Villa Tugendhat - elftes Denkmal Tschechiens auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes

"Ich habe mir immer ein geräumiges, modernes Haus mit klaren einfachen Formen gewünscht. Und mein Mann war geradezu entsetzt von Zimmern, die bis an die Decke mit Figürchen und Zierdecken vollgestopft waren." Am Anfang existierten nur die Vorstellungen einer reichen Dame aus Brno/Brünn, Grete Tugendhat, letztlich wurde jedoch ein einzigartiges Architekturdenkmal geschaffen, das kürzlich in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO eingetragen wurde. Im nachfolgenden Kultursalon erfahren Sie mehr über die sog. Villa Tugendhat. Durch die Sendung führen Sie Markéta Maurová und Olaf Barth.

Die Villa Tugendhat, ein Werk des deutschen Architekten Mies van der Rohe, ist das elfte Denkmal in der Tschechischen Republik, das auf der genannten Liste steht. Was ist an diesem Haus so einzigartig, dass es eine solche Auszeichnung verdient? Das ist eine Frage für Miroslav Benes vom tschechischen Kulturministerium, der die Verhandlungen mit der UNESCO diesbezüglich führte.

"Einer der Gründe, warum die Villa Tugendhat in die Liste des Weltkulturerbes eingetragen wurde, ist die Verbindung ihres Innen- und Außenraumes. Es handelt sich um eine absolute Neuigkeit im Gegensatz zu den damals überwiegenden Typ des Wohnhauses, der den Bewohner vom Außenmilieu trennte. Hier in der Villa Tugendhat sehen Sie, dass das Innere und Äußere visuell verschmelzen. Van der Rohe löste es, indem er die großen Fenster in den Boden einsinken ließ, so dass sich die Räume auch physisch vereinigen können. Das war einer der Gründe, dieser Innovationsansatz von Mies van der Rohe der UNESCO vorzuschlagen. Der Andere bedeutende Anlauf, wegen dessen die Villa in die Liste eingetragen wurde, war dass sie selbst eine ganz neue Wohnkonzeption einer Familie darstellt. Gerade dadurch, dass es sich bei dem Hauptwohnraum, in dem wir uns nun befinden, eigentlich um einen einzigen Raum handelt, dessen Teile allmählich ineinander übergehen. Es gibt hier keine klassisch getrennten, aneinander gereihten Räume, einen Speiseraum, einen Arbeitsraum usw. Im Gegenteil, alles ist ein einziger Raum, den nur Teilmauern trennen. Auch dieses war zur Zeit von van der Rohe nicht üblich. Und es ist eigentlich auch heute nicht üblich."

Die Tschechische Republik ist durch bereits 11 Denkmäler in der Liste des Weltkulturerbes vertreten. An erster Stelle ist dabei das Prager Stadtzentrum zu erwähnen, weitere sind Krummau, Telc und überwiegend alte, historische Denkmäler. Haben sich die Verhandlungen im Falle der modernen Villa Tugendhat von den früheren unterschieden?

"Sehr stark. Im Vergleich zu den anderen Verhandlungen, bei denen die Fragen absehbar und üblich waren - immerhin auch in jenen Fällen waren sie schwierig, nie war es eine einfache Angelegenheit - konnte man bei der Villa Tugendhat wahrnehmen, dass es eine neue Sache ist. Nicht nur dass es sich um ein 70 Jahre altes Denkmal handelt, sondern dass sie auch für die internationale Gemeinschaft neu ist. Der Ausschuss für das Welterbe ist sehr autoritär und besteht aus führenden Weltexperten. In gewissem Sinne war jedoch bei einigen Mitgliedern eine Angst zu spüren, ein relativ junges und zu keinen großen Stilströmungen der europäischen oder asiatischen Architektur gehörendes Denkmal in die Liste des Weltkulturerbes einzutragen. Dies war bei den Verhandlungen zu spüren. Es ist erst das vierte Denkmal der modernen Architektur und des Urbanismus, das vorgeschlagen und durchgesetzt werden konnte. Eine Rolle spielte dabei auch, dass die Tschechische Republik auf der Liste relativ reichlich vertreten ist."

In welchem Umkreis steht die Villa auf der UNESCO-Liste der modernen Denkmäler?

"Sollte ich sie in der Zeitfolge nennen, handelt es sich um die Hauptstadt Brasiliens Brasilia, des weiteren das Rietveld-Haus in Utrecht in Holland, das älter als die Villa Tugendhat ist, und weiter die Horta-Häuser, jene Wohnhäuser in Brüssel, die auch eine sehr originelle Raumkonzeption aufweisen. Die Villa Tugendhat war also die vierte und sie ist - sollte ich mich nicht irren - von allen UNESCO-Denkmälern das jüngste. Sie ist nur 70 Jahre alt, alle anderen sind älter."

Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde die mährische Metropole Brno/Brünn zum Zentrum der Textilproduktion im damaligen Österreich-Ungarn. Die rasche Industrieentwicklung hatte auch einen Zuwachs der Population zur Folge, die einen Ausbau von neuen Vorstadtvierteln initiierte. Darunter auch Cerna Pole (Schwarzfeld), wo die Villa Tugendhat steht. Eine günstige Lage angesichts des Stadtzentrums und landschaftliche Vorteile des Viertels ließen bald eines der prestigevollstenen Brünner Villenviertel entstehen. Die südlichen Hänge über dem Stadtpark Luzanky mit einem schönen Ausblick auf die Stadt wurden alsbald mit Villen bebaut.

