Werbefilmer in Prag
Kennen Sie diesen Song? Die Band A-HA feierte nach 10 Jahren in der Versenkung der Pop-Historie im Sommer 2000 mit diesem Lied - "Minor earth - major Sky" - ihr Comeback in die europäischen Charts. Doch was haben die englisch singenden Schweden mit Tschechien zu tun? Willkommen bei unserer heutigen Ausgabe von Euro-Domino, die unter anderem diese Frage klären wird. Im Studio begrüßen Sie Jitka Mladkova und Tobias Troll.
Die Tschechische Republik und insbesondere Prag haben sich in der Nachwendezeit schnell zu einem wichtigen Produktionsort für Fernsehwerbung und Musikvideos entwickelt - nicht nur für Tschechien selbst, sondern vor allem auch für den westeuropäischen Markt. Viel der Werbung, die heute über deutsche, englische oder italienische Bildschirme flimmert, wurde von tschechischen Kreativen erarbeitet - und die wenigsten wissen das, denn dem Endprodukt sieht man die Prager Herkunft selten an.
Der Privatsender SAT.1 versetzt seine Zuschauer in Weihnachtsstimmung mit Bildern, die vor Prager Mauern entstanden. Den Briten schmeckt ihr morgendlicher Haferbrei besser - oder sie kaufen ihn gar erst - weil der dazugehörige Werbespot gar so bunt und lustig ist. Dass er im Dezember im Bistro der Tschechischen Nationalgalerie im Veletrzni Palac gedreht wurde, kann der Brite kaum erkennen - selbst, wenn er schon mal vor Ort war. Canon Drucker sollen sich gar in China besser verkaufen, mittels eines anderthalbminütigen Actionfilms, in dem die furchtlosen Spezialagenten, natürlich bis über die Ohren mit Ausrüstung des Elekronikherstellers bestückt, schließlich die versteckten Raketen der bösen Russen ausfindig machen - in den Türmen der Teynkirche am Altstädter Ring. Da kramt der ein oder andere Chinese vor dem Fernseher in Hongkong womöglich die Urlaubsbilder hervor, die er einst schoss, vielleicht mit einer Canon-Kamera, und denkt verträumt an "good old Europe".
Auch die Jungs von A-HA, oder ihre Berliner Produktionsgesellschaft, wählten Tschechien als Drehort für ihr furioses Comeback - so scheint selbst der Mond in Böhmen zuhause zu sein, denn der Erdtrabant ist Schauplatz der musikalischen Kurzgeschichte, die die Apollo 11 Mission zum Nachtgestirn adaptiert.
Warum dreht Europa nun in Tschechien, und verlegt den Mond in die Umgebung von Pilsen, wo er doch genauso gut in Brandenburg, der Sierra Nevada oder in Transsylvanien simuliert werden könnte? Andrea Roman, in Deutschland geborene Tschechin, war als Producer die Mittlerin zwischen der deutschen Filmproduktion und dem Tschechischen Team vor Ort.
Auch Tomas Masin, mehrfach ausgezeichneter tschechischer Regisseur und einer der gefragtesten Werbefilmer in Europa, sieht die vergleichbar niedrigen Preise für Arbeitskraft und Drehorte als Hauptgrund für den Boom der kommerziellen Filmproduktion in Tschechien seit der Wende. Aber auch die Kreativität der tschechischen Filmschaffenden und die Einmaligkeit vieler Lokalitäten spielen eine wichtige Rolle:
"Die Leute aus Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern wissen, dass man in Tschechien gute Filmemacher findet. Die Tschechen haben eine ungewöhnliche Sensibilität im Erschaffen filmerischer Stimmungen, im Umgang mit Licht, in der ganzen künstlerischen Gestaltung eines Films. Außerdem haben die Tschechische Republik und insbesondere Prag einmalige Drehorte zu bieten."
Durch die lange filmerische Tradition Tschechiens waren nach der Wende Infrastruktur und qualifizierte Kreative aus den verschiedenen Bereichen des Filmschaffens bereits vorhanden - dass nun auch Werbung und Musikvideos produziert wurden, machte für die Filmer nur einen formalen Unterschied - ein Grund, warum die Filmproduktionsbranche in der Nachwendezeit weitgehend in tschechischen Händen blieb. Man konnte auf renommierte, oft auch in internationaler Kooperation entstandene Filmkunst zurückblicken, die einen weltweiten Ruf genießt. Die surrealen animierten Träume des Jan Svankmajer, zahlreiche hervorragende Kinderfilme wie Pan Tau mit der Zaubermelone, das Mozartepos "Amadeus" von Milos Forman, der oscargekrönte "Kolja" von Jan Sverak - die tschechischen Filmer haben stets Qualität und Vielseitigkeit bewiesen. Dass nun, Anfang der neunziger Jahre, westeuropäische Werbeagenturen Partner zur Produktion von 30Sekündern suchen, war nur eine weitere Herausforderung. Etliche neue, kleine Produktionsfirmen entstanden und fingen die Flut der Aufträge auf, die plötzlich nach Prag schwappten. Nach anfänglichen Turbulenzen im neuen, schnellen Werbegeschäft hat sich der Markt heute stabilisiert, die Produktionen haben sich zunehmend professionalisiert und auch die Preise sind natürlich deutlich gestiegen. Heute gibt es in Prag ca. zehn Filmproduktionen, die neben tschechischen auch internationale Projekte realisieren. Tomas Masin war 1994 einer der Gründer der Filmproduktion "DAWSON Production" und hat seither über 40 Musicvideos und Werbeclips geschaffen, viele davon für den internationalen Markt.
"Ich denke, dass die Werbefilmproduktion eine der wichtigsten Wachstumsbranchen der tschechischen Republik ist. Im Hinblick auf Professionalität und Leistung können wir uns voll und ganz mit dem westeuropäischen Niveau messen. Die tschechischen Werbefilmer haben seit der Öffnung des Marktes eine Menge gelernt und spielen heute eine wichtige Rolle in der Medienindustrie und in der Tschechischen Wirtschaft."
Die Branche scheint also auf dem besten Weg zu sein, von den bald fallenden Grenzen zu profitieren und endgültig im europäischen Markt aufzugehen. Doch ganz unproblematisch dürfte die Umstellung auch hier nicht vonstatten gehen, wie Andrea Roman feststellt.