Von der Kutsche zum Hightech-Bus - Autohersteller „Karosa“ in Vysoké Mýto
Auf den Straßen rund um die ostböhmische Stadt Vysoké Mýto trifft man nicht selten leere Autobusse. Es sind brandneue Modelle, deren Sitze noch mit Folien bedeckt sind. Sie werden zum Testen gefahren. Denn in Vysoké Mýto hat der größte tschechische Bus-Hersteller seine Produktionsanlagen – Iveco Czech Republic heißt er heute, unter dem Namen „Karosa“ wurde er zu einer weltweit anerkannten Marke. 80 Jahre alt ist die Firma, zudem wurde letztens eine sehr runde Produktionszahl erreicht.
Die Türen öffnen sich und schon steht man mitten drin im wichtigsten Produkt aus Vysoké Mýto: dem Autobus. Ende vergangenen Jahres wurde Exemplar Nummer 100.000 hergestellt. Viele seiner Vorgänger fahren durch die Tschechische Republik – kein Wunder, dass dies auch die Zukunft für Nummer 100.000 sein wird. Daniel Patka ist Direktor der Firma Iveco Czech Republic:
„Der 100.000. Bus war unser neues Produkt, das Crossway heißt. Der Bus wird in den nordmährischen Städten Karviná und Havířov und in ihrer Umgebung Angestellte zur Arbeit und Schüler zur Schule befördern.“
100.000 Busse zu erzeugen, das braucht eine Menge Zeit. In Vysoké Mýto waren es genau 80 Jahre. Denn der erste Bus wurde hier im Jahr 1928 hergestellt. Doch begonnen hat alles bereits am Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Unternehmen der Familie Sodomka. Der Historiker und Direktor des Regionalmuseums in Vysoké Mýto, Jiří Junek.
„Die Firma Carosserie Sodomka wurde im Jahre 1895 gegründet. Josef Sodomka der Ältere begann in Vysoké Mýto Kutschen herzustellen. In den 20er Jahren kam es zu einer Krise in der Kutschenherstellung. Sie wurde zum Teil durch die Rezession nach dem Krieg verursacht, aber hauptsächlich wegen der raschen Entwicklung des Autoverkehrs. Das Interesse an Kutschen sank und Josef Sodomka der Jüngere trat auf die Bühne. Er musste seinen Vater lange überreden, die Kutschen gegen Karosserien für Autos zu tauschen. Darin sah der Sohn die Zukunft. Es gab Streit zwischen, aber letztlich stimmte der Vater zu. Die Idee des Sohns erwies sich als der richtige Weg. Die erste Auto-Karosserie wurde 1925 in Vysoké Mýto gefertigt – und zwar für ein Auto vom Typ Praga Mignon.“
Es war also ein Personenwagen. Erst drei Jahre später verließen die ersten Busse das Werksgelände – es waren damals aber nur ein paar Stücke. Die Karosserien stammten von Sodomka, das Fahrgestell samt dem Motor jedoch von Škoda.
Sodomka produzierte damals vor allem Kutschen und Karosserien für Pkws. Häufig waren es Spezialanfertigungen für VIP-Kunden, so zum Beispiel für den Schauspieler Jan Werich, die Präsidenten-Gattin Hana Benešová oder den britischen Königshof. Das Firmenlogo Sodomka prangte aber auch auf Segelflugzeugen, Spielzeugen oder anderen Waren aus Blech. Das Unternehmen aus Ostböhmen war schon bald führend in seiner Heimat, sagt Historiker Junek.
„Sodomka arbeitete sich unter den Karosserieherstellern an die Spitze in der Tschechoslowakei, wenn nicht sogar in ganz Europa. Dazu sollte man sagen, dass es in der Ersten Tschechoslowakischen Republik rund 300 Karosseriehersteller gab. Da die Nummer eins zu sein, war nicht leicht.“
Die ersten Busse aus Vysoké Mýto waren äußerst schlicht. Fabrikdirektor Daniel Patka nennt sie einen „Notraum für Fahrgäste“ – nicht zu vergleichen mit den heutigen Elektronik strotzenden Gefährten. Aber auch das Ingenieurswesen hat die Entwicklung mit vollzogen, so Patka:
„Die Wagen von Sodomka - und nicht nur die Busse, sondern auch die Karosserien für die Pkws - wurden auf eine Wand oder sogar auf das Tor in der Werkstatt gezeichnet. Dann wurden die Pläne auf Pausenpapier mit Tusche übertragen. Es gab hier damals große Reißbretter. Heute entsteht alles in Computern in 3-D-Qualität.“Neben der Technik hat auch die Firma als solches eine stürmische Entwicklung mitgemacht. 1948 verstaatlichen die neuen kommunistischen Machthaber das Unternehmen. Aus der Aktiengesellschaft Sodomka wurde ein Volkseigener Betrieb. Historiker Junek.
