Tábor: Bastion der radikalen Hussiten
In diesem Jahr feiert die Stadt Tábor den 600. Jahrestag ihrer Gründung. Sie liegt in Südböhmen, und ihre Entstehung im Jahr 1420 ist untrennbar mit der Hussiten-Bewegung verbunden. Heute bewundern die Besucher vor allem das schmucke historische Stadtzentrum. Es ist durchzogen von guterhaltenen Gassen aus dem Mittelalter und liegt strategisch günstig auf einem Hügel in einer Schleife des Flusses Lužnice. Im Folgenden mehr über die Entstehung der Stadt und ihre frühe Geschichte.
„Der zentrale Punkt der Stadt war und ist bis heute der Žižka-Platz. Während der Hussitenzeit wurde hier das erbeutete Kriegsgerät zur Schau gestellt. Und die ganze Gemeinde versammelte sich an diesem Ort, wenn wichtige Entscheidungen verkündet wurden. Der Tradition nach wurden hier zudem die berühmten Bottiche aufgestellt, in die Neuankömmlinge ihr Vermögen hineinwerfen mussten. In den Stadtbüchern sind diese Bottiche zwar nicht erwähnt, doch sie wurden auch in den nahegelegten Orten Bosňany und Písek verwendet. Daraus lässt sich schließen, dass man das Vermögen in der Hussitengemeinde Tábor in den ersten Wochen ihres Bestehens durchaus geteilt haben könnte.“
Das Modell der Stadt wurde sehr anschaulich und präzise gefertigt. Es zeigt Tábor zu Ende des 17. Jahrhunderts. So entstand zum Beispiel die imposante Dekanatskirche der Verklärung Christi erst an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Wie die Siedlung genau zu ihren Anfängen aussah, ist nicht bekannt. Trotzdem dient das Modell als wertvolle Anschauung für das Bauwesen der Hussiten.„Der gesamte historische Stadtkern, wie wir ihn heute sehen, wird von einem klug angelegten Festungssystem umschlossen, auf das die Taboriten gehörig stolz waren. Das Bollwerk besteht aus zwei Zonen, und zwar aus der Ringgrabenmauer und der Hauptstadtmauer, wobei beide Zonen durch den Ringgraben getrennt sind. Die Hauptstadtmauer war mit einer Doppelreihe von Basteien befestigt. Davon sind heute nur noch einzelne Teile erhalten. Da ist besonders die sogenannte Žižka-Bastei zu nennen, die einst den Zutritt zur Stadt von Norden bewachte. Sie befindet sich im heutigen Holeček-Garten in der nordwestlichen Niederung der Stadt“, so Vybíral.
Fast uneinnehmbar
Das Befestigungssystem aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts war damals derart fortschrittlich, dass es auch noch in den folgenden Jahrhunderten als Muster für mehrere europäische Städte diente. Von beträchtlichem Vorteil war die Lage in der Flussschleife. Dieses strategisch wichtige Element hatte sich im Jahr 1270 bereits König Přemysl Otakar II. zunutze gemacht, als er hier die Stadt Hradiště gründete, und das zum Nachteil für das Geschlecht der Witigonen. In der Umgebung gab es zudem einige Silberflöze, und im Fluss Lužnice wurde Gold gewaschen. Die Stadt Hradiště existierte jedoch nicht lange. Einige Jahre später wurde sie zerstört, offenbar im kriegerischen Konflikt zwischen dem Herrscher und den Witigonen. Dazu der Historiker:„Der bemerkenswerteste Teil der Befestigungsanlage von Tábor war das sogenannte Prager Dreitor, das auch die Neuen Tore hieß. Es handelte sich um eine komplizierte Architektur, die aus einem vorgeschobenen Festungsbau, dem sogenannten Barbakan, und zwei Türmen bestand. Der Weg zwischen diesen drei Bestandteilen hindurch war so verwinkelt, dass er einem möglichen Feind das Eindringen erschwerte. Selbst wenn es ihm gelang, die erste Verteidigungslinie zu überwinden, hatte er keinen direkten Zugang zum nächsten Tor. Und das letzte Tor mündete auf einem kleinen umgebauten Platz, auf dem die Angreifer zum Stehen gebracht werden konnten.“
Der heute vielleicht attraktivste Teil der mittelalterlichen Befestigung ist die Burg Kotnov mit ihrem gewaltigen Zylinderturm und das Bechyně-Tor – ein robuster Verteidigungswall mit Schießscharten, der den Zugang zur Stadt von Südwesten her schützen sollte. Die Burg Kotnov wurde 1612 und 1613 in eine Brauerei umgebaut, und auch das Bechyně-Tor wurde verändert. Es ist das einzige hier erhaltene Tor von der Mitte des 15. Jahrhunderts, im 19. Jahrhundert aber wurde es geringfügig instandgesetzt. Dennoch gehören beide Objekte zu den interessantesten Beispielen für die Baukunst der Hussiten.„Tábor hat während seiner mittelalterlichen Geschichte einige Belagerungen erlebt. Die erste schon zur Zeit seiner Entstehung im Jahr 1420, die nächste im Jahr 1438. Im Jahr 1452 belagerte Georg von Podiebrad (Jiří z Poděbrad) die Stadt. Keine dieser Belagerungen führte auf militärischem Wege zum Erfolg. Vor Georg von Podiebrad kapitulierte die Stadt allein aus politischen Gründen. Erst etliche Jahrzehnte später, zu Ende des Dreißigjähriges Krieges, gelang es dem schwedischen Heer, die Stadt durch einen überraschenden Angriff zu erobern“, erläutert Zdeněk Vybíral.
