Vor vierzig Jahren verbrannte sich der Student Jan Palach selbst
Am 16. Januar 1969 verbrannte sich auf dem Prager Wenzelsplatz der 20-jährige Student Jan Palach selbst. Als „Lebende Fackel“ wollte er gegen die blutige Niederschlagung des Prager Frühlings im Sommer 1968 protestieren. Am Freitag jährte sich der Tod Palachs zu vierzigsten Mal. Dazu fand eine ganze Reihe von Gedenkveranstaltungen statt und Historiker förderten einige bisher unbekannte Originaldokumente zu Tage.
Diesen Freitag hat sich der dramatische Freitod des 20-jährigen Prager Studenten Jan Palach zum 40. Mal gejährt. Sein Protest gegen das kommunistische Regime und die blutige Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 haben die Welt aufgerüttelt. Die Tat Palachs fand mehrere Nachahmer in der Tschechoslowakei und anderen Warschauer-Pakt-Staaten. In Prag wiederholte der 18-jährige Jan Zajíc am 25. Februar 1969 Palachs Tat als „Fackel Nummer 2“: In einem Hauseingang am Wenzelsplatz übergoss er sich mit einer brennbaren Flüssigkeit und war auf der Stelle tot. Nicht nur aus diesem Grund war das kommunistische Regime in Prag bemüht, die Hintergründe von Palachs Tat zu verschleiern. Palach habe sich eigentlich mit einer ungefährlichen Art Brennpaste, wie sie auch Feuerschlucker und Artisten verwenden, anzünden wollen. Doch unbekannte Täter hätten stattdessen Benzin in den Kanister gefüllt. So lautete eine der von der kommunistischen Staatssicherheit verbreiteten Thesen.
Jan Palach studierte an der Philosophischen Fakultät der Prager Karlsuniversität. Die Universität und die Fakultät stehen daher auch im Zentrum des diesjährigen Gedenkens. Die Details erläutert der Dekan der Philosophischen Fakultät, Michal Stehlík:„Wir haben uns entschlossen, diesen vierzigsten Jahrestag mit einer ganzen Reihe von Veranstaltungen zu begehen, nicht bloß durch einen einzelnen Gedenkakt. Bei der Gestaltung der verschiedenen Aktionen arbeiten mehrere Institutionen zusammen: Die Philosophische Fakultät der Karlsuniversität und die Universität selbst, das Nationalmuseum, das Institut zum Studium der totalitären Regime und Archiv der Staatssicherheitsdienste. Die Initiative dafür ist zu einem großen Teil von den Studenten der Philosophischen Fakultät ausgegangen.“
Dieses Gedenken sei also nicht nur ein offizieller Akt. Der Selbstmord von Jan Palach wirke bis heute auch unter den Studenten der Philosophischen Fakultät, meint Dekan Stehlík.
Am Donnerstag und am Freitag hat in Prag eine Fachtagung über Jan Palach statt gefunden. Der Freitag stand ganz im Zeichen des Todes von Jan Palach. Genau vierzig Jahre nach seiner Selbstverbrennung fand um 15 Uhr am Wenzelsplatz eine Gedenveranstaltung statt, am Abend gedachte man in einem Gottesdienst des Studenten. Bereits am Donnerstagabend wurde im Carolinum, der historischen Hauptgebäude der Karlsuniversität, eine Ausstellung eröffnet.„Die Ausstellung mit dem Titel ‚Jan Palach 69‘ präsentiert Palach in den Jahren 1968 und 69, vor allem die letzten Tagen vor seinem Tod im Jahr 69, aber auch die Folgen seiner Selbstverbrennung. Sie zeigt viele interessante Originaldokumente. Zum ersten Mal werden zum Beispiel alle Briefe Palachs an einem Ort zu sehen sein. Diese Ausstellung bereiten wir gemeinsam mit dem Nationalmuseum vor.“
Rechtzeitig zum vierzigsten Jahrestag der Selbstverbrennung von Jan Palach ist auch ein Buch über den Studenten erschienen. Er wird oft als eine Art „Märtyrer jener Zeit“ bezeichnet, welche die totalitären Machthaber so zynisch „Normalizace“ - „Normalisierung“ – nannten: die blutige Niederschlagung des Prager Frühlings also und das darauf folgende strenge Regime. Auf über 600 Seiten arbeiten die Autoren die Geschehnisse im Januar 1969 auf und beleuchten Hintergründe und Folgen des Dramas. Einer der Autoren des Werks mit dem Titel „Jan Palach 69“ ist Petr Blažek vom Institut für Zeitgeschichte der Tschechischen Akademie der Wissenschaften. Er hat zum Tod Jan Palachs eine wissenschaftliche Studie verfasst, die Teil des Buches ist.
