600. Todestag von Jan Žižka: Frommer Gottesstreiter und grausamer Heerführer
Der Hussiten-Hauptmann Jan Žižka war der berühmteste Kriegsherr der tschechischen Geschichte. Seine Erfolge beruhten nicht nur auf seinem brillanten strategischen Denken, sondern auch auf seinem Charisma und der Hingabe seiner Krieger. Er selbst sah sich als tiefgläubiger Kämpfer, der immer und überall den Willen Gottes erfüllte. Schon im Laufe seines Lebens wurde er zur Ikone unter seinen Anhängern und gleichzeitig zum Hassobjekt seiner Gegner. Jan Žižka starb vor genau 600 Jahren, am 11. Oktober 1424.
Jan Žižka ist eine der bekanntesten Persönlichkeiten der tschechischen Geschichte. Eigentlich hat er aber erst in den letzten fünf Jahren seines Lebens Geschichte geschrieben und die Entwicklungen in Böhmen und Mitteleuropa maßgeblich bestimmt. Petr Čornej ist Historiker und Autor der großen Monografie „Jan Žižka: Život a doba husitského válečníka“ (zu Deutsch: Jan Žižka: Leben und Zeit eines hussitischen Kriegsmannes). Für die Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks sagte er:
„Žižka betrat die Bühne der großen Geschichte am 30. Juli 1419. Er war damals einer der Organisatoren des ersten Prager Fenstersturzes, bei dem katholische Ratsherren der Prager Neustadt aus dem Fenster geworfen wurden. Seitdem verließ er die große Bühne der Geschichte nicht mehr. In den nachfolgenden mehr als fünf Jahren schlug er elf siegreiche Schlachten. Paradox ist, dass seine Bedeutung damals weit über die Grenzen Böhmens hinausreichte, er als hussitischer Heerführer aber die Landesgrenzen eigentlich nicht überschritt. Und wenn doch, dann ging er nach Oberösterreich, aber auch das wissen wir bis heute nicht mit Sicherheit. Durch die Niederschlagung der gegen die Hussiten organisierten Kreuzzüge erlangte er jedoch einen Ruhm, der Europa, vor allem Mitteleuropa, sicherlich in Staunen versetzte.“
Fünf Jahre auf der großen Bühne der Geschichte
Im genannten Umbruchsjahr 1419 war Žižka etwa 60 Jahre alt. Über den Großteil seines Lebens, bis zu diesem Augenblick, ist nur weniges bekannt. Er wurde um 1360 geboren, stammte wahrscheinlich aus Trocnov in Südböhmen, und seine Familie gehörte zum örtlichen niederen Adel. Der junge Adelige war nicht in der Lage, das Gut in Trocnov zu behalten. Er trat in die Dienste des mächtigen Barons Heinrich von Rosenberg, wandte sich jedoch bald wieder gegen ihn. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts gehörte Žižka einer Räuberbruderschaft an. Ihre Mitglieder wurden hingerichtet, aber Žižka fand Fürsprache einer unbekannten einflussreichen Person am Hof von König Wenzel IV. und wurde vor dem Tod gerettet. Danach ließ er sich vom Militär anwerben und kämpfte für die Polnisch-Litauische Union gegen den Deutschen Ritterorden. Nach seiner Rückkehr nach Böhmen diente er am Prager Hof Wenzels IV. Im Umfeld der Hauptstadt und des königlichen Hofes begeisterte sich der alternde Soldat für das Konzept des Kirchenreformators Meister Jan Hus. Es ist aber nicht belegt, dass Žižka dem Prediger persönlich begegnete oder seine Predigten hörte.