Die Befestigung der Stadt war also sehr durchdacht. Gleich zu Beginn der hussitischen Revolution im Jahre 1419 sollte sie eine sichere Zuflucht bieten. Zuerst schien Plzeň / Pilsen dieser Ort zu sein, danach Sezimovo Ústí / Alttabor. Aber auch diese Stadt widersprach den hussitischen Vorstellungen, sie galt als zu sehr mit der alten Welt und ihren Sünden verknüpft, so dass die Vorstellung von einem göttlichen Königtum nicht erfüllt war. Darum entschieden sich die Hussiten, eine Vorzeige-Gemeinde von Brüdern und Schwestern zu errichten, wie der Geschichtswissenschaftler ausführt:„Die Hussiten brannten also ihre ursprüngliche Stadt Sezimovo Ústí nieder, damit sie an ihrer neuen Wirkungsstätte eine ganz neue Gemeinde begründen konnten. Sie gaben dem Ort den biblischen Namen Berg Tábor (Hora Tábor), benannt nach einem Ort im Heiligen Land Palästina. Die Siedlung hatte nicht nur eine große symbolische Bedeutung, sondern auch eine strategische als Militärlager.“
Projekt einer Kommune
Tábor trat so als das Machtzentrum der radikalen Hussiten- Bewegung in die Geschichte ein. Diese Bewegung beruhte auf den Lehren des tschechischen Reformators Jan Hus, der schon ein Jahrhundert vor Luther für eine Reform der Kirche predigte. Deswegen wurde er als Ketzer verurteilt und 1415 auf dem Scheiterhaufen in Konstanz verbrannt. Die Bewegung der Hussiten sollte der Anfang eines neuen Glaubens sein und die Zusammenfügung der neutestamentlichen Geschichte symbolisieren. Man wollte eine egalitäre Kommune schaffen, doch dieser Versuch scheiterte am Alltag. Die Stadt erhielt vielmehr schon im Frühjahr 1420 einen ausgeprägten militärischen Charakter.„Das Schlüsselereignis war die Ankunft von Jan Žižka von Trocnov in der Stadt. Er gilt als einer der Begründer der Hussitengemeinde auf dem Berg Tábor. Žižka organisierte die kampffähigen Leute und formte aus ihnen ein schlagkräftiges Heer. Damit sicherte er die Zukunft von Tábor, denn mit seinem Heer zerstörte Žižka die Stätten des katholischen Adels im Umfeld und in der weiteren Umgebung. Indem er seine möglichen Feinde ermordete, schuf er zugleich die Basis für seine spätere politische und militärische Macht“, so Vybíral.