Um 1900 wurde dort auch eine Jugendstilvilla für die Familie Löw-Beer errichtet. Als Greta, die Tochter des Fabrikunternehmers Löw Beer, 1928 zum zweiten Mal heiratete, und zwar den Brünner Industriellen Fritz Tugendhat, bekam sie den oberen Teil des Hanggrundstücks über der Familienvilla als Heiratsgeschenk. Die Vorbereitungen auf den Bau einer neuen Residenz konnten aufgenommen werden. Das Ehepaar kam bereits während seines Aufenthalts in Berlin 1927 mit dem Architekten Mies van der Rohe in Kontakt. Sie besuchten ihn und besichtigten sein Projekt des deutschen Pavillons für die Weltausstellung in Barcelona. Frau Tugendhat gefiel sein neuer Stil sehr und der Zusammenarbeit mit Mies van der Rohe stand nichts mehr im Wege.

Van der Rohe kam im September 1928 nach Brünn. Das Grundstück begeisterte ihn sofort. Er begann ohne Verzug am Entwurf zu arbeiten. Bis zum Jahresende war das Projekt fertig, das die Ideen des Barcelona-Pavillons in die Praxis umsetzte. Zwei Jahre später, im Dezember 1930 konnten die Tugendhats in die neue Villa einziehen.

Der Zugang zum Haus erfolgt von der Schwarzfeldgasse auf der nördlichen Seite. Die wenig attraktive Straßenfassade wird durch einen direkten Zutritt zur Terrasse durchbrochen, die einen Ausblick auf den historischen Kern Brünns bietet. Die obere Etage der Villa gilt den Schlafzimmern einzelner Familienmitglieder mit zugehörigen Bädern und Nebenräumen. Jedes Zimmer verfügt dabei über einen direkten Ausgang auf die Terrasse. Aus dem Eingangsfoyer im oberen Geschoss, das durch den Travertinboden und die raumhohe Milchglaswand als Übergangsbereich zwischen außen und innen dient, steigt man in die untere Etage, in der sich der Wohn-, Speise- und Arbeitsraum, die Bibliothek und gelegentlich auch ein Hauskino in einem einzigen Raum vereinigen. Der Arbeitsbereich und vorderer Wohnbereich sind von einer freistehenden Wand aus Onyxplatten getrennt. Eine halbrunde Wand aus kostbarem Makassar-Holz grenzt wiederum den Essbereich ab. Im zweiten Teil befinden sich Küche und Diensträume, der dritte Teil beherbergt Personalzimmer mit einem eigenen Zugang von außen. Im Souterrainsockel liegen die Wirtschafts- und Wartungsräume des Hauses.

Die ganze südliche Seite ist aus Glas, wobei es die Möglichkeit gibt, die drei Großfenster ganz in die untere Etage runterzuschieben und den Raum mit dem Garten zu verbinden. Dies ist jedoch nicht die einzige technische Errungenschaft im Hause. Es gab auch noch eine Zentralheizung, wobei eine zusätzliche Heizanlage der verglasten Südfront im Sommer als Kühlsystem verwendet wurde.

Auch die gesamte Innenausstattung wurde überwiegend von Mies van der Rohe selbst entworfen, ganz im Einklang mit dem Entwurf des Hauses. Im Laufe der folgenden Jahre gingen die Möbel jedoch leider zum Großteil verloren.

Die Familie Tugendhat konnte nur wenige Jahre in ihrem Haus bleiben. 1938 emigrierte sie in die Schweiz, später nach Venezuela. Einen Teil der Ausstattung nahm sie mit. Für die nationalsozialistischen Besetzer galt die Villa als "jüdisches Eigentum" als herrenlos und ging automatisch in Staatsbesitz über. Der Großteil des zurückgelassenen Inventars war verschwunden.

Während des Krieges waren im Haus Konstruktionsbüros des Flugzeugbauers Messerschmidt untergebracht, 1945 nahm es die Rote Armee in Beschlag. Nach dem Krieg diente die Villa als eine private Rhythmikschule sowie als eine Abteilung für Heilgymnastik der Brünner Kinderklinik. 1963 wurde sie zum Kulturdenkmal erklärt. Ab 1986 fand das Haus als Tagungsort und Repräsentationssitz der Stadt Brünn Verwendung.

Am 1. Juli 1994 wurde die Villa Tugendhat als Museum eröffnet. Der Öffentlichkeit soll sie auch künftig, nach einer grundlegenden Restaurierung und Eintragung in die UNESCO-Liste dienen. Das Museum der Stadt Brünn hat für die Räume im Untergeschoss das Projekt eines Vorlesungssaals vorbereitet, der die Authentizität des Denkmals nicht stören wird. Natürlich aber - wenn es gelingt, die wertvollen Originalmöbelstücke in diesen Raum zurückzubekommen - wird es nicht möglich sein, dort große gesellschaftliche Veranstaltungen zu organisieren. Der Repräsentationsraum mit Originalmöbeln wird strengen Nutzungsregeln unterliegen.

Autoren: Olaf Barth , Marketa Maurova
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