Verband der tschechischen Zwangsarbeiter stellt seine Tätigkeit ein
Die heutige Ausgabe unserer Sendereihe Schauplatz ist dem Verband der tschechischen Zwangsarbeiter gewidmet, der vor Sommerbeginn seine Tätigkeit eingestellt hat. Mehr über diesen Verband und seine Geschickte erfahren Sie nun von Robert Schuster.
Vor einigen Wochen verbreiteten tschechische Medien die Meldung, wonach der Verband der tschechischen Zwangsarbeiter seine Tätigkeit offiziell einstellen will. Diese Vereinigung vertrat in den vergangenen Jahren jene tschechischen Bürger, die während des Zweiten Weltkrieges von den Nazis gezwungen wurden, meistens in deutschen oder österreichischen Rüstungsunternehmen Schwerstarbeit zu leisten. Die Gründe für diese Entscheidung, die der Verband bereits vergangenen Herbst auf einem Delegiertentag beschlossen hatte, lassen sich relativ einfach nachvollziehen, denn sie hängen in erster Linie mit dem hohen Alter der Verbandsmitglieder zusammen. Zwar sollen das zentrale Büro in Prag und in den größeren Städten nach wie vor erhalten bleiben, die weitaus kleineren Zweigstellen, welche ursprünglich in jedem der 81 tschechischen Bezirke vertreten waren, sollen jedoch aufgelöst werden.
Entstanden ist der tschechische Zwangsarbeiterverband unmittelbar nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im Frühjahr 1990. Am Gründungstreffen in Moravske Budejovice / Budiwitz nahmen damals mehrere Hunderte ehemals Betroffene teil, in den Folgejahren stieg die Zahl der Mitglieder stellenweise auf bis zu mehr als 45 000 an.
Schon bei diesem ersten Treffen wurden die wichtigsten Ziele des Verbandes festgelegt, wie sich der langjährige Vorsitzende des Verbands, Karel Ruzicka, im Gespräch mit Radio Prag erinnert:
"Bei der Gründung unseres Verbandes wurden einige ganz konkrete Ziele formuliert. In erster Linie ging es darum, alle noch lebenden Personen anzusprechen und zu registrieren, die während des Krieges Zwangsarbeit verrichten mussten. Damit hängt eine weitere große Aufgabe zusammen, nämlich alle noch vorhandenen Dokumente, Fotos und dergleichen zu sammeln, sie als historische Quellen zu archivieren und somit auch die Erinnerung an diese Zeit für die künftigen Generationen zu erhalten. Und nicht zuletzt war es ein weiteres erklärtes Ziel, eine gewisse Entschädigung für die Zeit der Zwangsarbeit von der deutschen Regierung zu erhalten, die die Rechtsnachfolge des früheren Deutschen Reiches antrat."
In der Regel dauerte der Zwangseinsatz der tschechischen Arbeiter zwei Jahre, in einigen Fällen aber auch länger. Viele der Betroffenen hatten danach mit Dauerfolgen und schweren Erkrankungen zu kämpfen. Auch deshalb versuchte der Verband von Beginn an so schnell wie möglich zu erreichen, dass die Opfer von einst im Nachhinein zumindest symbolisch entschädigt werden. Deutschland rief die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" ins Leben und stellte eine Summe von 10 Milliarden D-Mark zu Entschädigungszwecken zur Verfügung, die je zu einer Hälfte von der Bundesregierung auf der einen und der deutschen Wirtschaft auf der anderen Seite getragen wurde. Nach langwierigen Verhandlungen zwischen den Regierungen Deutschlands und von zehn mittel- und osteuropäischen Ländern über die Verteilung dieser Mittel konnte dann im Frühjahr 2000 eine entsprechende Einigung getroffen werden. Ein Jahr später hat auch Österreich einen eigenen Entschädigungsfonds ins Leben gerufen und begann ebenfalls Gelder an die Betroffenen zu überweisen.
Für die tschechischen Zwangsarbeiter, so Karel Ruzicka, war von Beginn an klar, dass es sich bei der Verwirklichung dieses Anliegens im wahrsten Sinne des Wortes um einen Wettlauf mit der Zeit handeln würde, wobei jede weitere Verzögerung die Zahl der Empfänger verringert hätte.
