Všeradice: Auf den Spuren der Kochbuchautorin Rettigová

Foto: Martina Schneibergová

Obwohl sie Poesie und Erzählungen geschrieben hat, ist sie vor allem durch ihre gastronomischen Kenntnisse in die Geschichte eingegangen. Magdalena Dobromila Rettigová ist hierzulande als Autorin des ersten tschechischen Kochbuchs bekannt. Vor etwa zwei Jahren wurde in ihrem Geburtsort Všeradice ein der Schriftstellerin gewidmetes Museum eröffnet. Es ist zusammen mit einer Galerie im einstigen Schlossareal untergebracht.

Bartholomäuskirche in Všeradice  (Foto: Martina Schneibergová)
In der malerischen Landschaft etwa elf Kilometer südlich von Beroun / Beraun liegt das Dorf Všeradice. Anstelle seiner ursprünglichen mittelalterlichen Festung wurde später ein Barockschloss errichtet, das im Laufe der Geschichte mehrmals den Besitzer wechselte. Im Jahr 2008 hat der Bürgermeister von Všeradice, Bohumil Stibal, das fast verfallene Anwesen gekauft. Er hat das Speichergebäude ausgebaut und ein Museum und eine Galerie eingerichtet. Er hat vor, aus Všeradice ein Kulturzentrum der Region von Podbrdsko zu machen. Wie kam das Dorf zu seinem Namen? Bohumil Stibal:



Všerad  (Foto: Martina Schneibergová)
„Der Name Všerad ist nicht belegt. Aber man nimmt an, dass einer der Besitzer der hiesigen Festung so hieß. Wir haben im Juni letzten Jahres gemeinsam mit den Gemeinden Podbrdy und Vinařice einen Bürgerverein Namens ´Všeradova země´ gegründet. Wir arbeiten bei verschiedenen Kulturveranstaltungen und vor allem auch im touristischen Bereich zusammen. Es geht uns vor allem darum, unsere Region und die drei Gemeinden in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.“

Als Informationszentrum für die drei Gemeinden dient die Galerie, die im Schlosshof von Všeradice eröffnet wurde. Das Logo des Vereins mit dem Kopf von Všerad ist der Phantasie des slowakischen Künstlers Josef Šarman entsprungen, erzählt Bürgermeister Stibal:

„Všerad ist eher eine mythische Person. Niemand weiß, wie dieser Všerad, der unsere Gemeinde einst gegründet hat, ausgesehen hatte. Auf dem Logo ähnelt er einer Mischung aus einem Mönch und einem Ritter.“

Barockspeicher  (Foto: Martina Schneibergová)
Die Galerie im früheren Schlosshof leitet Sylva Škardová. Sie kennt sich in der Geschichte der Gemeinde sowie des Schlossareals sehr gut aus:

„Der Barockspeicher, in dem wir jetzt stehen, stammt aus dem Jahr 1696. Er gehörte zum Schlossareal von Všeradice. Das Areal hat Ingenieur Herman 1930 gekauft, er ließ das Schloss gründlich umbauen. Leider verlor das Gebäude damals seinen Barockcharakter, den es bis zu jener Zeit hatte. Der jetzige Besitzer möchte dem Schloss den Barockcharakter wieder zurückgeben. Der Bürgermeister hat den Gutshof mit dem Schloss 2008 von einer Frau gekauft, der das Areal nach der Wende 1989 wieder zurückgegeben wurde. Bis in die 1990er Jahre befanden sich hier nur die Büroräume des Staatsguts Lochovice und im Speicher wurden damals Brennstoffe gelagert. Das Gebäude war praktisch eine Ruine. Da der Speicher unter Denkmalschutz stand, durfte man es aber nicht abreißen. Im Speicher sind noch einige Originalbalken aus dem Jahr 1696 erhalten geblieben. Mit Hilfe von EU-Fördergeldern konnte der historische Speicher innerhalb von einem Jahr in Stand gesetzt werden.“

Sylva Škardová  (Foto: Martina Schneibergová)
Im Speicher ist aber nicht nur eine Galerie, sondern auch ein Museum der Schriftstellerin Magdalena Dobromila Rettigová untergebracht. Die Autorin wurde am 31. Januar 1785 in Všeradice geboren. Ihr Vater Franz Artmann war Verwalter des hiesigen Herrenguts, das damals der Familie Schwarzenberg gehörte. Magdalena lebte in Všeradice aber nur bis 1792. Nach dem Tod des Vaters zog sie mit ihrer Mutter zuerst nach Pilsen und später nach Prag um, so Sylva Škardová:

„Damit endete wahrscheinlich Magdalenas glückliche Kindheit. Da ihre Mutter krank wurde, musste sie sich schon bald um alles selbst kümmern. In Všeradice ist leider kein Andenken an die Autorin erhalten geblieben. Am Schlossgebäude erinnert eine Gedenktafel an sie, ebenso wie am Gasthaus Na růžku. Im Speicher haben wir aber ein Rettigová-Museum eingerichtet, in dem ihre Kochbücher sowie andere ihre Werke zu sehen sind.“

