Von Stuttgart über Berlin nach Prag – Dirigent Andreas S. Weiser im Interview
Ab dieser Saison stehen der Staatsoper Prag wegen Renovierungsarbeiten die eigenen Räumlichkeiten für einige Zeit nicht zur Verfügung. Die Aufführungen finden sowohl im Musiktheater Karlín / Hudební divadlo Karlín als auch im Nationaltheater statt. Das Opernorchester leitet in dieser ungewöhnlichen Zeit der neue Chefdirigent Andreas Sebastian Weiser. Vor welchen Herausforderungen man da steht, wie er aus Deutschland nach Prag gekommen ist und wie das Studium bei Václav Neumann war, das erzählt Weiser in einem Interview für Radio Prag.
„Ja, zu Hause in gewisser Weise schon, weil ich vor zwölf Jahren hier ein Jahr lang als Gast regelmäßig dirigiert habe. Für mich war es natürlich sehr überraschend, als die Anfrage von der Staatsoper kam, ob ich hier nicht Musikdirektor werden wollte. Damit ist viel Neues verbunden, man lernt viele neue Menschen und Personen kennen – aber auch andere Arbeitsabläufe. Ich komme aus dem Symphonieorchesterbereich, da ist schon alleine die Größenordnung überschaubarer als bei so einem Opernkoloss. Nach der Fusion von Nationaltheater und Staatsoper ist es deutlich größer und noch aufwendiger geworden, es zu koordinieren. Dazu kommt, dass unser Haus, also das Gebäude, für mindestens zweieinhalb Jahre geschlossen wird, um es zu restaurieren. Wir werden daher an zwei Ersatzspielstätten unsere Opernaufführungen haben: einmal im Musiktheater Karlín / Hudební divadlo Karlín, was tendenziell eine andere programmatische Ausrichtung hat. Insofern hoffen wir, dass unsere Abonnenten uns dort treu bleiben. Die andere provisorische Spielstätte ist für uns das historische Gebäude im Nationaltheater. Aber dort sind bereits Ballett, Schauspiel und Oper, und jetzt kommt eine weitere Oper dazu. Da wird die Diskussion um jeden Termin sehr intensiv geführt.“
Vor welcher Herausforderung stehen Sie nun als Chefdirigent, weil der eigentliche Aufführungsort nicht verfügbar ist?„Diese Frage kann ich sicher erst teilweise beantworten, weil man im Augenblick vieles planen muss. Manches war schon geplant, bevor ich hier eingestiegen bin, weil es in der Oper ein- bis zweijährige Vorlaufzeiten gibt. Was man eben weitersehen muss, sind die Dinge, die ad hoc auftreten, die nicht planbar sind. Oder Probleme, die vielleicht unterschätzt wurden oder die sich aus dem Betrieb erst ergeben. Bis jetzt, toi toi toi, funktioniert es eigentlich ganz gut. Man soll es nicht beschreien, aber sicher wird die Spielzeit unter technischen und organisatorischen Aspekten arbeitsintensiver als normalerweise.“
Wenn man jetzt die ganze Renovierungsarbeit und diese zusätzliche Herausforderung mit verschiedenen Aufführungsstätten ein bisschen ausklammert: Was muss man sich darunter vorstellen, was Sie hier in Prag in Ihrer neuen Tätigkeit als Chefdirigent erwartet?
„Das, was eigentlich immer bei einem Opernbetrieb anfällt. In erster Linie bedeutet das, Vorstellungen zu dirigieren. Das zweite ist die regelmäßige Arbeit mit den Sängern, da man das gesamte künstlerische und musikalische Niveau der Aufführungen verantwortet. Das heißt, man muss die Proben koordinieren, auch die Besetzungsfrage klären: Welcher Sänger kommt für welche Rolle in Frage? Da spielen viele Kriterien eine Rolle: die musikalische stimmliche Qualität eines Sängers, aber auch die Ausgewogenheit. Es geht zudem um den sozialen Frieden innerhalb des Ensembles. Sänger sind ja sehr ‚sensible Zeitgenossen‘. Es besteht eine große Bandbreite an psychischen Befindlichkeiten oder auch mentaler Strukturiertheit.“Wenn wir zurückgehen in die 1980er Jahre nach Stuttgart: Damals sind Sie dem tschechischen Dirigenten Václav Neumann begegnet, der dann durchaus Ihren weiteren Werdegang bestimmt hat. Neumann war zu diesem Zeitpunkt Generalmusikdirektor. Wie haben Sie ihn kennengelernt?
