Verschuldung als Gefahr für die Demokratie?

Foto ilustrativa: Radiodifusión Checa

Weit über 800.000 Menschen leben in Tschechien in Pfändung. Meist sind sie wegen Bagatellbeträgen in die Schuldenfalle getappt. Die britische Tageszeitung Guardian warnt nun, dass dies zu einer Bedrohung für die Demokratie hierzulande werden könnte.

Foto: Tschechischer Rundfunk
Wegen der Finanzkrise 2008 ist Renatas Betrieb pleitegegangen, von den Folgen hat sie sich bis heute nicht erholt. Es sei sogar viel schlimmer, sie werde nie wieder frei sein vom Druck der Gläubiger, so die ehemalige Unternehmerin – immerhin stehe sie mit gut sieben Millionen Kronen (274.000 Euro) in der Kreide. Renatas Leidensweg ist eine der typischen Schuldnergeschichten in Tschechien, mit diesen hat sich nun der britische Guardian beschäftigt. Mehr noch, die Tageszeitung sieht darin eine der größten Gefahren für die Demokratie hierzulande. Übertreibt das Blatt da aber nicht? Auf keinen Fall, meint Marta Smolíková. Sie ist Leiterin der NGO Otevřená společnost (Offene Gesellschaft), die sich seit langem mit der Schuldenproblematik beschäftigt:

„Der Guardian hat das Problem in seinem recht knappen Artikel sehr präzise zusammengefasst. Kurz gesagt, die Zeitung hat Recht. So viele junge Menschen starten hierzulande wegen ihrer Schulden ohne Perspektive ins Leben. Auch wenn sie einen Job haben, wissen sie nicht, wie lange sie nur zum Schuldenabbau arbeiten werden. Das ist ein Handicap, das diese Menschen an der Gesellschaft und dem politischen System zweifeln lässt. Dabei sollte das System seine Bürger gerade schützen.“

Marta Smolíková  (Foto: Kristýna Maková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Otevřená společnost erstellt in regelmäßigen Abständen eine Schuldenkarte Tschechiens. Dort zeigt die NGO sowohl die regionale Verteilung von Pfändungen, als auch die Zahl der betroffenen Schuldner. Und die liegt erschreckend hoch – denn bei gut zehn Millionen Einwohnern leben rund 863.000 Menschen im Fadenkreuz der Gerichtsvollzieher. Marta Smolíková:

„Das meiste Geld, das diese Menschen verdienen, fließt automatisch den Gläubigern zu. Die Betroffenen selbst müssen mit dem Existenzminimum auskommen, doch dafür lohnt es sich nicht zu schuften. Viele Schuldner arbeiten deshalb schwarz. Das hat natürlich auch Einfluss auf die Finanzen der Kommunen, denen die Lohnsteuern entgehen. Außerdem konsumieren diese Menschen nur wenig, was massive Einbußen bei der Mehrwertsteuer bedeutet. Ganz zu schweigen von den direkten Folgen der Verschuldung für die Betroffenen. Denn auch die Gesundheit der Schuldner leidet, und ihre Kinder sind sozial stigmatisiert.“

Das sogenannte Existenzminium liegt in Tschechien übrigens bei 2200 Kronen (80 Euro). Lediglich dieses ist bei Pfändungen durch einen Gerichtsvollzieher unantastbar.

Dabei betont Marta Smolíková, dass es nicht um Menschen geht, die an ihren Krediten für neue Möbel oder einem Urlaub gescheitert sind. Oft beginnt die Schuldenfalle mit einer unbezahlten Strafe fürs Schwarzfahren oder einer Gebühr bei der Gemeinde. Denn Staat und Kommunen in Tschechien haben teils den Gerichtsvollzug privatisiert, womit sich die Schuld in wenigen Monaten verzehnfachen kann. Auch das bestätige die These des Guardian und treibe die Menschen in die Arme von Populisten, meint Marta Smolíková:

Jan Čulík  (Foto: Svajc,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)
„Das wird unter anderem deutlich, wenn man unsere Schuldenkarte von Tschechien mit den Wahlergebnissen vergleicht. Die Situation generiert ein Misstrauen gegenüber den Institutionen einerseits. Andererseits aber auch gegenüber dem ganzen System, das eigentlich für den bedürftigen und notleidenden Teil der Gesellschaft einstehen sollte.“

Der Guardian zitiert dazu den Tschechien-Experten Jan Čulík von der Universität Glasgow. Laut Čulík ziehen Populisten nämlich Profit daraus, dass es die jetzige „Schuldensklaverei“ vor der politischen Wende nicht gegeben hat. Deswegen würden gerade die etablierten Parteien und ihre Politik für die Missstände verantwortlich gemacht. Marta Smolíková betont aber noch etwas anderes. Die Schuldner würden hierzulande stark stigmatisiert und kriminalisiert. Kredithaie könnten hingegen tun und lassen, was sie wollten, so die Leiterin der NGO Otevřená společnost.

Illustrationsfoto: Štěpánka Budková,  Radio Prague International
Die Politik plant jedoch bereits Erleichterungen für Schuldner. So wird derzeit in beiden Parlamentskammern eine Reform des Rechts auf Privatinsolvenzen diskutiert. Zudem wird im Sozialministerium laut über eine Schulden-Amnestie nachgedacht. Laut Marta Smolíková ist man auf Gemeindeebene aber schon jetzt bei der Problemlösung:

„Gerade Bürger, die bei den Gemeinden verschuldet sind, stoßen bei manchen Bürgermeistern auf ein offenes Ohr. Einige Rathäuser bieten beispielsweise Schuldenberatungen an. Diese sollen den Schuldnern zu einem etwas würdevolleren Leben verhelfen.“