Vor 42 Jahren: Pilsen besser als Bayern - Breitner streitet mit Vereinspräsident

Foto: Archiv FC Viktoria Pilsen

Vor einer Woche verlor der FC Viktoria Pilsen in der Champions League mit 0:1 gegen Bayern München. 1971 trafen beide Teams schon einmal aufeinander, und zwar in der ersten Runde des Europapokals der Pokalsieger. Für rund 40 Jahre war dies der letzte Auftritt der Pilsner im europäischen Pokalgeschehen. Am Rand der Begegnung vor acht Tagen wurde auch an diese erste Begegnung beider Vereine erinnert. Für die damaligen tschechischen Spieler war es ein großes Ereignis, auf deutscher Seite hat wiederum Paul Breitner besondere Erinnerungen an diesen und weitere Ausflüge in den früheren Ostblock. Ein Blick zurück in die Fußballgeschichte.

Stadion von Pilsen  (Foto: Archiv FC Viktoria Pilsen)
Die Stimmung gut, die Tribünen voll – im neuen Stadion von Pilsen verfolgten vor einer Woche über 11.000 Zuschauer den Schlager gegen Champions-League-Sieger FC Bayern München. Doch das ist kein Vergleich mit dem Spiel beider Teams 42 Jahre zuvor. Damals fasste das alte Stadion in den Štruncovy sady rund 28.000 Zuschauer. Selbst aus Mähren und der Slowakei waren die Fans nach Westböhmen gereist. Schließlich war der Kader der Bayern gespickt mit Stars: Beckenbauer, Breitner, Maier oder Müller. Paul Breitner vergleicht die damalige Mannschaft mit dem heutigen Team um Superstar Franck Ribéry:

„Wenn ich nicht nur elf Spieler sehe, also diejenigen, die auf dem Platz stehen, sondern den ganzen Kader – dann haben wir heute 22 oder 23 Nationalspieler, die alle internationale Stars sind. Und zu meiner Zeit hatten wir 13 Spieler, die das Niveau hatten für die erste Mannschaft. Das heißt, wir haben heute eine viel größere Qualität für die Mannschaft, wenn es darum geht, Spieler zu wechseln, also zu rotieren.“

Paul Breitner  (Foto: Michael Lucan,  Wikimedia CC BY 3.0 DE)
Der FC Viktoria Pilsen ist derzeit amtierender Landesmeister und stellt insgesamt zwölf tschechische und slowakische Nationalspieler. Aber keiner von 0ihnen dürfte als internationaler Star durchgehen, also an das Format der Bayern-Spieler heranreichen. 1971 bestand ein ähnliches Ungleichgewicht. Der damalige Mannschaftskapitän František Plass erinnert sich an beide Teams und auch an Breitner:

„Breitner, das war ein Kämpfertyp. Jeder bei den Bayern hatte eine andere Funktion. Damals traten wohl sieben oder acht Nationalspieler gegen uns an. Das war das Spiel einer Nationalmannschaft gegen ein Pilsner Zweitligateam.“

1971 hatte der Verein unter dem Namen Škoda Pilsen zwar den Pokal gewonnen, die höchste tschechoslowakische Spielklasse konnte er jedoch nicht halten. Aber auch als Zweitligateam lieferte man dem schier übermächtigen Gegner einen beherzten Fight. An den kann sich Breitner allerdings überhaupt nicht erinnern:

Foto: Archiv FC Viktoria Pilsen
„Es ist mittlerweile 42 Jahre her, dass ich hier gespielt habe. Zu Hause würde ich sagen, es war irgendwann kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, so lange ist das her. Ich weiß nicht mehr viel. Es war der Europapokal der Pokalsieger, den es heute ja gar nicht mehr gibt. Und ich habe von vielen gehört, dass wir vor allem zu Hause locker gewonnen haben. Aber ich bin nicht der Typ, der viele Tore, viele Szenen, viele Spiel im Kopf hat. Das Spiel war zu Ende, ich hatte gewonnen oder verloren, ich habe das akzeptiert und: Auf Wiederschaun!“

Für einige Spieler aus Pilsen waren die beiden Begegnungen mit den Bayern im September 1971 hingegen DAS Erlebnis in ihrer aktiven Karriere. Sie können sich noch an viele Szenen erinnern, vor allem an das Hinspiel in der Tschechoslowakei. Da brillierte František Plass als Libero. Vor kurzem behauptete der heute 69-Jährige in einem Zeitungsinterview, der damalige Bayern-Coach Udo Lattek hätte ihn am liebsten gekauft. Über das Spiel am 15. September 1971 sagt František Plass:

