Vizepräsident des Tschechischen Industrieverbandes (SP), Pavel Juříček, gegenüber Radio Prag bestätigt:
„Die Firmen haben ein sehr großes Interesse an dieser Ausbildung. Das hat bereits eine erste Resonanz auf dieser Konferenz gezeigt. Ich denke, auch die Mehrzahl der Schulen beginnt zu begreifen, dass man die Industrie, den Maschinenbau und all die technischen Bereiche in Tschechien nicht einfach außer Acht lassen kann. Ein Umdenken ist hier sowohl für die Schulen als auch für die Schüler von Nutzen.“
In seinem Vortrag verwies Juříček zudem auf den Vorteil, den eine nationale Wirtschaft hat, wenn die Industrie bei ihr eine wichtige Rolle spielt:„In der jüngsten ökonomischen Rezession war Tschechien trotz gewisser Probleme weitaus besser aufgestellt als Länder wie Großbritannien oder die USA. In beiden Staaten beträgt der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt in etwa jeweils 11 Prozent. Diese beiden Länder haben eine dramatische Krise durchlaufen. Die Tschechische Republik, in der der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt zirka 38 Prozent beträgt, hat die Jahre 2008 und 2009 hingegen relativ gut gemeistert.“
Das aber, so Juříček weiter, sei kein Freifahrtsschein für das Meistern der immer noch latenten Krise und kommender Krisen. Vielmehr müsse man jetzt in Tschechien auf eine gute technische Ausbildung und auf Innovation setzen. Und dazu soll die Einführung der dualen Ausbildung beitragen, was unmittelbar bevorstehe, so Juříček:„Zurzeit nehmen wir ein Pilotprojekt in Angriff, in dem pro Kreis je zwei Firmen und zwei Schulen einbezogen sind. Diese beiden Partner sollen zeigen, dass dieses Projekt wirklich funktioniert und dass weder der Staat noch das Bildungsministerium etwas zu befürchten haben. Im Gegenteil, ich bin sicher, dass das Projekt erfolgreich sein wird und es dem Staat überdies zu Einsparungen verhelfen wird.“
Zu solchen Einsparungen haben die großen Firmen in Tschechien wie Škoda, Siemens oder Bosch dem Staat bereits verholfen. Weil sie es sich nicht leisten konnten, auf qualifizierte Fachkräfte längerfristig zu verzichten, betreiben diese Unternehmen seit einiger Zeit bereits eigene Berufsschulen und im Fall von Škoda sogar eine eigene Hochschule. Mit Erfolg, denn diese Investitionen haben sich bereits ausgezahlt. „Sie haben uns einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz verschafft“, sagte der Direktor für äußere Beziehungen der Škoda Auto AG, Michal Kadera, nicht ohne Stolz.