„Noráci“: Das Schicksal tschechischer Zwangsarbeiter in Norwegen
Rund 500.000 Tschechinnen und Tschechen haben während des NS-Regimes Zwangsarbeit geleistet. Die Mehrheit von ihnen wurde in den Industriebetrieben in Deutschland eingesetzt. Mehr als 1300 tschechische Zwangsarbeiter wurden aber auch in das Gebiet des okkupierten Norwegens geschickt. Ihr Schicksal beschreibt eine Ausstellung, die zurzeit in Prag zu sehen ist.
Norwegen hatte für NS-Deutschland eine große strategische Bedeutung. Es sollte Bestandteil des sogenannten Atlantikwalls werden – einer Verteidigungslinie, die unter anderem an der norwegischen Küste entlangführen sollte. Sie ist nur in Teilen errichtet worden. Beim Bau wurden zahlreiche Zwangsarbeiter eingesetzt, unter ihnen auch junge Männer aus verschiedenen Regionen Böhmens und Mährens.
Ein tschechisch-norwegisches Forschungsteam hat sich in den letzten zwei Jahren mit dem Schicksal der tschechischen Zwangsarbeiter in Norwegen befasst. Deren Arbeitsbedingungen waren den Wissenschaftlern zufolge zwar schwer, und dies insbesondere im Winter. Verglichen mit der Arbeit in den deutschen Fabriken sei es in Norwegen aber im Grunde genommen erträglich gewesen. Immer sei es jedoch auf den konkreten Arbeitgeber angekommen und den Ort, an dem die Zwangsarbeiter eingesetzt wurden, sagt Vendula Vlková Hingarová von der Karlsuniversität:
„Diejenigen, die in einer Stadt arbeiteten, hatten nach der Schicht frei. Sie konnten sich mit den Stadtbewohnern treffen, besuchten das Kino, knüpften Freundschaften. Die Zeit verging für sie schneller, und es war angenehmer als in Regionen, die von der restlichen Welt isoliert waren.“
Die Geschichte der „Noráci“, wie sich die tschechischen Zwangsarbeiter in Norwegen nannten, war hierzulande bisher so gut wie unbekannt. Eine Schlüsselrolle bei der Suche nach Informationen spielte laut Vlková Hingarová das Norwegische Nationalarchiv. Dort werden viele Dokumente aus der Zeit der NS-Besatzung aufbewahrt. Unter anderem findet sich hier eine Liste von rund 1300 Zwangsarbeitern, die aus dem so genannten „Protektorat Böhmen und Mähren“ stammten. Den Forschern gelang es, zahlreiche Nachkommen ausfindig zu machen und zu kontaktieren.
„Die Familien luden uns ein, sie zu besuchen. Sie stellten uns viele Fotos und einige Tagebücher zur Verfügung. Eine Familie übergab uns sogar 120 Briefe, die während des Krieges aus Kirkenes geschickt wurden, also fast dem nördlichsten Ort Norwegens. Das waren für uns echte Schätze. Und es gibt noch mehr Material. Für die Zwangsarbeiter war der Aufenthalt in Norwegen etwas Einzigartiges. Einige von ihnen beschrieben in ihren Tagebüchern sehr ausführlich ihre Erlebnisse.“
Trotz der problematischen Umstände, einer schweren Arbeit und der großen Entfernung zur Heimat scheint es, dass die „Noráci“ vor allem gute Erinnerungen an Norwegen hatten. Davon zeugen die erhaltenen Fotos. Vendula Vlková Hingarová weist jedoch darauf hin, dass die persönlichen Erinnerungen mit einem kritischen Abstand bewertet werden müssten:
„Die Zwangsarbeiter machten die Fotos, um ein wenig Spaß zu haben. Die Erinnerungen sind einigermaßen irreführend. Sie benennen nicht die schwere Zwangsarbeit in den arktischen Bedingungen. Das kann täuschen. Als wir einige der Aufnahmen erstmals sahen, kamen sie uns wie Urlaubsfotos vor. Denselben Eindruck hatten die Verwandten der Zwangsarbeiter. Denn es gibt Fotos von Stränden und Ausflügen. Aber dies ist wirklich nur ein kleiner Ausschnitt, den die Betroffenen von dem erzwungenen Aufenthalt und der Arbeit bewahren wollten.“
Die Wanderausstellung über die „Noráci“ ist bis 7. Oktober im Kampus Hybernská in Prag zu sehen. Sie trägt den Titel „Posláni na sever: Češi na nucené práci v Norsku v letech druhé světové války“ (In den Norden geschickt: Tschechische Zwangsarbeiter in Norwegen während des Zweiten Weltkriegs). Anschließend wird sie in Teplice / Teplitz, Ústí nad Labem / Aussig, Brno / Brünn und Boskovice / Boskowitz gezeigt.