František Plass  (Foto: Archiv FC Viktoria Pilsen)
„Ich habe da sogar den Pfosten getroffen, und wir hatten auch noch weitere Chancen, ein Tor zu erzielen. Dann bekamen wir aber von Gerd Müller so ein Schmuddel-Tor. Dabei waren wir unserem Gegner eigentlich ebenbürtig und hätten mindestens ein Unentschieden verdient. Beim Rückspiel in Deutschland sah das dann aber anders aus.“

Das Gegentor allerdings - und da erinnert sich František Plass nicht ganz richtig - erzielte nicht Gerd Müller, sondern sein Sturmkollege Wolfgang Sühnholz. Nichtsdestotrotz rückten die Bayern erst im Heimspiel zwei Wochen später die Kräfteverhältnisse zurecht. Mit 6:1 gewannen sie – die Parallele zur Champions League in diesem Jahr ist dabei frappierend. Denn Viktoria Pilsen hatte in der Allianz-Arena vor drei Wochen auch mit fünf Toren Unterschied verloren, allerdings ohne selbst ein Tor zu erzielen.

1971 trafen beide Teams schon einmal aufeinander  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Und Paul Breitner? Obwohl er heute nicht mehr viel von den beiden Begegnungen gegen Pilsen weiß: Die Fahrten in die damalige Tschechoslowakei oder in andere Ostblockstaten sind dem heutigen Chefscout der Bayern im Gedächtnis geblieben:

„Jede Reise und jedes Spiel war ein Abenteuer. Wir haben am Anfang nicht gewusst, was wir zu essen bekommen oder in welchem Hotel wir sein werden. Wir wussten, dass wir – ob in Polen, der Tschechoslowakei, Rumänien oder Bulgarien – natürlich in jedem Hotel, in jedem Zimmer viele Wanzen hatten. Dass wir von vorne bis hinten überwacht wurden, das war uns klar. Es war möglicherweise umgekehrt ähnlich. Für uns war es aber auch deswegen immer ein Erlebnis, weil zu jedem Spiel im Ostblock Tausende von Fußballfans aus der DDR kamen. Sie hatten, wie auch immer, eine Reiseerlaubnis in die Tschechoslowakei, in die UdSSR, nach Rumänien oder nach Bulgarien bekommen. Und dann standen 2000 bis 3000 Menschen vor unserem Hotel und hatten keine Eintrittskarten. Wir vom FC Bayern, oder auch der DFB mit der Nationalmannschaft, haben dafür gesorgt, dass jeder ins Stadion konnte. Später erfuhren wir aber, welche Probleme, welche Repressalien diese Fans danach durchmachen mussten.“

Mao Zedong
An den Ausflug nach Pilsen kann sich der 62-Jährige aber noch aus einem anderen Grund deutlich erinnern. Das hängt damit zusammen, dass er damals als linker Rebell galt. Der „rote Paul“ hatte vor Reportern gerne die Mao-Bibel als sein Lieblingsbuch ausgegeben. Er las auch Lenin und Che Guevara. Um die Menschen zu schocken, ließ er sich sogar ablichten, mit der Peking-Rundschau in der Hand im Sessel sitzend unter einem Poster des chinesischen Revolutionsführers Mao Zedong. Im biederen Fußball-Deutschland von damals galt so etwas als Revoluzzertum, so auch bei der damaligen Vereinsführung des FC Bayern.

„Die Rückreise war für mich sehr interessant, weil ich einen Riesen-Streit mit unserem Präsidenten hatte. Es ging um die Situation im Ostblock, die Situation in der Bundesrepublik. Und er hat gemeint, ich könnte doch hierbleiben, dann hätte ich mein Paradies, sprich Sozialismus oder Kommunismus. Er war einfach zu dumm, um begreifen zu können, dass niemand Guerillero ist, nur weil er Che Guevara liest. Oder dass niemand Maoist ist, nur weil er sich mit Mao Zedong beschäftigt.“

Paul Breitner  (Foto: ZDF)
Vereinspräsident Wilhelm Neudecker soll damals Breitner aufgefordert haben, aus dem Mannschaftsbus auszusteigen. Das Nachwuchstalent mit dem Afro-Look brachte den mächtigen Funktionär aber letztlich dazu, sich über das Bordmikrophon zu entschuldigen. Die letzte Konfrontation zwischen beiden sollte das indes noch lange nicht sein. Im März 1979 war es Breitner zusammen mit seinem Kollegen Sepp Maier, der den Aufstand der Bayern-Spieler gegen Neudecker anführte. In der Folge legte der Vereinspräsident sogar sein Amt nieder.

Die Geschichten von Breitner und Plass zeigen aber auch: Auf tschechischer und auf deutscher Seite sind die Erinnerungen an die Europapokalbegegnung vor 42 Jahren sehr unterschiedlich.

Autor: Till Janzer
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