„Die Studie widmet sich einerseits der Tat von Jan Palach und andererseits den Ermittlungen durch die Kriminalpolizei, die den Fall bis Juni 1969 untersucht hat. Immer wieder wird behauptet, die Polizei habe einseitig ermittelt. Doch das stimmt nicht. Die Ermittlungen verliefen korrekt und sachlich. Probleme gab es erst, als im Jahr 1970 die kommunistische Staatssicherheit in die Ermittlungen eingriff. Die hat zwar schon im Jahr 1969 allerlei Schritte zur Desinformation unternommen. Aber die eigentlichen Ermittlungen haben sehr erfahrene Kriminalisten geleitet, es wurden die besten Kräfte eingesetzt, die zur Verfügung standen.“Zahlreiche Gutachten habe die Prager Polizei in Auftrag gegeben, für die damaligen Verhältnisse sehr gut ausgebildete Psychiater und Psychologen hätten Palachs Motive analysiert. Hunderte Beamte seien in Prag und der ganzen Tschechoslowakei mit den Ermittlungen beschäftigt gewesen.
„Sie hatten nur ein Ziel: herauszufinden, ob diese angebliche Gruppe von Dissidenten existiert, die Jan Palach in seinen Briefen erwähnt. Doch auch nach mehreren Monaten intensiver Ermittlungen konnten dafür keine Beweise gefunden werden. Es gab zwar eine Reihe von Indizien, aber bis heute verfügen wir über keine Beweise. Daran wird sich wohl auch nichts mehr ändern.“
Dennoch förderten Blážek und sein Team in fast zweijähriger Forschungsarbeit interessante Neuigkeiten zu Tage. So tauchte ein bisher unbekannter Brief von Jan Palach auf, in dem er potenziellen Miststreitern die Besetzung des Tschechoslowakischen Rundfunks vorschlägt:
„Ich schlage eine Aktion vor, die auf den ersten Blick vielleicht verrückt erscheint (und vielleicht auch verrückt ist), anstelle irgendwelcher Demonstrationen kommt es mir effektiver vor, den Rundfunk zu besetzen und einen Aufruf zum Generalstreik abzusetzen, um die Abschaffung der Zensur zu erzwingen.“Diese Zeilen schrieb Jan Palach am 6. Januar 1969, zehn Tage vor seinem Freitod, dem Prager Studentenfunktionär Lubomír Holečka. Der Plan wurde nie in die Tat umgesetzt und der Brief blieb 40 Jahre lang unbekannt. Dabei hätte Jan Palach im Rundfunk durchaus mit Unterstützung rechnen können. Am 18. Januar erreichte Jan Palach im Krankenhaus ein Brief:
„Lieber Freund, wir freuen uns, dass es dir besser geht. Und darum beeilen wir uns, unter den ersten zu sein, die Dir wenigstens symbolisch die Hand drücken und Dich im Namen der Kollegen herzlich grüßen. (…) Deine Tat verpflichtet uns, immer stärker an die alten Ideen der Freiheit, der Demokratie und der Menschenwürde zu denken. Und nicht nur an sie zu denken, sondern sie auch mit allen unseren Kräften umzusetzen. Noch einmal viele herzliche Grüße, die Redakteure des Tschechoslowakischen Rundfunks Prag.“
Geziert wird das vergilbte Blatt von rund zehn Unterschriften.
Das soeben erschienene Buch von Petr Blažek, Patrik Eichler und Jakub Jareš präsentiert Hunderte solcher berührenden Originaldokumente und zeitgenössischer Fotos. Beigelegt ist dem Werk auch eine DVD mit großteils bislang unveröffentlichten weiteren Materialien, darunter Filme aus dem Privatleben von Jan Palach. Die Ausstellung ist bis zum 14. Februar im Carolinum am Ovocný trh in Prag 1 zu sehen. Der Eintritt ist frei.