Tschechiens Reiter bauen auf die Zukunft: Auch ohne London soll es aufwärts gehen

Das Sportjahr 2012 hält – zumindest aus tschechischer Sicht – drei Höhepunkte bereit: die Eishockey-WM, die am Freitag beginnt, die Fußball-EM im Juni und die Olympischen Spiele im August. Letztere sind das Traumziel für viele Sportler, die kaum oder eben nur alle vier Jahre im Rampenlicht stehen. Zu ihnen gehören auch die Reiter aus Tschechien. Bei den Spielen in London aber sind sie nur Zaungäste, deshalb gilt ihr Hauptaugenmerk derzeit noch anderen Herausforderungen.

Jaroslav Hatla  (Foto: Josef Malinovský)
Vor anderthalb Wochen ist der tschechische Pferdesport in eine neue Saison gestartet. Die Rede ist ausschließlich von den Reitern, die in den olympischen Disziplinen zu Hause sind: Springreiten, Dressurreiten und Vielseitigkeitsreiten. Gibt es unter ihnen auch Spitzensportler und -pferde, die in London für Furore sorgen könnten? Die Generalsekretärin der Tschechischen Reitsport-Föderation (ČJF), Lucie Spiwoková:

„Ich kann bereits definitiv sagen, dass wir im Pferdesport keine Olympiateilnehmer haben werden. In London nicht dabei sein wird also auch Jaroslav Hatla, der unser einziges Eisen im Feuer war. Hatla, der im Vielseitigkeitsreiten an den Start gehen wollte, hat zwar alles Mögliche für seinen Traum getan – er zog vorübergehend nach Großbritannien um und wurde von britischen Trainern gecoacht -, doch in der harten Qualifikationsmühle ist er letztlich gescheitert. Auch ich sehe keine Chancen mehr für ihn.“

Lucie Spiwoková  (Foto: Magdaléna Straková,  Archiv der Tschechischen Reitsport-Föderation)
Auf Nachfrage von Journalisten erklärt Lucie Spiwoková dann auch, warum es im Vielseitigkeitsreiten so schwierig ist, sich für Olympia zu qualifizieren.

„Für die ganze Welt gibt es nur 75 Plätze, und eine übergroße Mehrheit von ihnen ist schon besetzt. Zum einem durch die Reiter, die sich zwischen den Spielen durch vordere Platzierungen bei Welt- und Europameisterschaften für London qualifiziert haben, und zum anderen durch Reiter, die im Ranking der so genannten europäischen Ligen weit oben stehen. Und in der Zentraleuropa-Liga liegt Hatla erst an 15. oder 16. Stelle, von daher hat er keine Chance.“

Ähnlich wie bei großen Tennisturnieren, werden auch im Pferdesport hin und wieder so genannte Wild Cards vergeben, die zu einer außerordentlichen Teilnahme an bestimmten Wettkämpfen berechtigen. Für Olympische Spiele aber gibt es diese Regelung offenbar nicht, unterstreicht Spiwoková:

„Wir haben das in der Vergangenheit für die Dressur probiert, doch uns wurde sehr schnell deutlich gemacht, dass das ein Irrweg sei. Und ich denke, dass die Internationale Reitsport-Föderation FEI auch für London keine Wild Cards ausgeben wird.“

Im Springreiten und in der Dressur haben tschechische Reiter die Olympia- Qualifikation gar nicht erst versucht, denn in diesen Disziplinen sei es noch komplizierter sich durchzukämpfen, ergänzt Spiwoková.

Der Pferdesport gehört also nicht zu den großen und erfolgreichen Sportarten in Tschechien. Bei Olympischen Spielen haben tschechische Reiter daher auch erst eine einzige Medaille gewonnen. Immerhin war es eine Goldmedaille. Sie wurde allerdings schon vor 84 Jahren errungen, und zwar durch František Ventura auf Eliot. Ventura und sein Pferd gewannen 1928 das Jagdspringen der Spiele von Amsterdam. Auch wenn dieser Erfolg in der Tat schon sehr weit zurückliegt, stellt sich die Frage: Wurde früher im hiesigen Reitsport einiges anders und auch besser gemacht?

