Versammlungsrecht: Demos mit unbegrenzter Teilnehmerzahl wieder erlaubt
Während der Hochphase der Coronavirus-Pandemie waren die Beschränkungen in Tschechien ziemlich streng. Aufgrund des Ausnahmezustands wurden sämtliche Bürgerrechte beschnitten, selbst das individuelle Recht auf Freiheit war zumeist auf den Wohnraum reduziert. Jetzt, wo die Lockerungen aus den Anti-Corona-Maßnahmen greifen, wird so auch die Kritik an der Regierung wieder lauter. Das bestätigen landesweite Demonstrationen und die Wiederherstellung des Versammlungsrechts am Dienstag.
Für Dienstag hatte der Verein „Eine Million Augenblicke für die Demokratie“ landesweite Proteste gegen die Politik der Regierung und Premier Andrej Babiš (Partei Ano) im Besonderen angekündigt. Bei den Vorbereitungen der Kundgebungen wurde noch penibel auf die Auflagen geachtet: Sicherheitsabstand, Mundschutz, Desinfektionsmittel. Das galt für die Maximalzahl von 500 Personen. Kurz vor drei Uhr nachmittags traf dann jedoch eine Pressemitteilung von Gesundheitsminister Adam Vojtěch (parteilos) ein. Darin hieß es, dass die Begrenzung der Teilnehmerzahl bei Versammlungen auf 500 aufgehoben sei. Damit reagiere man auf Diskussionen der letzten Tage, schrieb der Minister und fügte an: „Um aber Zweifel zu vermeiden, haben wir eine Ausnahme gemacht.“
Vizepremier und Innenminister Jan Hamáček (Sozialdemokraten) hatte schon am Montag deutlich gemacht, dass er die Beschränkung des Versammlungsrechts für unangemessen halte. Entsprechend erklärte er vor den angemeldeten Demonstrationen am Dienstag:
„Wenn eine Aktion nach dem Versammlungsrecht stattfindet, und es dort zu keiner Gewalt oder Dingen kommt, bei denen die Polizei eingreifen muss, dann wird sie das auch nicht tun. Solche Demonstrationen verbieten wir nicht.“
Auch gegen eine Protestkundgebung mit mehr als 500 Menschen werde die Polizei nicht einschreiten, fügte Hamáček hinzu. Diesbezüglich lag er nicht mit Gesundheitsminister Vojtěch auf einer Wellenlänge, der auf das Gesetz des Gesundheitsschutzes der Öffentlichkeit verwies. Hamáček rechnete folglich damit, dass sich dazu wieder ein Gericht melden werde. Das wäre auch der Fall gewesen, wenn Vojtěch nicht im letzten Moment eingeschwenkt wäre, sagte dazu der Experte für Verfassungsrecht Jan Wintr. Er erläutert:
„Meiner Meinung nach kann der Gesundheitsminister im Interesse des Gesundheitsschutzes gegenüber dem Versammlungsrecht höchstens einige Bedingungen stellen. Diese Bedingungen können beispielsweise der Sicherheitsabstand und das Tragen eines Mundschutzes sein.“
Im Lager des Vereins „Eine Million Augenblicke für die Demokratie“ wurde der Rückzieher von Vojtěch wohlwollend aufgenommen und als ein Sieg bezeichnet. Manager Damián Koch von der Bürgerinitiative:
„Wir haben heute erfahren, dass die Teilnehmer-Beschränkung, die wir von Anfang an für unsinnig und rechtswidrig gehalten haben, nicht mehr gilt. Daher wird es für uns etwas einfacher, denn wir können jetzt den gesamten Platz füllen.“
Koch meinte damit den Altstädter Ring in Prag, auf dem am Dienstag die Hauptveranstaltung der aktuellen Protestwelle gegen die Regierung stattfand. Schätzungen zufolge hatten sich dort schließlich 1500 Menschen eingefunden. Die Redner auf der Protestkundgebung kritisierten die Fehler der Regierung, die sie in der Krise rund um die Coronavirus-Pandemie gemacht habe. Des Weiteren monierten sie die Versäumnisse des Kabinetts beim Kampf gegen die Dürre sowie den Interessenskonflikt von Premier Andrej Babiš. Ausdrücklich wurde hingegen das Vorhaben von Senatschef Miloš Vystrčil (ODS) gelobt, dem Inselstaat Taiwan einen offiziellen Besuch abstatten zu wollen.
Die Initiatoren des Vereins „Eine Million Augenblicke für die Demokratie“ machten erneut deutlich, dass sie nicht eher ruhen werden, bis Regierungschef Babiš als Spitzenpolitiker seinen Hut nimmt. Und was meint der Gescholtene selbst dazu? Andrej Babiš:
„Damit habe ich kein Problem. Ich habe mich bereits mehrfach dazu geäußert. Ich denke, dass die Proteste, die es bisher gab, auf unwahren Informationen beruhen. Und ich gehe davon aus, dass sich das nicht ändern wird.“