Tschechische Journalisten zum Krieg im Nahen Osten
Die tschechischen Medien berichten im Allgemeinen eher wohlwollend über Israel - das sagte kürzlich im Gespräch mit diesem Sender der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Prag, Frantisek Banyai. Sucht man in den maßgeblichen - überregionalen - Tageszeitungen Tschechiens der letzten Tage und Wochen nach Kommentaren zur Lage im Nahen Osten, wird man nicht überall auf Anhieb fündig. Im Gegenteil: Fast scheint es, dass mache Zeitungen sich bewusst auf die Berichterstattung beschränken und die Bewertung eher den Lesern selbst überlassen. Die meisten Diskussionen fanden wir in Internetzeitungen und im Rundfunk.
"Viele Intellektuelle in Tschechien und anderen Ländern schütteln den Kopf darüber, was Israel gegenwärtig im Libanon veranstaltet und fragen sich: Warum müssen wir zu Beginn des 3. Jahrtausends jeden Tag auf zerbombte Häuser, weinende Kinder und mit Toten übersäte Straßen blicken? Die Antwort ist: Israel ist einfach die Geduld ausgegangen und ich wundere mich, dass das erst jetzt passiert. Wohl nur die Tschechen mit ihrem Taubencharakter wären in der Lage, sich ohne Ende Bombenattentate in tschechischen Städten anzusehen, ohne darauf zu reagieren. Israel kann sich das nicht erlauben, denn das würde die Israelis teuer zu stehen kommen. Im gleichen Atemzug füge ich aber hinzu, dass ich für eine sofortige Beendigung dieses Kriegs bin. Aber lasst uns bitte Israel nicht nur als blutgierige Bestie betrachten. Solche einseitigen Sichtweisen haben wir hoffentlich schon hinter uns... "
Die Frage nach der Angemessenheit der israelischen Reaktion auf die Entführung dreier Soldaten stellte sich auch die Zeitung Mlada fronta dnes, gleich wenige Tage nach Beginn des Konflikts im Libanon:
"Es ist leicht, Israel für die Unangemessenheit seiner Taten zu kritisieren. Aber was ist im Nahen Osten schon angemessen? Die israelischen Militäraktionen sehen nur unangemessen aus, wenn man sie von woandersher aus dem Sessel betrachtet. Bei den Entführungen ging es um viel mehr als um drei Soldaten. Die Hisbollah und die Hamas glauben, dass jetzt die Zeit günstig ist: Die Regierung in Tel Aviv hat bereits den Gaza-Streifen preisgegeben und Umfragen deuten daraufhin, dass viele Israelis kampfesmüde sind. Außerdem steht kein Militär an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Das muss eine große Versuchung für die arabischen Nachbarn sein. Regierungschef Olmert muss handeln, um keine Schwäche zu zeigen. Denn die Israelis kennen die wichtigste Regel des biblischen Landes: Wenn jemand einen Stein nach dir wirft, musst du mit zweien zurückwerfen."
Anders als der eben gehörte Kommentar aus der Mlada fronta dnes betrachtet der in Großbritannien lebende tschechische Publizist Jan Culik die israelische Militäraktion als zu brutal. Seiner Meinung nach wendet Israel das Prinzip der kollektiven Schuld an und hat dadurch bereits unnötig viele zivile Opfer auf dem Gewissen. Was die Bewertung des Krieges durch die Medien anbelangt, beobachtet Culik einen Grund legenden Unterschied zwischen tschechischen und britischen Journalisten, den er vergangenes Wochenende im sechsten Programm des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Rundfunks so beschrieb:"Von tschechischen Beobachtern und Journalisten höre ich hin und wieder: Wir müssen uns knallhart auf eine Seite stellen und die andere als das personifizierte Übel betrachten. Und damit endet dann jede weitere Diskussion. Die angelsächsische Haltung ist eine andere: Die Engländer haben sehr häufig die Tendenz, einen Kompromiss zu finden, weil sie in der anderen Seite auch Menschen sehen. Es ist keine Lösung, wenn man die andere Seite einfach als das Böse schlechthin betrachtet."