„Es erscheint paradox und klingt auch etwas unglaublich: Aber vor der Wende funktionierte der Reitsport hierzulande sehr gut, weil es klare Regeln gab. In der Euphorie der Nachwendezeit hingegen hat man die Zügel zunächst etwas schleifen lassen“, sagt Lucie Spiwoková gegenüber Radio Prag. Und die energische Generalsekretärin macht sofort klar:

„Weil es in den 90er Jahren mit der Moral nicht zum Besten bestellt war, müssen wir jetzt umso energischer sein. Wir sind bemüht, den Verband jetzt wieder mit härterer Hand zu führen, und ich muss sagen: Dies geht nicht, ohne jemandem weh zu tun.“

Andererseits, gibt Spiwoková zu bedenken, arbeite der tschechische Reitsportverband natürlich zum einem Großteil immer noch auf ehrenamtlicher Basis. Ohne ein starkes Engagement der Beteiligten geht es also nicht, zumal die finanzielle Situation alles andere als rosig sei, sagt die Generalsekretärin:

„Der tschechische Reitsportverband hat momentan keinen großen und bedeutenden Sponsor. Das heißt für uns, dass wir gerade für die internationalen Wettkämpfe unserer Repräsentanten mit den Geldern auskommen müssen, die uns das Bildungsministerium zur Verfügung stellt. Diese Mittel decken jedoch nur einen kleinen Teil der tatsächlichen Kosten.“

Petr Eim  (Foto: Archiv der Gemeinde Tlumačov)
Von daher schieße man viel Geld aus eigenen Quellen zu, vor allem für Wettkämpfe, die in ihrer Wertigkeit niedriger eingestuft werden, erläutert Spiwoková. Ohne großes Geld kann man also auch keine großen Erfolge feiern, lautet die logische Schlussfolgerung. Doch diese Rechnung stimmt nicht ganz, hält die Generalsekretärin mit einem Lächeln entgegen:

„Im Voltigieren haben wir im Jahr 2008 den Weltmeister im Herren-Einzel gestellt, das war ein wirklich außergewöhnlicher Erfolg. Es war Petr Eim, der aber leider nicht mehr aktiv ist. Eim hat Veterinärmedizin studiert und widmet sich heute voll und ganz seiner Arbeit auf diesem Gebiet.“

Der WM-Titel im Voltigieren war also die berühmte Ausnahme. Ist er aber wirklich die Eintagsfliege, die die tschechischen Gestüte bisher durchflogen hat? Lucie Spiwoková will das nicht so ohne weiteres stehen lassen:

Lukáš Klouda  (Foto: Equichannel)
„Auf dem Weg zu Eims würdigem Nachfolger ist Lukáš Klouda, der in diesem Jahr auch zur WM ins französische Le Mans fahren wird. Und dort erhoffen wir uns von ihm eine vordere Platzierung – ich will es nicht beschreien, aber ein Platz unter den besten Fünf könnte für ihn herausspringen.“

Im Voltigieren gibt es also wieder einen neuen Hoffnungsträger, in den anderen Disziplinen dagegen wird man wohl wie bisher viel Geduld und Einsatz zeigen müssen, um an das internationale Niveau heranzurücken. Die Basis, auf der man aufbauen kann, kann sich indes durchaus sehen lassen:

„Wir haben ungefähr 2000 Gestüte, so zwischen 7000 und 8000 lizenzierte Pferde, und von unseren Mitgliedern im Verband sind rund 10.000 lizenzierte Reiter.“



Großer Preis von Brno  (Foto: Kacaa,  Rajče.net)
Dem Verband gehören demnach auch noch die unlizenzierten, die Hobbyreiter an. Zusammen mit diesen Amateuren hat der tschechische Reitsportverband, so Spiwoková, rund 15.000 Mitglieder. Für die Wettkämpfe stehen den hiesigen Reitern insgesamt 14 Wettkampfstätten zur Verfügung. Hier richten sie ihre nationalen Meisterschaften aus sowie ihre saisonalen Turnierserien in den bereits genannten Reitsportdisziplinen. Einer der Saisonhöhepunkte aber ist zweifellos der Weltcup-Wettbewerb im Dressurreiten, der als 14. Großer Preis von Brno / Brünn vom 22. bis 24. Juni in der mährischen Messestadt ausgetragen wird. Gegenüber Radio Prag spricht Lucie Spiwoková allerdings noch diese Empfehlungen aus:

„Im Springreiten, das auch in Deutschland am populärsten und am meisten verbreitet ist, würde ich auf alle Fälle den internationalen Wettbewerb in Zduchovice empfehlen, auch wenn er eigentlich ein Wettkampf für Nachwuchsreiter ist. Zum Zweiten würde ich ganz sicher die tschechischen Meisterschaften empfehlen, die in Martinice stattfinden.“

Zduchovice und Martinice liegen nahe der mittelböhmischen Bezirksstadt Příbram: Zduchovice östlich von ihr nahe der Moldau, Martinice südlich bei Březnice. Einen Überblick auf alle Wettbewerbe und Termine erhalten Sie auf der Webseite www.cjf.cz.

Autor: Lothar Martin
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