Tschechische Presse: Gebt der Türkei noch etwas Zeit zur Selbsterkennung

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Bei der Parlamentswahl in der Türkei hat die islamisch-konservative AKP des amtierenden Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan einen überraschend deutlichen Wahlsieg errungen. Dank der voraussichtlich von ihr erkämpften 342 Sitze im 550 Plätze zählenden Parlament kann die AKP zukünftig weiter und allein regieren. Die Wahlen in der Türkei wurden von der tschechischen Presse als ein dankbares Thema in der nachrichtenarmen Sommerzeit aufgegriffen. Die tschechische Politik hingegen hat sich zu ihnen so gut wie nicht geäußert.

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"Die Türken haben bei den Wahlen den gemäßigten Islam gewählt", schreibt die tschechische Tageszeitung "Lidove noviny" in ihrer Montagausgabe. Die Wirtschaftszeitung "Hospodarske noviny" wiederum hebt hervor, dass aufgrund des Wahlergebnisses das Signal weiterhin auf Grün für Prosperität und ökonomischen Aufschwung steht. Und die "Mlada fronta Dnes" konstatiert, dass der moderne Islamismus der Türkei bisher nicht schade.

Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass die tschechische Presse den Wahlausgang in der Türkei sehr sachlich und ohne großen Pathos als eine logische Fortsetzung des seit März 2003 von Ministerpräsident Erdogan eingeschlagenen Wegs der demokratischen und wirtschaftlichen Reformen im Land und der weiteren Annäherung der Türkei an die EU ansieht. Allerdings, so hinterfragt die "Lidove noviny", nimmt man eine "normale islamische Demokratie", die man mit der christlichen Demokratie vergleichen könnte, schon als eine bekannte Größe in Europa wahr? Die Antwort gibt das Blatt selbst: "Wenn in Spanien die Volkspartei oder in Deutschland die CDU die Wahlen gewinnt, dann befürchtet niemand die mögliche Erneuerung der Inquisition. Wenn aber in der Türkei die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) den Sieg davonträgt, dann räsoniert die Unsicherheit", schreibt die "Lidove noviny".

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Eine andere, aber in der Türkei schon gewohnte Unsicherheit stellt das Militär im Land des Halbmonds dar. Schon mehrfach seit 1960 hat sich das türkische Militär in politische Abläufe eingemischt und dabei auch Wahlergebnisse ad absurdum geführt. Zuletzt war das vor drei Monaten der Fall, als das Militär dazu beigetragen hatte, die Wahl von Außenminister Gül zum Staatspräsidenten zu verhindern. Wohl auch deshalb hielt sich der tschechische Vizepremier für europäische Angelegenheiten, Alexandr Vondra, mit seiner Einschätzung zur Wahl in der Türkei noch etwas zurück, auch wenn er das Ergebnis für keine Überraschung hält:

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"Das Wahlergebnis muss nicht allzu viel bedeuten, falls Erdogan in seiner Politik so fortfahren wird wie in den zurückliegenden Jahren, in denen er sich darum bemüht hat, die Türkei zu reformieren. Natürlich ist es jetzt wichtig, dass er auch die nun anstehenden Verhandlungen nach den Wahlen meistern wird und dass er eine innere Ordnung sicherstellt, in die die Armee nicht in merklicher Weise eingreifen wird."

Nach Meinung der Tageszeitung "Mlada fronta Dnes" hat die Türkei der Gegenwart zwei moderne Gesichter, die sich gegenüberstehen: das eine ist das säkulare und das andere das islamische. Und beide überlegen, welcher Weg zu gehen ist. "Bildlich gesprochen, die Türken wissen oft nicht, was sie mit sich anfangen sollen. Europa sollte ihnen daher noch etwas Zeit geben. Auch ihren siegreichen Islamisten", resümiert das Blatt.