Im neuesten Essay-Buch des Historikers Petr Čornej über Žižka wird eine hypothetische Erklärung für die Frage geliefert, warum sich der etwa 60-jährige Höfling auf den Kampf für die Gedanken des Hussitismus einließ. Zitat:
„Er hatte vielleicht vor dem nahenden Ende seines irdischen Lebens, Angst davor, dass er nicht gerettet werden würde. Seine aufrichtige Identifizierung mit dem hussitischen Programm und sein erbitterter Kampf für dessen Sieg gaben ihm zumindest eine kleine Hoffnung, dass Christus sich seiner erbarmen würde.“
Wie war also der Christ Jan Žižka? Woran glaubte er und wie stark war sein Glaube? Petr Čornej:
„Sein Glaube war tief. Einfach, unkompliziert, aber man könnte sagen, umso leidenschaftlicher. Er war davon überzeugt, dass er das Gesetz Gottes erfüllte und verteidigte, und zwar im hussitischen Sinne, so wie es in den Vier Prager Artikeln zusammengefasst war.“
Tiefgläubiger Christ
Als die „Vier Prager Artikel“ wird das Reformprogramm zur Erneuerung der Kirche bezeichnet, das die Hussiten 1420 dem böhmischen König Sigismund vorlegten. Im Laufe der nachfolgenden Hussitenkriege wurde dann um die Anerkennung dieses Programms gekämpft. Die Predigtfreiheit, der Laienkelch, die Armut der Geistlichen und die Bestrafung von Todsünden waren die Forderungen. Erst auf dem Baseler Konzil 1436 wurde schließlich der Laienkelch, also das Abendmahl in beiderlei Gestalt für alle Gemeindeglieder, anerkannt. Die restlichen Forderungen konnten aber nicht durchgesetzt werden. Dieses Datum markiert auch das Ende der Hussitenkriege.
„Das Abendmahl mit Brot und Wein war der wichtigste Punkt des Programms für Žižka. Nach seiner Ansicht hatte ein Christ ohne den Laienkelch keine Hoffnung auf Erlösung, auf das ewige Leben. Ich denke, eben das war das Ziel von Jan Žižka selbst, zumindest eine Hoffnung auf das ewige Leben zu haben.“
Nach dem Ersten Prager Fenstersturz im Juli 1419 weitete sich die Reformbewegung zu einer bewaffneten Revolte aus. Jan Žižka stand seitdem als Heerführer an ihrer Spitze. Er setzte seine früheren Kriegserfahrungen und sein kriegerisches Talent in dem Hussiten-Krieg ein und erlangte den Ruf eines unbesiegbaren Kriegers. In Tábor, einer christlichen Kommune von Brüdern und Schwestern in Südböhmen, wurde er zu einem der vier Hauptmänner gewählt. 1420 besiegte er katholische Truppen, die Papst Martin V. im ersten Kreuzzug gegen die Hussiten entsandte. Unter der Führung von Žižka verbreiteten die Hussiten ihren Glauben auf blutige Weise, besetzten katholische Städte und brannten Klöster nieder. Der Historiker Čornej:
„Innerhalb der katholischen Kirche galten die Hussiten als Häretiker, die zum Gehorsam gebracht werden mussten. Die Hussiten waren im Gegenteil der Meinung, dass der Heilige Geist aus ihren Handlungen sprach und dass sie verpflichtet sind, die Christenheit zu überzeugen, dass ihre Auffassung vom göttlichen Recht, ihre Auffassung vom Christentum verbindlich sei. Man kann also nicht sagen, dass die Hussiten sich von der katholischen Kirche trennten. Sie hielten sich für bessere Katholiken als die damalige Amtskirche.“
Talentierter Kriegsmann
Im Jahr 1421 verlor der Kriegsmann bei der Belagerung der Burg Rabí sein zweites Auge. Dies hinderte ihn aber nicht daran, das Heer gegen den Zweiten Kreuzzug anzuführen. Die hussitischen Truppen waren erneut erfolgreich, doch schon bald kam es zum Zerwürfnis zwischen Prag und Tábor. Ein Jahr später geriet Žižka in einen Streit mit Tábor und ging nach Ostböhmen.
Für die Kriegsführung der Hussiten besaß die sogenannte Militärordnung Žižkas zentrale Bedeutung. Sie besteht aus zwei Teilen, sagt der Historiker:
„Der erste ist die Gründungsurkunde von Žižkas Ostböhmischer Bruderschaft. Der zweite Teil ist eine organisatorische und disziplinarische Anleitung für die Tätigkeit der ostböhmischen Truppen.“
Die Kontroverse bei der Interpretation von Žižkas Leistungen dauert bis heute an. Einerseits wird er als eine große historische Persönlichkeit und als Kriegsherr betrachtet, der seine Nation berühmt gemacht hat. Andererseits wird darauf verwiesen, dass er das hussitische Programm auf Kosten enormer materieller, menschlicher und kultureller Verluste durchgesetzt hat. Wie war also die innere Motivation des Mannes? Gibt es Quellen, auf deren Basis man seine Persönlichkeit beurteilen kann?
