Unter Zuftfahne auf Schloss Ctěnice II
Nicht nur im Stadtkern von Prag gibt es Baudenkmäler aus verschiedenen Zeitepochen, die Tausende von Touristen anziehen. Auch am Stadtrand der tschechischen Metropole, in Orten, die erst im 20. Jahrhundert eingemeindet wurden, gibt es bewundernswerte Sehenswürdigkeiten. Zu ihnen gehört auch das Schloss Ctěnice im Prager Stadtteil Vinoř. Vor zwei Jahren wurde das historische Areal an das Stadtmuseum angegliedert. Die Museumsmitarbeiter eröffneten vor kurzem im Schloss eine Dauerausstellung über die Geschichte des Handwerks.
„Seit 1781 durften die Zünfte nur kleine Fahnen bei den Feierlichkeiten benutzen. Diese waren etwa 90 Zentimeter breit und 60 Zentimeter hoch.“
Im Schloss werden aber nicht nur die damals angesehenen Berufe gezeigt. In einem Saal der Ausstellung stehen jene Handwerker im Mittelpunkt, die sich am Stadtrand niederlassen mussten, weil sie mit verschiedenen stark riechenden Stoffen arbeiteten. Zu ihnen gehörten beispielsweise die Gerber, Sattler oder Riemenschneider. Die Gerber verarbeiteten Tierhaut mit Gerbstoffen zu Leder. Laut Kuratorin verdienten sie damit aber nicht viel. In der Ausstellung wird darum auch die soziale Stellung der verschiedenen Handwerker beschrieben.
„Für die Handwerker war es wichtig, sich in Zünften zusammenzuschließen. Wenn einer von ihnen eine längere Zeit krank wurde, durfte er sich Geld aus der gemeinsamen Zunftlade nehmen. Nach der Genesung zahlte er das Geld der Zunft dann wieder zurück.“Dass es den Handwerkern nicht immer rosig ging, weiß man auch aus der Literatur. Als literarisches Beispiel in der Ausstellung zitiert Martina Lehmanová ein Gedicht von Hans Sachs:
„´Ich leid groß Not, im Haus hab ich kein bisschen Brot. Mein Handwerk leid danieder gar…´ Das Gedicht geht weiter und der Dichter beschreibt, wie er Geld verdienen muss und wie andere Leute Geld von ihm verlangen, das er ihnen schuldet. Es bezeichnet sehr treffend die damalige Situation der Handwerker.“
Schmiede, Schlosser, Zinnmeister, Uhrmacher: Das waren alles Handwerker, die mit Metallen arbeiteten. Aus den Museumssammlungen stammen die reich verzierten Zinngegenstände.
„Zu sehen sind die so genannten ´Willkommpokale´. Im Tschechischen nannte man sie ´vilkum´. Die Bezeichnung stammt aus der deutschen Sprache. Aus dem Pokal wurde Wein oder Bier getrunken. Aber nicht jeder durfte aus ihm trinken, der ´vilkum´ war für Gäste oder für einen neuen Meister bestimmt. Dieser durfte den Pokal jedoch nicht direkt mit der Hand berühren, sondern ihm war es nur gestattet, den Pokal mit einem Tuch in der Hand anzufassen.“
Bei ihren Tagungen benutzten die Handwerker auch andere Trinkgefäße. Zu sehen sind Pokale aus Zinn, Glas und Ton. Die kostbarsten Becher wurden aus Silber oder Gold hergestellt. Viele der ausgestellten Pokale sind mit Zunftsymbolen geschmückt. Gezeigt werden die Stücke, die die Gesellen anfertigten, um Meister zu werden. Besonders beachtenswert ist das Meisterstück des Gürtlers Isaac aus der Prager Altstadt, aus dem Jahr 1820, auf welchem das letzte Abendmahl Jesu dargestellt ist. Laut der Kuratorin ist es eines der wertvollsten Exponate in der Ausstellung.Gewerbe, die sich mit Mode beschäftigen, sind das Hauptthema eines weiteren Ausstellungssaals. Zu sehen sind sehr prunkvolle Zunftladen der Schneider, Schuhmacher und Hutmacher. Die Gewerbe rund um die Mode haben schon immer vor allem die Frauen interessiert, sagt die Kuratorin.
„Darum widmen wir uns in diesem Saal der Rolle der Frauen in den Zünften. Vom 12. bis Anfang des 14. Jahrhunderts konnten Frauen in einem Handwerk eine Lehre absolvieren und abschließend auch ‚Meister‘ werden. Im 14. bis 15. Jahrhundert änderte sich die Situation: Die Lehrlinge musste auf die Walz gehen. Zuvor gab es nur Lehrlinge und Meister, und seit dem 15. Jahrhundert gab es im Zunftsystem zudem die Gesellen, die auf die Wanderschaft gingen, um neue Informationen und Erfahrungen zu sammeln. Für die Frauen war eine Wanderschaft zu gefährlich, ab diesem Zeitpunkt war es den Frauen nicht mehr möglich, ‚Meister‘ zu werden.“
Die Frau eines Meisters hatte jedoch die gleiche gesellschaftliche Stellung inne wie ihr Mann. Sie kümmerte sich um die Lehrlinge, aber auch um das Geschäft. Ihre Aufgabe war es, die Produkte aus der Werkstatt ihres Mannes zu verkaufen. Wenn ein Meister starb, durfte die Witwe das Haus weiter führen. Wenn aber die Frau eines Meisters starb, musste er wieder heiraten, um wieder eine Frau zu haben, die sich um den Haushalt kümmerte und seine Erzeugnisse verkaufte.Die Zünfte der Tischler, Dreher und Böttcher werden in einem der nächsten Ausstellungssäle vorgestellt. Zu besichtigen gibt es mehrere historische Schilder, die die Handwerker an ihrem Haus angebracht hatten und auf denen das typische Zunftzeichen abgebildet war. In der Regel hatte jede Zunft ihr eigenes Haus, in dem die Zunftmitglieder zu Sitzungen zusammentrafen. Wenn die Zunft jedoch zu klein war, trafen sich ihre Mitglieder meistens in einer Gaststätte, wo sie ihren Stammtisch abhielten. Über dem Stammtisch hing dann in der Regel ein Schild oder ein Bild mit dem Symbol der Zunft. In der Vitrine ist ein Beispiel einer bemerkenswerten Arbeit eines Drehers zu bewundern. Die Kuratorin:
„Ein interessantes Exponat in diesem Raum ist dieser Pokal aus Holz, zu dem weitere 48 kleine Pokale gehören. Im 17. Jahrhundert musste ein Geselle, der Drechslermeister werden wollte, eine derartige Meisterarbeit vorlegen.“
Er hatte einen Holzpokal hergestellt, in dem weitere 48 kleinere Pokale Platz fanden. Die kleineren Pokale wurden ebenfalls aus Holz gefertigt, jedoch aus einem sehr dünnen Material, dünner als Papier. Niemand wisse heutzutage, so die Kuratorin, wie die Handwerker damals so etwas hergestellt hätten.Die Dauerausstellung im Schloss Ctěnice ist täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Im Winterhalbjahr, von November bis März, ist das Areal während der Woche nur von 10 bis 16 Uhr und am Wochenende von 10 bis 18 Uhr zugänglich.