Kochbuch Domácí kuchařka  (Die heimische Köchin). Foto: Martina Schneibergová
Das bekannteste Werk von Rettigová ist das 1826 erschienene Kochbuch Domácí kuchařka (Die heimische Köchin), das sich über 100 Jahre lang gut verkauft hat und bis heute in vielen tschechischen Haushalten zu finden ist. In der Dauerausstellung lassen sich neben den historischen Kochbüchern aber auch Rettigovás Gedichtsammlungen und Erzählungen entdecken. Einige der Bücher schrieb sie zweisprachig - auf Tschechisch und Deutsch. Dazu Sylva Škardová:

„Es ist interessant, dass sie bis zu ihrem 18. Lebensjahr gar nicht tschechisch sprach. Tschechisch hat ihr erst ihr Mann Jan Alois Rettig beigebracht. Er hat sie in die Kreise der nationalen tschechischen Patrioten eingeführt. Damals war es unter ihnen üblich, dem eigenen Namen noch einen echt tschechischen Namen hinzuzufügen. Da hat sich Magdalena den Namen Dobromila ausgesucht. Ihr Mann hat sich den Namen Sudiprav gegeben, was zu Deutsch etwa ´der das Recht Beurteilende´ bedeutet. Er war schließlich von Beruf Jurist.“

Foto: Martina Schneibergová
Rettigová hat Kurse für Mädchen angeboten, bei denen sie ihnen beispielsweise das Nähen, Sticken, aber auch das Obsteinwecken beigebracht hatte. Zudem hatte sie noch Zeit, um Poesie, Erzählungen sowie Theaterstücke zu schreiben. Einige der Erstausgaben von Rettigovás Werken sind im Museum zu sehen. Die Möbel sowie der historische Flügel vermitteln den Eindruck eines bürgerlichen Salons aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Dauerausstellung ist zum Teil interaktiv: So kann man sich eines der Rezepte aus dem berühmten Kochbuch anhören sowie mit einer 3D-Brille beobachten, wie sich die Küchenausstattung während der Jahrhunderte entwickelt hat.

Dauerausstellung über das Leben auf dem Dorf im 19. und 20. Jahrhundert  (Foto: Martina Schneibergová)
Aus dem Rettigová-Museum geht es in die erste Etage. Dort entsteht zurzeit eine Dauerausstellung über das Leben auf dem Dorf im 19. und 20. Jahrhundert. Zu sehen sind alte landwirtschaftliche Geräte, Werkzeug, einfache Maschinen sowie eine ganze Tischlerwerkstatt. An den Wänden hängen Großformatfotos, die den Verlauf der Speicherinstandsetzung dokumentieren. Sylva Škardová:

„Diese Fotos stammen aus dem Jahr 2008. So verwüstet sah es hier damals aus. Bei der Instandsetzung haben uns Denkmalschutzexperten beraten, aber bereits im Sommer 2010 konnte das Museum eröffnet werden. Die meisten Besucher kommen vom Juni bis August. Während des Schuljahrs sind hier oft ganze Schulklassen, denn für Kinder ist die interaktive Ausstellung besonders attraktiv. Nicht weniger begeistert sind auch die Senioren, die hier gern ihre Kenntnisse über Gastronomie testen. Und oft sind Familien mit Kindern zu Besuch. Einige von ihnen nutzen auch die Möglichkeit, hier zu übernachten. Auf dem Dachboden im Nachbargebäude, wo es ein Restaurant und eine kleine Brauerei gibt, sind einige Zimmer für Touristen eingerichtet. Den Weg ins Museum haben auch schon Besucher aus dem Ausland gefunden, beispielsweise aus Kanada oder Neuseeland.“

Galerie  (Foto: Martina Schneibergová)
Jedes Jahr ist die Galerie in Všeradice Schauplatz des internationalen Malersymposiums „ART“, zu dem Künstler nicht nur aus Europa, sondern auch beispielsweise aus Japan oder der Mongolei kommen. Eine Auswahl aus Werken, die bei diesen Treffen entstanden sind, ist im multifunktionellen Saal des Speichers zu besichtigen.

„In diesem Saal veranstalten wir die so genannten Schlossabende. Während dieser Abende stellt ein bekannter TV-Moderator immer eine berühmte Persönlichkeit vor. Auch Theatervorstellungen werden hier aufgeführt. Der Saal wird zudem für Kammerkonzerte genutzt.“

Die Galerie mit dem Rettigová-Museum ist im Schlosshof in Všeradice das ganze Jahr hindurch außer montags geöffnet. Vom Dienstag bis Freitag ist sie von 9 bis 16 Uhr und am Wochenende von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Mehr über das Museum erfahren Sie unter www.zamecky-dvur.cz.

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