Wallfahrt und Wacht: Der Schutzengelberg von Sušice

Foto: Martina Schneibergová

Das Tor in den Böhmerwald wird die Stadt Sušice / Schüttenhofen genannt. Sie liegt am Fluss Otava in Südwestböhmen im Vorland des Böhmerwaldes. Die Stadt ist ein beliebtes Touristenziel: wegen der malerischen Landschaft, aber auch wegen mehrerer Sehenswürdigkeiten. Ein Kleinod und weithin erkennbares Wahrzeichen von Sušice ist die Kapelle auf dem Hügel Stráž / Schutzengelberg.

Schutzengelkirche auf dem Hügel Stráž  (Foto: Martina Schneibergová)
Die Bewohner von Sušice nennen die Kapelle liebevoll „Andělíček“ – zu Deutsch etwa „Engelchen“. Die Schutzengelkirche auf dem 542 Meter hohen Hügel wurde im Laufe der Jahrhunderte zu einem beliebten Pilgerort. Vom Schutzengelberg bietet sich eine gute Aussicht über Stadt und Umgebung. Zur Kapelle führen einige Wege: Ein steiler Pfad mit einem modern gestalteten Kreuzweg beginnt direkt am rechten Otava-Ufer. Von der anderen Seite führt eine Asphaltstraße auf den Hügel. Viele Besucher gehen (dann) über eine Treppe weiter nach oben, die an die Alšova Straße anschließt. Errichtet wurde die Treppe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Unterwegs machten die Pilger in der Regel Halt bei zwei kleinen Kapellen, die sich heute inmitten des Villenviertels unter dem Schutzengelberg befinden. Die erste der Kapellen steht an der Kreuzung der Straßen Palackého und Nad Lipou. Geweiht wurde sie dem Erzengel Michael, erzählt Jan Lhoták. Der Historiker arbeitet im Böhmerwaldmuseum in Sušice.

Foto: Martina Schneibergová
"An dieser Stelle stand schon in der Barockzeit eine Kapelle. Bei der Restaurierung des Baudenkmals stellte sich heraus, dass die heutige Kapelle bedeutend jünger ist. Es ist kein Zufall, dass sie dem Erzengel Michael geweiht wurde, denn an ihr vorbei führte der Pilgerweg auf den Schutzengelberg. In der Kapelle befand sich eine Barockplastik, die den Erzengel Michael im Kampf mit dem Teufel darstellte. Die Plastik wurde leider in den 1990er Jahren gestohlen. Wir wissen nicht, wie sie aussah.“

Eine weitere kleine Kapelle steht an der Kreuzung der Straßen Palackého und Alšova. Die Alšova-Straße endet am Fuße einer Treppe, die zwischen alten Föhren auf den Hügel führt. Im Tschechischen heißt er Stráž, was so viel wie Wacht bedeutet. Der Historiker:

Jan Lhoták  (Foto: Martina Schneibergová)
„Es ist ein symbolischer Name, denn von oben sieht man die Straßen, die aus allen Richtungen in die Stadt führen. Im Mittelalter war es wichtig, die Zugangsstraßen zu überwachen, darum diese Bezeichnung. Der Sakralbau, der dort steht, hat eine längere Geschichte. Am Anfang stand da nur eine kleine Schutzengelkapelle. Sie wurde auf Initiative von zwei Stadtbewohnerinnen errichtet, die die Pestepidemie überlebt hatten. Da die Beiden nicht genügend Geld für den Bau der Kapelle hatten, beteiligte sich auch die Gemeinde daran. 1683 hat der Prager Bischof Jan Ignác Dlouhoveský die Schutzengelkapelle geweiht.“

Erst um das Jahr 1730 begann man, eine viereckige Anlage mit Kreuzgängen und kleinen Kapellen um die ursprüngliche Kapelle herum zu errichten. Der Bau erinnert ein wenig an den Wallfahrtsort Svatá Hora / Heiligenberg bei Příbram. Die in der Mitte stehende Kapelle musste in den 1880er Jahren in Stand gesetzt und umgebaut werden.