Lässt sich sagen, wie viele der Zwangsarbeiter von einst tatsächlich noch leben und nach den vielen Jahren entschädigt wurden? Hören Sie dazu Karel Ruzicka:
"Bis zum heutigen Tag wurden 54 000 Menschen in unserem Land entschädigt, die in den Jahren des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeit verrichten mussten. Wenn ich das mit den Zahlen der jungen Männer und Frauen vergleiche, die in Zugtransporten meistens nach Deutschland oder Österreich gebracht wurden, ist das nur ein äußerst geringer Prozentsatz, denn die Schätzungen - da haben wir leider keine genauen Zahlen - gehen von ungefähr 600 000 Zwangsarbeitern aus."
Eine weitere wichtige Aufgabe sah der tschechische Zwangsarbeiterverband darin, das Schicksal der mehr als einer halben Million Tschechen festzuhalten und zu dokumentieren, die von der Zwangsarbeit für die Nazis betroffen waren. So sammelten sich allmählich nicht nur beachtliche Berge von Dokumenten und anderen Gegenständen aus dieser Zeit an, sondern es entstanden auch Kontakte zu Historikern, sowohl in Tschechien, als auch in Deutschland, die sich mit dem Thema der Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs wissenschaftlich auseinander setzten, jedoch keinen Zugang zu Archivmaterialien hatten. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit waren nicht nur einige Ausstellungen, sondern auch einige internationale Symposien. Viele der gesammelten Dokumente wurden später an das tschechische Staatsarchiv übergeben und mittlerweile herausgegeben, die Publikation eines anderen Teils der historischen Zeitdokumente wurde wiederum von der deutsch-tschechischen Stiftung "Brücke-Most" finanziell getragen.
Die Bereitschaft der Betroffenen über ihre damaligen Erlebnisse zu sprechen, war laut Verbandschef Karel Ruzicka ganz besonders wichtig. Und zwar nicht, um die Ereignisse nach den vielen Jahren verarbeiten zu können, sondern um sie auch als Warnung an die nächsten Generationen weiterzugeben, wie Herr Ruzicka erläutert:
"Als unser Verband seinerzeit gegründet wurde, hatten nur die Wenigsten in der jüngeren und jüngsten Generation eine Vorstellung von unseren Zielen und nur eine geringe Ahnung davon, dass es so etwas wie Zwangs- und Sklavenarbeit gab. Seither hat sich vieles geändert. Da wir von Beginn an unsere Mitglieder baten, alte Fotos, Dokumente und andere Gegenstände wie etwa Häftlingskleidung zu schicken, konnten wir im Verlauf der Jahre landesweit insgesamt elf Ausstellungen veranstalten, die unter anderem auch von Schulklassen besucht wurden. Ein weiterer Schritt war, dass unsere Mitglieder häufig in Schulen eingeladen wurden. Heute ist also die Zahl derer, die gar nichts über die Zwangsarbeit während des Krieges wissen, wesentlich geringer."
Gerade für die heutigen Schulkinder scheinen Ereignisse, die mehr als sechzig Jahre zurückliegen, längst vergangene Geschichte zu sein. Zudem wird schon seit langem nicht nur von Angehörigen der Erlebnisgeneration bemängelt, dass das allgemeine Geschichtsbewusstsein gerade bei der Jugend stark rückläufig oder in vielen Fällen sehr gering ist. Wie waren also die Reaktionen der Schulkinder bei den Treffen mit ehemaligen Zwangsarbeitern? Hören Sie dazu noch einmal den Vorsitzenden des Verbands der tschechischen Zwangsarbeiter, Karel Ruzicka.
"Bei den Besuchen an den Schulen, egal welchen Typs, waren wir immer überrascht über das große Interesse. Besonders freuen wir uns, dass wir diese Vortragsreisen auch an Schulen und Universitäten in Deutschland vornehmen konnten - etwa in Berlin, Hamburg oder Jena. Ich selber war vergangenen Monat in der Nähe von Leipzig, wo ich eine Schule besuchte. Die Anwesenden haben mit großem Interesse meine Ausführungen verfolgt und viele Fragen gestellt. Ich war also sehr positiv überrascht, wie ich dort aufgenommen wurde. Das zeigt auch, dass der Weg, für den sich der Zwangsarbeiterverband gleich am Anfang entschieden hat, nämlich mit unseren Erlebnissen - sowohl zu Hause, als auch in Deutschland - an die Öffentlichkeit zu gehen, der einzig richtige war. Gerade darin sehen wir auch eine Garantie, dass sich so etwas in Zukunft nie wiederholen kann."