Vaclav Havel erhält Nationalpreis der Deutschen Nationalstiftung 2003
Der frühere Präsident Vaclav Havel ist am Mittwoch von der Deutschen Nationalstiftung und ihrem Ehrenvorsitzenden Helmut Schmidt für seine Verdienste um das deutsch-tschechische Verhältnis und das Zusammenwachsen Europas ausgezeichnet worden. Bei dem Festakt im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt überreichte der deutsche Bundespräsident Johannes Rau seinem früheren Amtskollegen den mit 100 000 Euro dotierten Nationalpreis, der in den Vorjahren u.a. an den Liedermacher Wolf Biermann, den Kunstmäzen Heinz Berggruen sowie den Schriftsteller Günter de Bruyn gegangen war. Mehr dazu hat Silja Schultheis im Gespräch mit dem Geschäftsführer der Deutschen Nationalstiftung, Dr. Albrecht v. Kalnein, in Erfahrung gebracht.
v. Kalnein: "Vielleicht ist es am besten, wenn ich dafür kurz aus der Preisurkunde zitiere. Darin heißt es: 'Sein Lebenslauf vom inhaftierten Dissidenten zum Staatspräsidenten verkörpert den Weg seiner Heimat von gewaltsam auferlegter Fremdbestimmung hin zu eigener, vertrauensvoller Gestaltung von Politik und Gesellschaft. Wir ehren damit eine Persönlichkeit, die die Bedeutung von gesellschaftlichem und politischem Engagement und Zivilcourage für unser Gemeinwesen vor Augen führt.' Soweit die Urkunde. Wir glauben, dass solche Tugenden auch für das Deutschland des Jahres 2003 Not tun. Hier steckt ein ganzes Land in tiefgreifenden Debatten nach Reformen, nach Neustrukturierung. Und nur Bürger, die bereit sind zu politischem Engagement und zu Zivilcourage, nur die werden eine solche für ein Gesellschaftssystem nötige Debatte erfolgreich mitgestalten."
Schultheis: "Vaclav Havel ist jetzt selbst auch ein 'gewöhnlicher' Bürger. Welche Bedeutung hat so ein Mensch heute, wenn er nicht mehr in der Politik ist?"
v. Kalnein: "Für Deutsche ist Vaclav Havel, glaube ich, der personifizierte Begriff der Wende. Besonders in Ostdeutschland ist Vaclav Havel ein wunderbares Beispiel für die Kraft der Bürgerbewegung. Gerade Ostdeutsche werden da dankbar hingucken. Und auch Westdeutschen würde es sehr gut tun, sie könnten auch etwas davon lernen. Nur leider ist die politische Erinnerung in friedlichen Gemeinwesen ja relativ kurz. Ostdeutsche sind da noch näher dran aus der eigenen Erfahrung. Wir stehen heute noch dicht am 17. Juni 1953. Der Preis für Demokratie und Freiheit ist hoch. Wer die Säulen dieses Gemeinwesens befestigt hat, so wie Vaclav Havel, taugt wirklich zum Symbol für das sich nach Osten erweiternde Europa."
Schultheis: "Stichwort Symbol: Wie schätzen Sie heute die Bedeutung von solchen Symbolfiguren ein? In Deutschland wird Vaclav Havel ja häufig stellvertretend für die gesamte Tschechische Republik genommen. Ist das nicht auch eine Gefahr?"
v. Kalnein: "Ja, da steckt natürlich auch sehr viel Projektion der Gesellschaft, Projektion des Betrachters dahinter. Trotzdem halte ich solche Symbole und Persönlichkeiten für unersetzbar, und ich erlaube mir darauf hinzuweisen, dass ja auch Helmut Schmidt ein solches Symbol ist."
Schultheis: "Herr Dr. v. Kalnein, vielen Dank für das Gespräch."