Vor dem Tod noch einmal verliebt sein - Widerstandskämpferin Marianne Golz
Vor dem Zweiten Weltkrieg flüchteten viele Menschen vor den Nationalsozialisten aus Deutschland nach Prag. Marianne Golz war eine von ihnen. Hitler zerschlug jedoch die Tschechoslowakei und ließ 1939 das Protektorat Böhmen und Mähren ausrufen. Zu dieser Zeit half Marianne Golz, die Juden vor der Verschleppung in Konzentrationslager zu retten. Dafür bezahlte sie mit ihrem Leben.
„Mein Liebling, ich freue mich über deinen Brief, den ich schon viermal gelesen habe. Jedes Mal bin ich dabei rot geworden, wie mir die anderen gesagt haben. Alle meine Gedanken und Gefühle gehören dir. Tief in deinen Augen kann ich eine wahre Liebe und Freundschaft erkennen. Und so soll es auch bleiben, bis uns der Tod scheidet. Ich küsse dich, Deine M.“
„Seit 1940 war die Angeklagte mit dem Angeklagten Goldschmidt gut bekannt und häufiger bei ihm zu Gast. Dort lernte die Angeklagte den Angeklagten Zapotecky kennen. Sie erfuhr, dass er Juden dazu verhalf, illegal über die Protektoratsgrenze zu gelangen. Weil er sich einem Transport nicht stellen wollte, hat sich der Angeklagte Goldschmidt nach Wien abgesetzt. Etwa zwei Wochen später erhielt die Angeklagte aus Wien einen Anruf ihrer dort lebenden Schwester Haala, die ihr mitteilte, dass der Angeklagte Goldschmidt bei ihr vorgesprochen habe. Von diesem Zeitpunkt an wurden zwischen den beiden Angeklagten mehrere Briefe gewechselt.“
Josef Goldschmidt wurde in Wien verhaftet und später auch als „Feind des Reiches“ in Prag hingerichtet. Sich dem „Transport“, das heißt der Deportation ins Konzentrationslager zu entziehen, das war nämlich laut nationalsozialistischer Logik ein Schwerverbrechen. Als Verbrecher galt auch jeder, der von einem fliehenden Juden wusste und diesen nicht verpfiff. Dies hatte sich der Anklage nach auch Marianne zu Schulden kommen lassen:„Ein ganz anderer Rassentyp ist die Angeklagte Golz-Goldlust. Diese hat sich mit einer agilen Geschäftigkeit in den jüdischen Kreisen umgetrieben und sich für ihre jüdischen und halbjüdischen Freunde eingesetzt. Sie hat nicht aus einer Zwangslage, sondern aus innerer Neigung heraus gehandelt. Ihrem Bestreben, sich ihren jüdischen Freunden gefällig zu erweisen, entspricht ihre feindselige Einstellung gegenüber dem nationalsozialistischen Staat.“
Von insgesamt 18 Angeklagten wurden Marianne und neun weitere Menschen zum Tode verurteilt und mit dem Fallbeil hingerichtet. Marianne wollte jedoch in keinem Fall hinnehmen, dass ihr der Körper geraubt wird. Sie beschaffte sich Gift, um ihren Mördern zuvorzukommen. Das gelang nicht ganz, vor der Vollstreckung der Todesstrafe war sie nur bewusstlos. An ihrem tragischen Ende war paradoxerweise auch eine ihrer jüdischen Bekannten schuld, diese hatte die Existenz der Gruppe der Gestapo verraten. Ronnie Golz:„Ich verstehe das ganz einfach. Es gibt viele Geschichten über Juden, die im Dritten Reich kollaboriert haben. Diese bildeten zwar nur eine kleine Gruppe, aber es gab sie. Diese Emilie Synek hat sie, wie Marianne schrieb, verraten, um natürlich ihre Familie zu retten. Sie hatte also einen Grund zu kollaborieren, weil die Gestapo ihr versprach: Wenn du das machst, dann wird deine Familie nicht deportiert. Ich bin mir sicher, dass es noch viel zu entdecken gibt in den Akten der Staatsicherheit im Nationalarchiv.“
Die letzten Monate von Marianne Golz im Prager Gefängnis Pankrác sind relativ gut dokumentiert. Dies ist vor allem dem erwähnten Gefängnisfotografen Karel Rameš zu verdanken. Unter dem Titel „Ich klage an“ veröffentlichte er 1946 ein Buch, in dem er die Zustände in der Nazi-Hinrichtungsstätte ausführlich beschrieb. Dort fanden sich auch Ausschnitte aus Briefen zwischen Marianne und Richard. Dann aber geriet der Name Golz für längere Zeit in Vergessenheit. 1988 wurde allerdings Marianne Golz die Auszeichnung „Gerechte unter den Völkern“ verliehen. Mit dieser Auszeichnung würdigt der Staat Israel jene Nichtjuden, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um Juden zu retten. Renate Kosmala, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin:„Die Akten der Gerechten sind in der Yad-Vashem-Gedenkstätte in Jerusalem erhalten. Jeder, der Interesse hat, zum Beispiel über tschechische Gerechte zu forschen, kann dort ins Archiv gehen und die entsprechenden Akten finden. Im Fall von Marianne Golz hatte sich Ronnie Golz, der spätere Sohn ihres damaligen Mannes, von sich aus für seine Familiengeschichte interessiert und kam mit seiner Geschichte zu uns. In Deutschland verdankt man Ronnie Golz das genauere Wissen über Marianne.“
Ronnie Golz ist in seinem Einsatz konsequent. Er macht auch darauf aufmerksam, dass kein Mitglied des Prager Sondergerichts, das zwischen 1942 bis 1945 mehr als 1000 Menschen aus politischen Gründen zum Tode verurteilte, sich für seine Verbrechen verantworten musste. Im Gegenteil, nach dem Zweiten Weltkrieg bekleideten alle Mitglieder noch viele Jahre lang verschiedene Posten in der Justiz der Bundesrepublik Deutschland. An die tschechische Adresse äußert Ronnie Gold aber auch noch einen Wunsch:
„Ich finde es unglaublich traurig, dass die Gedenkstätte in Pankrác hinter verschlossener Tür ist. Wichtig wäre aber, dass dieser Bereich des Gefängnisses herausgeschnitten wird, so dass jeder Mensch und jede Schulklasse dorthin gehen kann. Dies könnte eine ganz wichtige Wirkung für die Menschen haben.“Die Geschichte von Marianne Golz ist derzeit bei einer Ausstellung im Österreichischen Kulturforum in Prag auch zu sehen – und zwar noch bis zum 9. Januar.