„Dann habe ich mein Herz in beide Hände genommen und bin zu ihm.“
„Ich war in Stuttgart in der Statisterie der Oper. Es war damals schon ein bisschen mehr als nur ein naiver Kinderwunsch, dass ich Dirigent werden wollte. Dann habe ich mein Herz in beide Hände genommen, bin zu ihm hin und habe gesagt, dass ich jetzt kurz vor dem Abitur stehe, Musik studieren wolle und später auch gerne zu ihm kommen möchte. Er hat mich freundlich angeguckt und gesagt, ich solle das so machen. Ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich erwartet hat, dass ich nach dem Studium auf ihn zukomme. Jedenfalls habe ich das gemacht. Einige Zeit später hat er in München dirigiert, und ich bin zu ihm hin. Er hat sich an mich erinnert, und ich habe seine Zusage erwähnt. Er sagte, er sei bereit, mich in Prag zu unterrichten. Im Jahr 1987 ist es dann losgegangen, so deutlich vor der Wende war das eine sehr spannende Zeit. Aber auch künstlerisch war die Zeit mit Neumann eine faszinierende Epoche.“
Bevor Sie nach Prag zu Neumann gegangen sind, haben Sie hier auch schon studiert. Nun ist das zu der Zeit gerade für westdeutsche Musiker nicht der Standard-Studienort gewesen. Wie haben Sie damals die Tschechoslowakei und die Stadt Prag wahrgenommen?„Erstmal war es ein Problem, überhaupt hierherzukommen. Ich hatte ein Stipendium vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD, Anm. d. Red.), und ich habe mich dann gewundert, warum ich im September nicht schon einreisen durfte, denn ich hatte alle Formalitäten erledigt. Über die Botschaft habe ich dann rückwirkend erfahren, dass die tschechische Regierung oder das tschechische Schulministerium gesagt hat: ‚Das ist richtig, der DAAD kann uns Studenten aus der Bundesrepublik Deutschland schicken, aber Westberlin ist nicht Teil der Bundesrepublik Deutschland.‘ Formal gesehen war das natürlich korrekt, aber es hat offensichtlich diplomatische Bemühungen hervorgerufen, die dann erfolgreich gewesen sind. Als ich dann grünes Licht bekam, einreisen zu dürfen, wusste ich überhaupt nicht, dass das eine Rolle gespielt hat. Und dann war ich hier. Ich habe, dass würde ich mir heute vielleicht ein bisschen vorwerfen, die ganzen politischen Fragen ausgeblendet und war einfach glücklich, das Stipendium bekommen zu haben und zu so einer Persönlichkeit wie Neumann zu dürfen. Die Proben mit der Tschechischen Philharmonie und mit Neumann waren einfach eine großartige Zeit. Es gab zwar Fernsehen, aber ich konnte kein Tschechisch – das war eh nicht so interessant in der Zeit. An Internet war noch gar nicht zu denken. Insofern gab es überhaupt keine Ablenkung. Das heißt, man konnte sich 100 bis 120 Prozent auf die Musik konzentrieren. Abgesehen davon, bei Neumann zu sein, war dies eine unglaubliche Erfahrung.“
„Ich habe die ganzen politischen Fragen ausgeblendet uns war glücklich.“
Was war denn das Besondere an Neumann, was hat Sie an Neumann fasziniert, und was hat die Arbeit mit ihm ausgemacht?
„Neumann hatte eine sehr eigenwillige Schlagtechnik gehabt. Man musste schon wirklich wissen, was er wollte. Aber er war ein hochinteressanter und inspirierender Musiker. Wir haben natürlich sehr viel tschechische Musik zusammen gemacht, auch Gustav Mahler, der in gewisser Weise ebenfalls ein tschechischer Komponist ist. Neumann hat sich sehr viel Zeit für mich genommen, dafür bin ich ihm bis heute dankbar. Ich war nicht nur bei seinen Proben, sondern er ging nach den Proben mit mir noch die Stücke durch. Es war wirklich eine sehr intensive Arbeit an der Musik. Seine Einblicke und seine Gedanken zur Musik, auch zu Fragen der Ästhetik und so weiter, das war schon unglaublich interessant, spannend und bereichernd.“
Tschechien ist immer wieder ein wichtiger Ort für Sie, an den Sie zurückkehren…
„…zurückkehren ist inzwischen fast schon nicht mehr die richtige Formulierung.“Darauf wollte ich gerade hinaus. Für Sie ist Tschechien inzwischen Heimat. Warum fasziniert Sie dieses Land so, dass Sie alles hierherverlegt haben?
„Es war nicht immer nur eine völlig freie Entscheidung. Aber die Zeit, die ich bei und mit Václav Neumann habe verbringen dürfen, war unglaublich intensiv und hat mir sehr viel gegeben. Und nach dem Studium bei Neumann war ich noch zwei Jahre als zweiter Dirigent bei Vladimír Válek hier beim Rundfunk. Das war dann eine Zeit für mich, in der ich das, was bei Neumann theoretisch auf mich zukam, praktisch umsetzen konnte. Für einen jungen Dirigenten ist es das Allerschwierigste, vom Studium zu kommen. Man beherrscht dann zwar die Grundlagen, aber es ist immer noch schwer, ein Orchester in die Hand zu bekommen. Es geht nicht nur um die Schlagtechnik, dass man die Takte ordentlich gibt, sondern auch wie man mit den Leuten umgeht. Wie reagieren Sie also, wenn das mal nicht funktioniert? Das ist ein jahrelanger, wenn nicht sogar ein lebenslanger Prozess. Ich hatte das riesige Glück, dass ich nach der intensiven, theoretischen und musikalischen Betreuung durch Neumann hier beim Rundfunk für zwei Jahre arbeiten konnte. Der Vorteil bei Rundfunkorchestern war damals: Die haben wahnsinnig viel aufgenommen. Dadurch hat das Orchester ständig gespielt. Chefdirigent Vladimír Válek allein konnte das gar nicht bewältigen. Dadurch bin ich dort wirklich ans Dirigieren gekommen, und das mit einem richtig guten Orchester. Dieser Punkt hat mich noch einmal unglaublich weitergebracht. Darüber hinaus gibt es private Gründe: Meine Frau ist Tschechin, da bot es sich auch nach der Jenaer Zeit an, dass man nicht nur zu Hause bei mir ist, sondern auch eine Zeit zu Hause bei ihr. Daraus ist die lange Zeit mit Open End im Augenblick geworden.“