Vom Faden zum Hemd: Mode im mittelalterlichen Prag

Foto: Martina Schneibergová

Was war der letzte Schrei im mittelalterlichen Prag? Eine Ausstellung des Stadtmuseums beschäftigt sich seit Mittwoch mit der Mode in Zeiten von Rittern und Burgen. Zu sehen sind im Haus Zum Goldenen Ring Fragmente mittelalterlicher Textilien, historische Geräte zur Textilherstellung sowie Repliken mittelalterlicher Bekleidung.

Foto: Martina Schneibergová
Textilien begleiten den Menschen seit der Jungsteinzeit. Wegen der Eigenschaften gewebter Stoffe – wie Wärmeisolation, Saugfähigkeit oder Feinheit – sind sie unersetzbar für den Alltag. So war es auch im Mittelalter. Stofffetzen, die bei archäologischen Ausgrabungen gefunden werden, sind ein wichtiges Zeugnis mittelalterlicher Handwerkskunst. Im Fokus der Ausstellung steht eine einzigartige Sammlung von Textilfragmenten, die die Archäologen vor einigen Jahren im Prager Stadtzentrum gefunden haben. Die Schau zeige jedoch viel mehr als die wertvollen Funde, sagt Miroslava Šmolíková vom Prager Stadtmuseum. Die Archäologin stellte die Schau zusammen.

„Die Ausstellung hat mehrere Teile. Sie sollen die Besucher durch den ganzen Prozess der Textilherstellung führen und verschiedene technische Verfahren dokumentieren. Wir beschreiben Rohstoffe, die für die Stoffproduktion genutzt wurden und gehen weiter bis zur Produktion der Textilien. Vorgestellt wird auch die Finalbearbeitung der Textilien – wie beispielsweise das Färben. Für die Ausstellung ließen wir mehrere Repliken der Bekleidung aus dem 14. Jahrhundert nähen.“

Textilfragmente erzählen

Foto: Martina Schneibergová
Die Sammlung mittelalterlicher Textilfragmente sei sehr gründlich erforscht worden, sagt Helena Březinová. Sie arbeitet im Archäologischen Institut der Akademie der Wissenschaften.

„Zugegeben, uns hat wirklich jeder Faden interessiert. Als wir die Forschungen beendet haben, fiel uns ein, dass es schön wäre, die Fragmente der Öffentlichkeit zu zeigen. Denn die Sammlung umfasst mehr als 1500 Fragmente verschiedener Textilien. Es handelt sich um die überhaupt größte Sammlung dieser Art in Tschechien. Wir stellen den ganzen Prozess der Entstehung von Textilien vor: von den Rohstoffen bis zu den Finalprodukten. Denn die Öffentlichkeit nimmt oft das Mittelalter als ein graues und schmutziges Zeitalter wahr. Für die Textilien gilt dies aber überhaupt nicht. Die Textilproduktion war im Mittelalter auf einem sehr hohen Niveau, und die Produktpallette war sehr bunt. Ich finde es sehr gut, dass das damalige Handwerk in seiner ganzen Breite hier vorgestellt wird.“

Foto: Martina Schneibergová
Die einzigartigen Textilfragmente sind eigentlich Abfälle. Viele davon sind sehr klein, weil es sich um zerrissene und abgenutzte Kleiderstücke handelt, die in den Müll geworfen wurden. Trotzdem haben sie bei den Forschungen wertvolle Erkenntnisse über die Arbeit der damaligen Handwerker gewonnen, sagt Helena Březinová:

„Es geht um Details der Schneidearbeit: wie die Knopflöcher gemacht wurden, wie einzelne Textilstücke zusammengenäht wurden oder wie der Stoff in Falten gelegt wurde. Den Großteil der Sammlung bilden Textilien aus Wolle. Das wichtigste Produkt der Textilhersteller im Mittelalter waren gewalkte Wollstoffe. Unter den Fragmenten sind auch 30 Seidenstücke, einige davon sind mit Mustern bedruckt. Wir haben belegen können, das drei der Seidenstoffe im 14. Jahrhundert aus China importiert wurden.“

Teufel mit dem Spinnrocken

Stoffe waren im Mittelalter ein wichtiger Handelsartikel. In den Böhmischen Ländern war die Leinwandweberei und Tuchmacherei stark verbreitet. Tuch und Bier waren Artikel, die aus den böhmischen Städten am häufigsten ins Ausland exportiert wurden. Nach Böhmen wurden wiederum teurere Stoffe aus Wolle oder feinem Leinen sowie Luxustextilien aus Seide importiert. Aus Städten wie Brno / Brünn, Olomouc / Olmütz, Chrudim oder Jihlava / Iglau, die sich auf Tuchproduktion spezialisierten, wurden die Waren zum Verkauf nach Prag gebracht.