Foto: Martina Schneibergová
„Für die Umgestaltung der Kapelle sorgte Václav Rudolf Mirvald aus Sušice. Der Umbau war jedoch sehr umstritten, denn Mirvald gestaltete den Sakralbau im neoromanischen Stil. In den 1930er wurde der inzwischen baufällige pseudoromanische Bau abgerissen und an derselben Stelle wurde eine neue Kapelle errichtet.“

Kaiser Josef II. ließ Kapellen, die nur zu Pilgerzwecken dienten, schließen. Der damalige Dekan von Sušice, Prokop Harer, konnte die Schutzengelkapelle jedoch retten, indem er sie kaufte. Er konnte sogar eine Genehmigung erlangen, um die Kapelle wieder für kirchliche Zwecke nutzen zu können. Ab 1799 wurden dort Gottesdienste zelebriert. Mitte Mai wurde früher jedes Jahr an die Weihe der Kapelle erinnert. Dabei wurde in einer Prozession ein Schutzengelbild aus der Sankt-Wenzel-Kirche aus der Stadt hinauf auf den Hügel getragen. Am ersten Septembersonntag wurde traditionell das Schutzengelfest begangen. Diese Tradition wird bis heute eingehalten.

Foto: Martina Schneibergová
Historische Quellen haben bestätigt, dass der Bau der Schutzengelkapelle tatsächlich auf die Initiative zweier Frauen zurückzuführen ist, die die Pest überlebten. Zum Bau der Kapelle sind aber auch einige Legenden im Umlauf, sagt Historiker Jan Lhoták.

„Am weitesten verbreitet ist die Legende über einen Hirten, der auf dem Hügel das Vieh weidete. Auf einmal wickelte sich eine giftige Schlange um sein Bein – doch sie biss ihn nicht. Die Eltern beschlossen laut der Legende an dem Ort eine Kapelle zu errichten. Diese Geschichte wurde auf dem Schutzengelbild dargestellt, das in der Vergangenheit bei den Wallfahrten im Mai auf den Berg getragen wurde. Heute wird das Gemälde im Pfarramt aufbewahrt. Im Mai wird kein Kirchenfest auf dem Schutzengelberg mehr veranstaltet. Das hängt damit zusammen, dass in den 1950er Jahren sämtliche öffentliche Kirchenversammlungen abgeschafft und verboten wurden.“

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Gottesdienste werden in der Schutzengelkapelle nicht nur bei der Wahlfahrt Anfang September zelebriert. In den Sommermonaten wird dort jeden Donnerstagabend eine Messe gelesen. Vor und nach dem Gottesdienst gibt es in der Regel die Möglichkeit, sich das Areal von „Andělíček“ anzuschauen und einen Blick in die Eckkapellen zu werfen. Der Historiker:

„Jede der Kapellen ist einem anderen Heiligen geweiht. Besonders hinweisen möchte ich auf die Johannes-Nepomuk- und die Florian-Kapelle. In der Nepomuk-Kapelle ist über der Tür die Jahreszahl 1683 zu lesen, also das Jahr, in dem die Schutzengelkapelle geweiht wurde. Auf dem Altar ist eine Replik des böhmischen Palladiums zu sehen, das sich in Stará Boleslav befindet. In der Barockzeit war das Palladium ein beliebtes Ziel der Pilger. In der Florian-Kapelle befindet sich die Kopie eines Gemäldes mit dem heiligen Florian. Das Gemälde ist aus dem Grund interessant, weil es Sušice in der Barockzeit zeigt. Es erinnert vermutlich an den Brand, der 1707 in der Stadt ausbrach. Zu erkennen ist das Rathaus mit einem Zwiebelturm und einige Häuser auf dem Marktplatz, hinten sind Flammen zu sehen. Das Rathaus wurde nach dem Brand umgebaut und erweitert, auf diesem Bild sieht es schon so aus wie nach dem Umbau. Darum nehmen wir an, dass das Gemälde erst in den 1720er oder 1730er Jahren entstanden ist.“

Foto: Martina Schneibergová
Die Kapelle ist nur im Sommer zugänglich. Doch es lohnt sich zu jeder Jahreszeit den Schutzengelberg zu erklimmen. Von oben bietet sich eine herrliche Aussicht auf die Landschaft des Böhmerwaldes.

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