Unter der Führung von Jan Žižka, Prokop Holý – auch bekannt als Prokop der Große – und weiteren Feldherren wurde aus Tábor das entscheidende Machtzentrum in den Hussitenkriegen. Von hier aus eilten die Hussiten in einer Vielzahl von Schlachten von Sieg zu Sieg. Und es waren auch ruhmvolle Siege darunter, zum Beispiel gegen die Katholiken bei Sudoměř oder bei Malešov, gegen die Kreuzritter auf dem Prager Vítkov-Hugel oder bei Ústí nad Labem / Aussig und Domažlice / Taus. Allerdings sagt der Wissenschaftler:„Keine Stadt kann aber ohne wirtschaftliche Basis funktionieren. Von Anfang an versuchten die Hussiten, in Tábor gewissermaßen ein ideales Gemeinwesen zu schaffen, bei dem alle am gemeinsamen Vermögen beteiligt sein sollten. Doch das scheiterte an der Notwendigkeit, die Versorgung der Stadt mit Nahrungsmitteln zu sichern und dabei den Grundstock zu legen für eine langfristige Zukunft. Deswegen wurde schon im Herbst des Jahres 1420 damit begonnen, von den umliegenden Dörfern und Bauernhöfen Steuern einzutreiben. Von dort wurden Lebensmittel in die Stadt geliefert. Zugleich organisierten sich die Stadtbewohner in Zünften und belieferten das Hinterland mit landwirtschaftlichem Gerät.“
„Das ursprüngliche Aussehen der Stadt war vermutlich sehr primitiv. Es gab hier viele schlichte Bauten, die von den Archäologen als Erdhütten oder Halberhütten bezeichnet werden. So sah die Stadt bis zum Ende der Hussitenkriege aus. Davon war auch Eneas Silvius Piccolomini nicht sonderlich begeistert, als er im Jahr 1451 Tábor besuchte. Dem italienischen Diplomaten und späteren Papst Pius II. missfielen die Holzbauten. Und über die Kirche sagte er, dass sie wie eine Scheune aussehe. Das deutet darauf hin, dass die Bebauung während der Hussitenkriege ziemlich hastig erfolgt sein muss. Dass die Behausungen primitiv waren, hatte aber noch einen anderen Grund: Die Begründer der Gemeinde lehnten Protz und Prunk ab. Sie wollten vielmehr ihre Verachtung für weltlichen Reichtum zeigen.“
Platzmangel in der Stadt
Tábor litt unter Platzmangel, teils wurden deswegen Baulücken mit Häuschen auf ziemlich kleinen Grundstücken gefüllt. Um das Jahr 1440 herum hatte die Stadt etwa 600 Häuser. Zdeněk Vybíral:„Von der Bausubstanz des 15. Jahrhunderts ist fast nichts erhalten geblieben, wenn man von den Resten der Befestigungsanlage, den Schanzen, der Bastei und dem Bechyně-Tor absieht. Der heutige Stadtkern ist das Ergebnis vieler Umgestaltungen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde die Stadt bei mehreren verheerenden Bränden stark beschädigt. Das war kein Wunder, da die meisten Häuser aus Holz waren. Der ursprüngliche Stadtkern wurde also völlig zerstört. In der Folge wurde der heutige historische Teil von Tábor aus Stein wiederaufgebaut, und die meisten Häuser dort haben Renaissance- oder Barockfassaden. Diese Häuser aber stehen auf den ursprünglichen mittelalterlichen Grundrissen. Das ist gut zu sehen, wenn man in die Unterwelt von Tábor eintaucht. Sie besteht aus gotischen Kellergewölben, die durch Korridore miteinander verbunden sind. Ansonsten ist die Stadt ein Spiegelbild mehrerer Jahrhunderte, Epochen und Baustile.“
Obwohl also kaum noch mittelalterliche Bausubstanz besteht, blieb die Stadt über Jahrhunderte ein Symbol der radikalen Hussitenbewegung. Daran ändert auch ihre fatale Niederlage bei Lipany im Jahr 1434 gegen die gemäßigten Hussiten nichts. Zudem versöhnten sich die Bewohner von Tábor mit dem früheren Todfeind Sigismund und erkannten ihn als König an. Dieser dankte dies, indem er die Siedlung 1437 zur Königsstadt erhob.„Eine weitere wichtige Spur der hussitischen Vergangenheit sind das geistige Erbe der Stadt, die Traditionen und die Geschichte, auf die sich das heutige Tábor bezieht. Und das ist vielleicht stärker und langlebiger als mögliche bauliche Elemente aus der Hussitenzeit“, sagt der Historiker.
Und das Wort „Tábor“ hielt Einzug in viele Sprachen, auch wenn meist im Sinn als Militärlager. Wegen ihrer hussitischen Vergangenheit konnte die Stadt schon zu sozialistischen Zeiten Kontakte ins Ausland knüpfen. Eine einzigartige Partnerschaft entstand in den 1980er Jahren mit Konstanz – also dem Ort, an dem Jan Hus im Jahr 1415 verbrannt wurde. Denn es war eine Städtepartnerschaft über den Eisernen Vorhang hinweg. Nach der Samtenen Revolution von 1989 kamen dann aber noch mehrere Partnerstädte hinzu, unter anderem aus Frankreich, Slowenien und den Vereinigten Staaten. Und heute?„Immer Mitte September finden hier die sogenannten Taborer Begegnungen statt. Dies ist ein internationales Festival, das an die hussitische Vergangenheit und die Tradition der Stadt erinnert. Das hängt damit zusammen, dass die Stadt schon immer einen internationalen Ruf hatte. Zu dem Festival kommen die Vertreter der Partnerstädte sowie die Mitglieder verschiedener Vereine und Bürgerinitiativen. Das wird erst recht auch in diesem Jahr der Fall sein, wenn die Stadt ihr 600. Gründungsjahr als Hussitengemeinde auf dem Berg Tábor feiert.“