Tschechische Eishockeyidole: Der geniale Zábrodský und die Schatten der Vergangenheit

Vladimír Zábrodský (Foto: ČTK)

Das tschechische Eishockey steht vor einem großen Jubiläum. Noch in diesem Herbst wird der nationale Eishockeyverband den 100. Jahrestag seines Bestehens feiern. Radio Prag bringt dazu eine Serie, in der wir herausragende Vertreter der tschechischen Eishockeyschule verschiedener Epochen vorstellen. Heute: Vladimír Zábrodský

100 Jahre des Tschechischen Eishockeyverbands
Der Tschechische Eishockeyverband (ČSLH) begeht am 8. November den 100. Jahrestag seiner Gründung. Ein rundes Jubiläum, das dekoriert wird durch zahlreiche Erfolge. Denn in diesen 100 Jahren wurden die tschechischen Eishockeycracks – knapp 75 Jahre davon gemeinsam mit den slowakischen Puckjägern – nicht weniger als elf Mal Weltmeister und 15 Mal Europameister. Auch WM-Silber- und Bronzemedaillen wurden in zweistelliger Höhe gewonnen. Als absolut größter Erfolg in dieser 100-jährigen Geschichte wird jedoch der Olympiasieg von vor zehn Jahren im japanischen Nagano angesehen. Nach Jahrzehnten der politischen Teilung der Welt in Ost- und Westbündnisse waren nämlich in Nagano erstmals wieder die absolut weltbesten Eishockeyspieler in einem Turnier vereint. Von daher wird das damalige Olympiaturnier auch als Jahrhundert-Turnier bezeichnet. Und das hat eben die Tschechische Republik gewonnen.

Bei so vielen Erfolgen hat der tschechische Eishockeysport natürlich auch unzählige Topstars, Weltmeister, Olympiasieger und Stanley-Cup-Gewinner hervorgebracht. Wir stellen Ihnen einige davon vor, und zwar jeweils einen herausragenden Vertreter einer gewissen Ära.

Teil 1: Vladimír Zábrodský (Jahrgang 1923)

Vladimír Zábrodský  (Foto: ČTK)
Der heute 85-jährige Vladimír Zábrodský hatte als Kapitän und Mittelstürmer der ersten Reihe maßgeblichen Anteil an den beiden ersten WM-Titeln der damaligen Tschechoslowakei, die auf die Jahre 1947 und 1949 fielen.

Vladimír Zábrodský war in seiner Glanzzeit ein begnadeter Spielgestalter und Torjäger. In der tschechoslowakischen Nationalmannschaft bestritt er 93 Spiele, in denen er 158 Tore erzielte. Damit liegt er bis heute auf dem zweiten Platz aller Torjäger im Auswahltrikot. Im Jahr 1949, als man den zweiten WM-Titel gewann war er sogar der erste und bisher einzige spielende Trainer einer Nationalmannschaft.

Vladimír Zábrodský wurde am 7. März 1923 in Prag geboren. Von Kindheit auf haben ihn sein Vater Oldřich und seine russische Mutter Olga Nikitina an den Sport herangeführt. Mit fünf Jahren begann er Schlittschuh zu laufen, mit sieben Jahren Eishockey zu spielen und schon mit neun Jahren trug er den Dress des damals berühmten LTC Prag. Er wuchs ganz in der Nähe der Eishalle auf der Hetzinsel (Na Štvanici) auf – ein Vorteil, den er und seine Mitspieler gegenüber den Nicht-Pragern hatten, meint Zábrodský noch heute:

„In den 1930er Jahren hatten wir in Prag bereits dieses Eisstadion und damit einen großen Vorteil gegenüber der Konkurrenz aus den ländlichen Regionen. Die aber wollte uns natürlich immer einholen.“

Das aber schaffen die Clubs außerhalb Prags nur in den seltensten Fällen. In den 40er Jahren dominierte der LTC Prag, mit dem Zábrodský viermal Meister wurde. Ab 1950 spielte er für den Traditionsclub Sparta Prag, der sich den damaligen kommunistischen Gepflogenheiten zufolge in jener Zeit Spartak ČKD Sokolovo nannte. Mit Sparta gewann Zábrodský 1953 und 1954 den nationalen Titel.