Hechel  (Foto: Martina Schneibergová)
Die einzelnen Phasen der Textilherstellung sind in der Schau dokumentiert: mit Exponaten und Videoaufnahmen. Beschrieben werden die verschiedenen Rohstoffe, die für die Stoffproduktion benutzt wurden. Gezeigt werden verschiedene Pflanzenfasern und tierische Fasern. Und auch der Entstehung der Seidenfasern wird Aufmerksamkeit geschenkt. Zu sehen sind einige Originalwerkzeuge, die bei der Faserherstellung verwendet wurden. Sie sei bemüht gewesen, die ethnographischen Exponate mit den archäologischen zu kombinieren, erzählt Helena Březinová:

Foto: Martina Schneibergová
„Unter den archäologischen Funden ist beispielsweise das Fragment einer Hechel. Das war ein kammartiges Gerät, durch das Flachs- und Hanffasern zum Reinigen gezogen wurden. Das Instrument stammt aus dem 9. Jahrhundert und wurde in Pohansko bei Břeclav gefunden. Erhalten geblieben sind vor allem die Holzhaken. Zu den archäologischen Funden gehört auch die hier ausgestellte Schafschere.“

Unter den archäologischen Exponaten befindet sich auch eine mittelalterliche Kachel, auf der eine interessante Szene abgebildet ist. Miroslava Šmolíková dazu:



Foto: Martina Schneibergová
„Die Szene heißt: Der Teufel bringt einer Frau das Spinnen bei. Zu erkennen ist der Spinnrocken. Das ist der senkrechte Stab mit den Fasern. Zudem sind zwei Spindeln auf der Kachel abgebildet.“

Wolle, Seide, Brennnesseln

Die Exponate werden ergänzt durch mehrere Videoaufnahmen, auf denen die einzelnen Etappen der Faserherstellung zu sehen sind. In einem weiteren Raum steht die Stoffherstellung im Fokus. Zu sehen sind Webstühle verschiedener Art. Beschrieben wird zudem das sogenannte Brettchen- oder Plättchenweben. Miroslava Šmolíková macht auf ein eher unauffälliges Exponat aufmerksam, das fast versteckt ist zwischen den Webstühlen.

„Hochinteressant sind die beiden kleinen quadratischen Webbrettchen aus Horn. Sie wurden in Staré Město na Moravě gefunden und stammen aus dem 9. Jahrhundert. Das war ein einzigartiger Fund.“

Färbemittel  (Foto: Martina Schneibergová)
Die Besucher können auch ein Quiz lösen. Auf einem Tisch sind Stoffe ausgelegt, die man in die Hand nehmen kann. Man kann raten, um welchen Stoff es sich handelt. Es gibt dabei Stoffe aus Wolle, Seide, aber auch aus Brennnesseln. Sie waren alle im Mittelalter üblich.

Färberkamille, Färberwaid, Färberkrapp

Textilien wurden im Mittelalter auf verschiedene Weisen gefärbt. Die Färbemittel waren tierischer sowie pflanzlicher Herkunft. In der Ausstellung werden mehrere Beispiele gezeigt. Miroslava Šmolíková macht auf kleine Kugeln aufmerksam:

Die Ausstellung mit dem Titel „Vom Faden zum Hemd – Mode im mittelalterlichen Prag“ ist im Haus Zum Goldenen Ring bis 29. Oktober zu sehen. Sie ist in Tschechisch und Englisch erläutert. Das Haus steht in der Týnská-Straße 6 hinter der Theynkirche in der Altstadt und ist täglich von 9 bis 20 Uhr geöffnet.

„Das sind Galläpfel, die durch den Stich der Gallwespe in Eichenblätter entstehen. Daraus wurde Beize hergestellt, mit der Stoffe braun oder grau gefärbt wurden. Zu Pflanzen, aus denen Färbemittel hergestellt wurden, gehört beispielsweise der Färberwaid. Aus den getrockneten Blättern wurde der unechte Indigo gewonnen. Im Mittelalter wurden damit Stoffe blau gefärbt. Zu sehen sind zudem Blüten der Färberkamille, die für gelbe Farbe benutzt wurden. Mit dem Pulver aus zerkleinerten Wurzeln des Färberkrappes wurden die Stoffe rot gefärbt.“

In einem weiteren Saal kann man sich eine Vorstellung davon machen, wie ein Stand mit Stoffen und Kleidern auf einem mittelalterlichen Markt ausgesehen hat. Auf Frauen- und Männerfiguren in mittelalterlicher Kleidung wird die Entwicklung der Mode vom Anfang bis zum Ende des 14. Jahrhunderts dokumentiert.