„Interessant ist, dass Sodomka bis zum Jahre 1950, als er inhaftiert wurde, Direktor der Fabrik VEB Karosa Sodomka blieb. Seit dieser Zeit wurden hier eigentlich nur noch Busse produziert. Die Wende war die Produktion eines Busses fürs Gebirge. An seiner Entwicklung nahm Sodomka noch teil.“
Ein weiterer Bus war der Škoda RTO, volkstümlich Erťák genannt. Erstmals vorgestellt wurde er auf der Weltausstellung Expo 58 in Brüssel. Mit seinem Design war er seiner Zeit voraus. Und er blieb aktuell bis zum Jahr 1972; da wurde seine Produktion eingestellt. Erfolgreich waren auch die Nachfolger, so unter anderem die Reihe 700. In den Jahren 1981 bis 1999 wurden mehr als 37.000 Busse dieser Reihe erzeugt und viele von ihnen fahren noch heute auf tschechischen Straßen – aber nicht nur dort, wie Firmen-Direktor Daniel Patka betont:
„In diesem Jahr exportieren wir Busse in 20 Länder der Welt. Unsere traditionellen Kunden sitzen nicht nur in der Tschechischen Republik, sondern auch in Frankreich, Italien, Deutschland und der Slowakei. Wir exportieren aber ebenso in exotischere Länder wie zum Beispiel nach Island, Neukaledonien oder Guadeloupe. Ein paar Busse von uns fahren auch in der Mongolei, in Kuba und vor allem in Russland und den ehemaligen Sowjet-Republiken.“
In Tschechien sind Busse stärker noch als in Deutschland ein wichtiges Verkehrsmittel. Auf vielen Städteverbindungen schlagen sie in Preis und Geschwindigkeit die Eisenbahn. Busverkehr gehört somit zu einem Teil des Lebens. Viele Bewohner von Vysoké Mýto und seiner Umgebung haben jedoch gleich ihr ganzes Leben mit den Bussen verbunden: Karosa oder heute Iveco ist der größte Arbeitgeber in der Stadt. In jeder Ausgabe der Betriebszeitschrift „Karosář“ („Der Karossenbauer“) werden Angestellte erwähnt, die 20, 25, 30 oder mehr Jahre in dem Betrieb arbeiten. Manchmal sind es ganze Familien, sagt Daniel Patka.
„Dies ist typisch für einen Hersteller mit einer Geschichte von mehr als 110 Jahren. Manchmal sind gleich drei Generationen hier bei uns beschäftigt: Großvater, Vater und Sohn.“
Auch Direktor Patka gehört zu einer der Karosa-Familien. Denn hier haben sowohl sein Vater, als auch seine Mutter gearbeitet.
Doch was nun, fragt man sich angesichts der weltweiten Finanzkrise. Für Autohersteller sind sie Zeiten schwer, und bei Iveco Czech Republic werden in der ersten Februarwoche zwangsweise die Bänder still stehen. Doch deswegen braucht bisher keiner der 2400 Angestellten bei Angst um seine Arbeit zu haben. Denn die Auftragsbücher sind voll. So voll, dass die Firma im ersten Quartal 2009 auch trotz der einwöchigen Pause mehr Busse als im selben Zeitraum des Vorjahres produzieren wird.
Noch eine kleine Einladung an Fans von Oldtimern. Jedes Jahr findet am ersten Wochenende im Juni das Oldtimer-Treffen „Sodomkovo Vysoké Mýto“ statt. In diesem Jahr nehmen daran Wagen der Marken Sodomka und Praga teil.