Ähnlich sieht es der Publizist Petr Zantovsky. Auch er beobachte eine fatale Polarisierung in den tschechischen Medien, äußerte er unlängst in einer Diskussionssendung des Tschechischen Rundfunks:
"Das ist ein großes Problem. Mir scheint, die mediale Reflexion dieses Kriegs erinnert immer mehr an die Berichterstattung über einen Sport-Wettkampf. Und das sage ich ohne den geringsten Zynismus. Es bilden sich hier zwei Teams heraus, die gegeneinander kämpfen und genau dieselben Waffen, dieselbe Rhetorik und Munition benutzen und denselben Anspruch auf ihr Gebiet reklamieren. In meinen Augen ist es sehr gefährlich, die Positionen beider Seiten in dem Konflikt als die zweier gleichwertiger Gegenspieler darzustellen. Mich erinnert das an die Berichterstattung der Medien über den Tschetschenien-Krieg, wo plötzlich der Terrorist Bassajew das künstliche Image eines Helden oder Märtyrers bekam. Damit relativieren wir auch die moralischen Werte unserer Zivilisation. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung."
Egal wie man die Lage im Nahen Osten beurteilen mag - eine Frage stellt sich momentan wohl allen Lagern gleichermaßen: Wie geht es weiter? Pavel Urban zeigt sich in der Internetzeitung Britske listy ("Britische Blätter") sehr pessimistisch:
"Die Mehrheit der Israelis ist offenbar zu der Auffassung gelangt, dass es im Grunde egal ist, wie sich ihr Land gegenüber den arabischen Nachbarn verhält. So oder so werden sie nur zwei Alternativen zur Auswahl haben: die Vernichtung Israels oder einen permanenten Krieg. Was sollte etwa Amerika hier ausrichten können? Israel und Palästina an den Verhandlungstisch bringen? Das ist vor 15 Jahren einmal gelungen. Das Ergebnis waren einige Abmachungen, die nicht eingehalten wurden und eine sich ständig verschlechternde Sicherheitssituation. Dieser Krieg kann noch weitere Jahrzehnte dauern und möglicherweise mit der Auslöschung einer der beiden Seiten enden. Keine besonders schöne Vorstellung, aber ich fürchte, dass sich nur wegen unserer ethischen Maßstäbe weder die Araber in ihrer Ehre kränken lassen noch die Juden auf ihren Staat verzichten."Etwas optimistischer bewertet die Perspektiven für den Nahen Osten Zbynek Petracek in der Zeitschrift Respekt. Er erörtert zunächst die vielfach geäußerte Kritik gegenüber einem Einsatz von UN-Truppen im Nahen Osten und macht dann einen konstruktiven Lösungsvorschlag:
"Die Skepsis gegenüber einem sofortigen Waffenstillstand unter Aufsicht von UN-Truppen im Libanon, wie sie die Hisbollah fordert, resultiert aus einer konkreten, sechs Jahre alten Erfahrung: Ein halbes Jahr, nachdem sich Israel im Mai 2000 aus dem Südlibanon zurückgezogen hat, hat die Hisbollah die Grenze überschritten und drei israelische Soldaten entführt. Nota bene unter der Aufsicht der UN-Einheit UNIFIL. Aber man darf diese Skepsis auch nicht übertreiben. Das Problem ist nicht die UNO selber, sondern eher das Mandat einer ganz konkreten Mission. UNIFIL ist ein abschreckendes Beispiel. Aber dafür schätzen die Israelis die UNO-Mission UNDOF. Sie funktioniert zwar unauffällig, aber ziemlich wirksam bereits seit 1974 in den Golanhöhen und hält dort israelische und syrische Einheiten auseinander. Und die Terroristen machen einen Bogen um sie. Wenn man also eine Inspiration für den Libanon sucht, braucht man nicht bis in den Kosovo oder nach Afghanistan zu gehen. Es reicht, ein paar Kilometer nach Osten zu blicken."