Vladimír Zábrodský  (Foto: ČTK)
Zwischen dem Wechsel vom LTC Prag zum Stadtrivalen Sparta liegt jedoch auch das widersprüchlichste Kaptitel in der Karriere des einstigen Puckgenies und eine der dunkelsten Seiten in der Geschichte des tschechischen Eishockeysports überhaupt. Der Weltmeister-Mannschaft von 1949 war es nämlich nicht möglich, ein Jahr später ihren Titel zu verteidigen, weil sie im eigenen Land Opfer eines inszenierten Schauprozesses wurde, in dem elf Spieler des angeblichen Hochverrats, der Spionage und der Fahnenflucht beschuldigt wurden. Aufgrund fingierter Aussagen und fadenscheiniger Argumente wurden diese Spieler für mehrere Monate in ein Gefängnis oder eine Urangrube gesteckt. Nur einer von ihnen blieb von alledem verschont: Ihr Kapitän und Trainer Vladimír Zábrodský. Bei einem Besuch in Prag im Januar dieses Jahres sagte der heute im schwedischen Solna lebende Zábrodský dazu:

„Das war ein sportliches Unglück, denn wir hatten in unserer Mannschaft einen gesunden Hunger auf Erfolg. Wenn wir auch 1950 und später mit dieser Mannschaft bei der WM hätten spielen können, dann hätten wir ganz sicher noch einige Titel geholt.“

Sportlich gesehen kann man Zábrodský da nur zustimmen, doch aus moralischer Sicht hatte die Mannschaft mit dem Schauprozess aufgehört zu existieren. Alle der Inhaftierten sahen nämlich in Zábrodský, ihrem großen Chef, auch den Zuträger und Kollaborateur des kommunistischen Geheimdienstes StB, also denjenigen, der sie hinter Gitter brachte. Auf die Frage von Journalisten, wie er dazu stehe, dass ihn die ehemaligen Teamgefährten für den damaligen Verräter halten, antwortete Zábrodský: „Nun, das war akkurat einer, der das behauptet hat – Augustin Bubník.“

Vladimír Zábrodský  (Foto: ČTK)
Und, um irgendwie zu belegen, dass man die Aussage seines ehemaligen Mitspielers Bubník nicht für ernst nehmen könne, schob Zábrodský auch gleich nach:„Ich besitze zum Beispiel die Abschrift eines Gerichtsprotokolls. In dem Protokoll schreibt mir die Gerichtsprotokollschreiberin Frau Králová, dass Bubník seinerzeit unter Druck ausgesagt habe. Diese Abschrift liegt bei mir im Safe.“

Dennoch: Auch wenn Zábrodský, der seit seiner Emigration 1965 in Schweden lebt, bei den gelegentlichen Besuchen in seiner Heimat den Eindruck zu erwecken versucht, er sei in der Sache des damaligen Schauprozesses selbst nur ein Opfer und nicht der Missetäter, ein mehr als fader Beigeschmack aus der Vergangenheit, zu er es fast schon keine Zeitzeugen mehr gibt, wird immer bleiben. So jedenfalls sieht es der tschechische Journalist und Buchautor Jiří Macků, der sich als einer von wenigen Medienvertretern etwas detaillierter mit der älteren Geschichte des tschechischen Sports und speziell des Eishockeys auseinandergesetzt hat. Anhand seiner Recherchen charakterisiert Macků den ehemaligen Eishockeystar, Kapitän, Trainer und anerkannten Chef Zábrodský auch als einen Liebling des damaligen Ministers für Information Václav Kopecký, als Informanten des damaligen kommunistischen Generalsekretärs Rudolf Slánský, als Sohn eines StB-Mitarbeiters und als Zögling des allmächtigen russischen Trainers Anatoli Tarassow. Seine ehemaligen Mitspieler aber haben Zábrodský seit jener Zeit gemieden.

Sportlich gesehen aber stehen die Verdienste von Vladimír Zábrodský um den Eishockeysport außer Frage. Aufgrund seiner Erfolge und seiner Ausstrahlung hat ihn die Internationale Eishockey-Föderation (IIHF) 1997 in ihre Hall of Fame aufgenommen. Aus Anlass des 100-jährigen Bestehens des HC Sparta Prag wurde Zábrodský 2004 ins ewige All-Star-Team des Traditionsvereins gewählt. Bei der Wahl zum tschechischen Sportler des Jahres 2007 nahm Zábrodský den Emil-Zátopek-Preis für nationale Sportlegenden stellvertretend für das gesamte Eishockey-Weltmeisterteam des Jahres 1947 entgegen. All diese Auszeichnungen sind uneingeschränkter Ausdruck seiner großen sportlichen Leistungen in den 40er und 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Mit seiner möglichen Beteiligung am kommunistischen Schauprozess gegen seine ehemaligen Nationalmannschaftskollegen muss er jetzt allerdings allein klar kommen. Seine Familie, mit der er seit über 40 Jahren in Solna bei Stockholm lebt, hilft ihm dabei.

Autor: Lothar Martin
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