„Es ist zwar keine Schrift erhalten geblieben, die direkt von Žižka geschrieben wurde, aber wir haben etwa acht Schriftstücke, deren Text er billigte oder seinem Schreiber oder Kaplan diktierte. Diese Quellen reichen aus, um sich ein Bild von ihm zu machen. Wichtig sind auch Zeugnisse von Menschen, die ihn persönlich kannten. Wir können also sagen, dass Žižka als Kriegsmann das Gewohnheitsrecht einhielt, das in Kriegen zu Zeiten des Alten Testaments, in der Antike, und während des mittelalterlichen Rittertums bis ins 15. Jahrhundert hinein galt. Das heißt, wenn Žižka sich einer Stadt oder einer Burg näherte und ihre Garnison oder Bewohner zur Kapitulation aufforderte, wurde niemand verletzt, wenn man kapitulierte und das hussitische Programm akzeptierte. Doch sobald man sich widersetzte, wurde brutal gemordet. Das heißt, körperlich gesunde Männer im Alter von 14 bis 60 Jahren wurden getötet, während Frauen und Kinder verschont wurden. All das war nichts Außergewöhnliches. Es handelte sich im Grunde um Regeln, die seit mehreren tausend Jahren galten.“
Der Heerführer starb während der Belagerung von Přibyslav / Primislau in Ostböhmen am 11. Oktober 1424 an einer Seuche. Laut Petr Čornej wurde er schon zu Lebzeiten zu einer wahren Legende:
„Denn als er am 14. Juli 1420 den Sieg auf dem Veitsberg errang und den ersten Kreuzzug gegen die Hussiten niederschlug, gab es in Prag bereits eine Diskussion über den Namen des Veitsberges, Vítkov. Die einen nannten ihn Bojiště (zu Deutsch Kampfplatz), das war zu vage. Andere nannten ihn Hora Kalicha (zu Deutsch Kelchberg), das war zu allgemein. Und wieder andere schlugen Žižkov vor. Der Name Žižkov hat sich eigentlich parallel zu Vítkov bis heute erhalten, und auch das umliegende Stadtviertel Prags wurde Žižkov benannt.“
Ohne Žižka hätte der Hussitismus nicht überlebt
Jan Žižka ist heute vor allem als erfolgreicher Kriegsmann bekannt. Verdient er aber auch unter religiösen und ideologischen Gesichtspunkten Aufmerksamkeit?
„Zweifellos ist das ein Aspekt, der oft vernachlässigt oder falsch interpretiert wird. Denn als Žižka bei der Belagerung von Rabí 1421 die Verletzung an seinem zweiten Auge erlitt und sein Augenlicht gänzlich verlor, sah er das als eine Prüfung Gottes an, ob er seinem Programm treu bleiben würde. Er begann, sich als verlängerter Arm Gottes zu sehen. Dies ist meiner Meinung nach der Grund, warum er unter Historikern so umstritten ist. Denn František Palacký sah darin, aus der Perspektive eines rationalen Menschen des 19. Jahrhunderts, eine Manifestation von religiösem Fanatismus. Hingegen störte sich ein anderer prominenter Historiker der Zeit, Václav Vladivoj Tomek, nicht daran, Žižka als einen hervorragenden Staatsmann und Politiker zu sehen. Ich tendiere eher zu Palackýs Deutung. Denn selbst der Chronist Laurentius von Březová, der Žižka persönlich kannte, sagte über ihn nie, dass er besonnen und überlegt war. Er charakterisierte ihn immer mit den Worten ‚mutig‘ und ‚tapfer‘.“
Der Historiker und Žižka-Kenner bekommt oft die Frage gestellt, was er persönlich an diesem Mann schätzt:
„Ich muss sagen, dass der Hussitismus ohne Žižka nicht überlebt hätte. Denn die Vorstellung, dass 1420 eine Kompromisseinigung über das hussitische Programm mit der katholischen Kirche und mit König Sigismund möglich war, ist völlig abwegig. Die Zeit dafür war eigentlich erst 15 Jahre später gekommen, und ohne die militärischen Erfolge, um die sich Jan Žižka verdient gemacht hatte, hätten die Gedanken des Hussitentums nicht überlebt. Deshalb respektiere ich Jan Žižka. Natürlich ist es für mich problematisch, mich mit seinem Selbstverständnis zu identifizieren. Er sah sich selbst als ein zweiter Moses, also als Anführer seiner Krieger und seines Volkes, der das Recht habe, über die Richtigkeit von Überzeugungen und politischen Ansichten anderer Menschen zu entscheiden und sie auf dieser Grundlage zu bestrafen oder zu belohnen. Aber vielleicht fälle ich dieses Urteil zu sehr aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts.“