Wahlen 2002: Rolle der tschechisch-deutschen Beziehungen im Wahlkampf

Die Debatte um die sog. Benes-Dekrete ist in den letzten Wochen hierzulande in vollem Gange. Sind die tschechisch-deutschen Beziehungen damit zum Wahlkampfthema geraten? Und wie geht die entbrannte Diskussion nach den am kommenden Wochenende stattfindenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus möglicherweise weiter? Fragen, denen Silja Schultheis im folgenden Beitrag nachgegangen ist.

Tschechien und Deutschland
Dass die bereits seit mehreren Jahren von den Sudetendeutschen betriebene Kampagne zur Aufhebung der Benes-Dekrete in den tschechischen Wahlkampf hineingeraten ist, betrachtet Eva Hahnova - Mitautorin des soeben in Tschechien erschienenen Buches "Sudetendeutsches Erinnern und Vergessen" - als eine ungünstige Koinzidenz. Denn, so erinnert sie:

"Die österreichische Außenministerin hat ja bereits vor eineinhalb Jahren erklärt, bis zum Jahresende 2001 werden die Benes-Dekrete aufgehoben werden. So dass wir eigentlich schon seit mehr als einem Jahr gewartet haben, was nun geschehen wird. Und unglücklicherweise ist dann diese Kampagne praktisch mit in diesen Wahlkampf hineingekommen. Ich glaube, dass die tschechischen Parteien eigentlich selber sehr passiv in dieser Sache waren und eigentlich auch sehr abwehrend."

Auch die im April verabschiedete gemeinsame Resolution aller Parlamentsparteien, in der diese sich übereinstimmend gegen die Aufhebung der Benes-Dekrete ausgesprochen haben, zeugt Ihrer Meinung nach davon, dass das Thema nicht von einer oder mehrerer Parteien im Wahlkampf für sich ausgeschlachtet wurde. Die Resolution betrachtet Hahnova als eindeutige Stellungnahme, die zugleich auch das Ende der Kampagne für die Aufhebung der Dekrete bedeutet. Denn, so fügt sie hinzu:

"Vergessen Sie nicht, Deutschland und Österreich sind in dieser Frage ja sehr isoliert. Es hat sich ja kein europäischer Staat, keine Regierung zu ihrer Unterstützung ausgesprochen. Geschweige denn, dass die Europäische Union die deutsche und österreichische Forderung unterstützt hätte. Ich glaube, dass dieses Thema bald vom Tisch sein wird."

Die Journalistin Ludmila Rakusanova, die u.a. seit vielen Jahren für Radio Free Europa/Radio Liberty in Prag arbeitet, sieht hinter dem Schlagwort "Benes-Dekrete" mehr als die Diskussion um die unmittelbare Nachkriegsgeschichte und glaubt, dass sie für die Tschechen in der Debatte um den EU-Beitritt eine wichtige Rolle spielt:

"Es geht um das Verhältnis zu Deutschland, zu dem großen Nachbarn. Soziologen haben schon Anfang der 90er Jahre herausgefunden und immer wieder davor gewarnt, den EU-Beitritt oder die EU gleichzusetzen mit Deutschland. Und gerade das wurde durch die Diskussion, die hier in Tschechien entstanden ist, praktisch getan, dass Politiker quasi den EU-Beitritt von dem Verhältnis zu Deutschland abhängig gemacht haben. Und diese Assoziation ist für die Tschechen schwierig, das ist ein großer Nachbar, viel Unerledigtes aus der Vergangenheit ist noch vorhanden. Man kann das natürlich auch positiv sehen, dass die Debatte jetzt in Gang kommt und das vielleicht auf ein Mal bereinigt wird."

Dass die Parlamentsparteien die Forderungen nach der Aufhebung der Benes-Dekrete mit der genannten Resolution quasi vom Tisch gewischt haben, hält sie für inakzeptabel:

"Wir haben hier eine pluralistische Gesellschaft, und es geht nicht, dass wenn sich die Parteien einigen und so demonstrativ quasi dieses Thema tabuisieren, dass die Gesellschaft das mitmacht. Wir haben gesehen, dass sich überall in der Presse eine Welle der Entrüstung über diese einstimmige Entschließung zeigte, und ich glaube, das ist ein gutes Zeichen."

Nun darf man gespannt sein, wie sich die Diskussion um die sog. Benes-Dekrete nach den Wahlen am kommenden Wochenende weiterentwickelt.